"Was ängstigt Sie bei dem Gedanken einer Reise in die Vergangenheit?"

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Der Kybernetik-Komplex: "The Master", Scientology und der Geist der 1950er Jahre

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"Tom Cruise hat den Film gesehen, wir sind weiterhin Freunde, und der Rest bleibt zwischen uns." Muss die Welt jetzt beruhigt sein oder eher beunruhigt, dass der bekennende Scientology-Anhänger Tom Cruise dem kapriziösen Hollywood-Outsider Paul Thomas Anderson auch nach Ansicht von dessen neuem Film die Freundschaft nicht aufgekündigt hat? Das ist zwar eine der Fragen, aber bestimmt nicht die interessanteste, die sich stellen, nachdem der neueste Film des einst für "Boogie Nights" und "Magnolia" gefeierten Anderson jetzt in Deutschland seine Premiere erlebt. Viel interessanter ist eine andere: Wieviel hat "The Master" jetzt nun wirklich mit der geheimnisvollen Scientology-Sekte und dem Leben ihres nicht weniger mysteriösen Gründers L. Ron Hubbard zu tun?

Denn Anderson nennt keine Namen. Er erzählt aber von einer sektenartigen Religionsgemeinschaft Anfang der 1950er Jahre - und die Ähnlichkeiten zu Scientology sind auch ohne konkrete Verweise frappierend. Der Regisseur leugnet diese Ähnlichkeit auch überhaupt nicht:

Ich weiß zwar nicht viel über Scientology von heute, aber ich weiß viel vom Beginn dieser Bewegung, und dies hat mich als Hintergrund für meinen Film inspiriert. Das ist alles, was ich dazu offen sagen kann.

Weltkriegsveteran Freddie Quell findet Ende der 1940er Jahre nicht richtig ins Zivilleben zurück: Ob durch Kriegstraumata oder tiefere Persönlichkeitsstörungen bleibt offen, doch in der ersten halben Stunde seines Films konzentriert sich Paul Thomas Anderson ganz auf diese eine seiner beiden Hauptfiguren und zeigt uns einen unsympathischen Menschen.

Dessen Alkoholismus und offenkundige Kontaktprobleme führen nicht etwa zu Anteilnahme, eher teilt man Andersons Haltung einer kalten Diagnose, für die der Regisseur mehrere Indizien und Erklärungsansätze anbietet: Wer erleben Freddie als missgelaunten Einzelgänger, der starke nervöse Störungen hat, sexuell frustriert und hysterisch ist, stiehlt, betrügt, seine Mitmenschen und Vorgesetzten scheinbar grundlos beleidigt, nahezu jede Chance, die andere ihm bieten, wie selbstzerstörerisch ausschlägt und gelegentlich einfach "ausrastet".

Eine Rolle wie gemacht für Joaquin Phoenix, der hier nun augenrollend und mit zuckenden Lippen, unterstützt von künstlichem Gebiss und anderer Maskenkunst sein Gesicht in immer neue Grimassen legt und auf den Spuren selbsterklärter "Großschauspieler" des Method Acting wie Marlon Brando und Daniel Day-Lewis wandelt - was man dann wahlweise als geniale Schauspielkunst preisen oder als chargierendes Overacting verdammen kann.

"The Master" ist damit genau das, was sich Schauspieler wünschen, jedenfalls amerikanische, weil sie sich mit solchen Rollen wichtig machen und für den Oscar nominiert werden können. Amy Adams und Philip Seymour Hoffman nutzen ihre Möglichkeiten glänzend, während Joaquim Phoenix überagiert: Es gibt diese bestimmte Art amerikanischer Schauspieler "zu spielen". Sie hat nichts mehr mit dem Leben zu tun, nichts mit Naturalismus, aber wir halten sie fast dafür, weil wir das so oft (zu oft) gesehen haben.

Und übrigens sieht Phoenix hier so hässlich aus wie noch nie. Er spielt eine ähnliche Figur wie Tom Cruise in "Magnolia" und wie Daniel Day Lewis in "There Will BeBlood": Ein ausgezehrter, asketischer, aggressiver Unsympath, der zwar "böse" "ist", auch im Film, aber doch erkennbar die Identifikationsfigur, das alter ego für Anderson.

So oder so erscheint Phoenix ganz das Zentrum dieses Films.

Das Leben als einzige hedonistisch-experimentelle Party

Bis zu dem Augenblick, als er nach einer halben Stunden seinen Meister findet: Philip Seymour Hoffman spielt jenen Lancaster Dodd, einen offenkundig reichen und hochbegabten Mann "in den besten Jahren", dessen Leben, das er im Kreis von Frau, Kindern und zwei Dutzend Freunden verbringt, offenbar eine einzige hedonistisch-experimentelle Party ist. Doch da ist noch mehr:

Freddie Quell: "Was machen sie?" Lancaster Dodd: "Ich mache viele, viele Dinge. Ich bin Schriftsteller und Arzt und Atomphysiker und theoretischer Philosoph, aber vor allem bin ich ein Mann. Ein hoffnungslos wissbegieriger Mann. So wie sie." (Dialogpassage aus dem Film)

Lancaster bezeichnet sich als "Philosoph", er schreibt Bücher über die Menschheitsgeschichte und Zeitreisen, in denen er die Welt erklärt, zugleich sich im Besitz von geheimnisvollem Wissen behauptet, mit dem er "vorerst" hinterm Berg hält. Im persönlichen Kontakt entfaltet er große Wirkung, ein charismatischer egomanischer Menschenfänger und de facto ein zukünftiger Sektenführer.

