Angriff auf die Windenergie

Die Energie- und Klimawochenschau: Rösler und Altmaier haben es lieber teurer, deutsche Konzerne wollen Zugriff auf Rohstoffe militärisch absichern und Klimaschützer Obama lässt nach Öl und Gas bohren

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"Der Strompreisdebatte fehlt die Nachhaltigkeit", schrieb Mitte letzter Woche der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) der Bundesregierung ins Stammbuch. Kosten und Nutzen der Energiewende spiegelten sich nicht zutreffend in den aktuellen Strompreisen wieder. Die Sachlage sei undurchsichtig und das verleite in der öffentlichen Diskussion zu Scheinargumenten.

Ein schönes Beispiel dafür lieferten zur gleichen Zeit der Merkel-Intimus Peter Altmaier und sein Kabinettskollege Philipp Rösler ab. Wie berichtet (Mövenpick II -- Ausbaubremse statt Strompreisbremse) haben sie sich letzte Woche auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Ausbau der erneuerbaren Energieträger geeinigt. In einem gemeinsamen Papier fordern sie diverse Maßnahmen, die das Potenzial haben, die derzeitige Dynamik des Ausbaus von Windkraft-, Solar- und Biogasanlagen zu brechen.

Vordergründig geht es ihnen um die hohen Strompreise, doch das Manöver ist durchsichtig, denn ins Visier werden nicht die teuersten Projekte, sondern jene genommen, mit denen fernab der überkommenen Konzernstrukturen kleine Unternehmen, Einzelpersonen und Genossenschaften die Energiewende vorantreiben.

Unter anderem will das schwarz-gelbe Ministerduo durchsetzen, dass Betreiber neuer Anlagen mit einer Leistung ab 0,15 Megawatt (MW) künftig ihren Strom selbst vermarkten müssen. Das würde zum Beispiel alle Windkraftanlagen betreffen, denn die liegen mit ihrer Leistung weit über diesem Niveau. Für Bürgerwindparks und andere kleine genossenschaftliche Projekt würden damit neue Hürden errichtet.

Eine solche Maßnahme würde den günstigen Ausbau an Land massiv behindern. Denn wie soll ein kleiner Betreiber mit vielleicht vier oder fünf 3-MW-Anlagen Abnehmer für Strom finden, der nicht ständig, sondern nur in nichtsteuerbaren Abständen zur Verfügung steht. Über die Börse mag das gehen, aber der Aufwand wäre groß und der Ertrag fraglich, das ganze Unternehmen also riskant.

Letzteres würde übrigens, genauso wie Vorschläge, nachträglich die einst garantierte Vergütung nun doch über Sonderabgaben - zynisch bezeichnen die Minister diesen auch noch als Soli - zu beschneiden, die Finanzierung von Windkraftanlagen erschweren. Sparkassen und Banken würden weniger bereitwillig Kredite geben und gegebenenfalls höhere Zinsen verlangen.

Günstige Technik wird bekämpft

Dabei muss man sich vor Augen halten, dass die an Land errichteten Windkraftanlagen nicht nur die billigsten erneuerbaren Energieträger, sondern auch mit die billigsten neuen Kraftwerke überhaupt sind. In den ersten fünf Jahren bekommen die Windmüller derzeit je nach Standort eine Anfangsvergütung von 8,93 bis 9,41 Cent pro Kilowattstunde. Bei zu geringem Ertrag wird eine gewisse Zeit länger gezahlt. Nach Ablauf dieser Frist gibt es nur noch 4,87 Cent für eine Kilowattstunde. Das ist durchaus in der Größenordnung der Kosten, die auch für ein neues Kohlekraftwerk anfallen. Und neue Kraftwerke, egal welcher Art, brauchen wir auf jeden Fall, denn die meisten der Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke stammen aus den 1970er und 1980er Jahren und müssen ohnehin in diesem oder im nächsten Jahrzehnt ersetzt werden.

Aber der schwarz-gelben Regierung ist es offensichtlich ein Dorn im Auge, dass die Stromversorgung den großen Konzernen zu entgleiten droht. Für Windkraftanlagen, die alte Windräder aus der Zeit vor 2002 ersetzen, wird die Anfangsvergütung bisher noch einmal um einen halben Cent erhöht. Diese Regelung wollen Rösler und Altmaier streichen, vermutlich, weil ihnen Anreize zur Modernisierung ein Graus sind. Außerdem wollen sie die Anfangsvergütung für Onshore-Windkraftanlagen generell auf acht Cent pro Kilowattstunde absenken.