Gutgläubigen Reichen zieht er das Geld aus der Tasche, Freddie "behandelt" er, stärkt sein Selbstbewusstsein, macht ihn aber auch erkennbar von sich abhängig. Aus dem Totalversager wird Lancasters unterwürfiger Diener, kritikloser Gefolgsmann, Spielzeug und Schoßhündchen...

Hoffman spielt all dies mit sichtbarem Vergnügen, aber dezent, zurückgenommen, voll subtiler Ironie auch der Figur selbst gegenüber - man kann nur vermuten, das dieser radikale Gegenentwurf zu Phoenix' Auftritt bereits in der Besetzung angelegt war.

So verfolgt man eine freudianische Vater-Sohn-Parabel über einen unreinen Toren auf der Suche und einen Retter, der den verlorenen Sohn aufnimmt und mit ihm ein männerbündisches neues Reich formt, in dem Frauen entweder reines Beiwerk sind oder heimliches Zentrum.

So sticht Amy Adams als Dodds Gattin hervor. Hinter der Maske freundlicher Güte verbergen sich Machtwille und Geschäftssinn. Und mit welcher Überzeugung die Frau solche Sätze sagt, wie: "You can do, whatever you want. This is not you. Your spirit is not free. It is controlled by an invader force. We are in the middle of a battle, which is 3 trillion years old." Weiterer schöner Satz: "We are not a part of the animal kingdom."

Menschen zu Automaten

"The Master" bleibt klar ein Film von dieser Welt - Anderson erzählt von den faszinierenden Verbindungen aus Kriegstrauma, Drogenexperiment und Bewusstseinserweiterung, Manipulation, Hypnose und Gehirnwäsche im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg - dem Kybernetik-Komplex, der Vorstellung, dass Menschen zu Automaten werden könnten, die in die Kalte-Kriegs-Paranoia der 1950er Jahre überging, und die John Frankenheimer unnachahmlich in "The Manchurian Candidate" auf die Leinwand brachte. Aber ein Dokumentarfilm eignete sich für all dies besser.

Es geht um Manipulationstechniken, wie man sie von Sekten und Scharlatanen kennt:

"Sind die Reisen in die Vergangenheit in meinem Buch für sie beängstigend?"
"Beängstigend? Nein."
"Was ängstigt sie bei dem Gedanken einer Reise in die Vergangenheit?"
"Ich hab keine Angst."
"Haben sie vielleicht Angst, wir könnten entdecken, dass unsere Vergangenheit umgeformt wurde? Pervertiert. Und dass das, was wir über diese Welt zu wissen denken ausgemachter Humbug ist." (Dialogpassage aus dem Film)

Pessimismus, Zynismus

Dieses fesselnde Ideennetz ist noch interessanter als die historische Frage: Wieviel hat die Geschichte dieses egomanischen Menschenfängers und seiner Gruppe denn nun wirklich mit der geheimnisvollen Scientology-Sekte und dem Leben ihres nicht weniger mysteriösen Gründers L. Ron Hubbard zu tun? Anderson nennt sie nie beim Namen. Aber die Ähnlichkeiten zu Scientology sind auch ohne konkrete Namensnennung auffallend in dieser Erzählung der Anfänge einer sektenartigen Religionsgemeinschaft im Amerika Anfang der 1950er Jahre.

Trotzdem ist dies überhaupt nicht das beworbene Enthüllungsstück über Scientology und L.Ron Hubbard. Auf ganz andere Art als Ulrich Seidls "Paradies: Glaube" erzählt Anderson vielmehr von der Geburt religiösen Fanatismus aus dem Geist des Wahnsinns. Anderson ist kritischer, wertender, sein Film atmet Zorn und Pessimismus, der mitunter in Zynismus mündet. Ohne Frage: Unter den vielen Filmen der Gegenwart, die sich mit Facetten des Religiösen beschäftigen, und die sich zum Teil in ganz erstaunlicher Weise auf religiöse, auch auf streng orthodoxe Lebenswelten einlassen, ist "The Master" ein Außenseiter in der Eindeutigkeit seiner Religionskritik.

Politisch, sozialanalytisch oder gar sozialkritisch ist "The Master" aber keineswegs. Handwerklich in vielem hervorragend ist "The Master" unterhaltsam, aber auch überlang und mitunter langweilig. Zudem vollkommen geschlossen: Ein Film, der schon alles weiß, nichts mehr wissen will und vor allem nicht überrascht werden möchte.

Andersons Film nimmt sich selbst viel zu ernst und zeigt sich hier als Idealtyp des selbstbesoffenen Regisseur-Alphatiers. Es ist schon klar, dass Anderson nicht viele Fehler macht. Aber dass gerade ist sein Problem. Dieser Film und sein Regisseur sind so obsessiv damit beschäftigt, alles richtig zu machen, dass sie darin stinklangweilig sind.

Erkennbar hat Anderson seinen Stil verändert: Schon "There will be Blood" fehlte Humor und Lässigkeit, wirkte wie das Werk eines Kontrollfreaks, ein ferner Monolith, der vom eigenen Perfektionsdrang bis zum Rande der Wichtigtuerei derart erfüllt ist, dass er mit seiner Umwelt kaum kommuniziert.

Was Anderson von Bluffs und einigen Taschenspielertricks aber nicht abhält. So wird "The Master" auch darin seinem Sujet gerecht, dass dies ein Film bleibt, der den Zuschauer auf Distanz hält, der Respekt evoziert, aber keine Liebe oder Begeisterung.