Teure Technik wird gefördert

Ganz anders hingegen ihr Umgang mit den meist noch in der Planung befindlichen Offshore-Windparks, die im Rösler-Altmaier-Papier überhaupt nicht erwähnt werden. Das ist durchaus erstaunlich, denn diese Windparks stellen mittlerweile die nahezu teuerste Form der erneuerbaren Energieträger dar. Nur die kleinsten Solaranlagen produzieren derzeit noch geringfügig teurer, aber das wird sich schon bis zum Ende des Jahres geändert haben.

Offshore-Windparkbesitzer haben nicht nur den Luxus, dass die Stromkunden einspringen, wenn sie schneller bauen, als der Netzbetreiber das Kabel verlegen kann (oder will). Sie bekommen auch die im Vergleich zu Onshore stattliche Anfangsvergütung von 15 Cent pro Kilowattstunde - und zwar nicht für fünf, sondern für zwölf Jahre. Mit zunehmenden Abstand zur Küste und zunehmender Wassertiefe kann sich die Frist sogar noch verlängern. Bis 2018 haben die Betreiber außerdem die Option, eine erhöhte Anfangsvergütung von 19 Cent pro Kilowattstunde zu wählen, die dann aber nur acht Jahre gezahlt wird. In beiden Fällen gibt es danach noch 3,5 Cent pro Kilowattstunde, aber dann dürften die Anlagen ohnehin abgeschrieben und bei der erhöhten Beanspruchung im rauen Seeklima vermutlich auch reif für die Erneuerung sein.

Alles in allem also eine vergleichsweise teure Form der Stromproduktion, sodass man sich fragt, weshalb die Minister in ihrem Papier kein Wort über sie verlieren. Die Antwort ist ziemlich simpel: Offshore ist weitgehend in der Hand großer Konzerne und gewichtiger Kapitalfonds. Offshore-Windparks sind bisher das einzige Standbein der alten Stromkonzerne in den neuen Technologien, ein Bein, auf das sich bisher allerdings noch wahrlich kein Gewicht verlagern lässt. Derlei ist für schwarz-gelbe Minister natürlich Tabu.

Damit soll nicht gesagt werden, dass die Offshore-Windparks für die Energiewende nicht nützlich sind. Sie können wegen ihrer längeren Volllaststunden und den größeren Erträgen auf See sicherlich eine Rolle im Strommix spielen, aber sie werden in den nächsten Jahren bei der gegenwärtigen Konstruktion der Srompreisbildung die Umlage für die Erneuerbaren von derzeit 5,277 Cent pro Kilowattstunde, die Privatkunden mit der Stromrechnung zahlen und die die Minister vorgeben einfrieren zu wollen, weiter in die Höhe treiben. Oder die Umlage wird tatsächlich eingefroren, was hieße, dass Offshore auf Kosten von Biogas, Onshore-Wind und Solar ausgebaut wird.

Wenn die hohen Kosten von Offshore moniert werden, kann natürlich der Einwand kommen, dass die Fotovoltaik bis vor kurzem auch sehr teuer gewesen ist, aber es dennoch wichtig war, sie zu fördern. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass bei dieser die Kosten durch den wachsenden Markt und die technische Entwicklung rapide gefallen sind und weiter fallen werden. Bei Offshore scheint das Einsparpotenzial hingegen gering. Dort sind die Vergütungssätze in letzter Zeit eher nach oben korrigiert worden, damit der Ausbau endlich losgeht.

Auf dem Kriegspfad

Die deutsche Wirtschaft hält, das zeigt nicht nur die jüngste Debatte über den Strompreis, überhaupt nichts von Nachhaltigkeit, Energiewende und schonenden Umgang mit Ressourcen. Jedenfalls nicht die großen Konzerne, die die deutsche Industrielandschaft nach wie vor dominieren.

Die Rohstoffallianz, ein Anfang 2012 gegründetes Gemeinschaftsprojekt von ThysssenKrupp, Daimler, Wacker Chemie, BMW, Bosch, Bayer und sechs weitere Unternehmen, will Zugriff auf Rohstoffe in aller Welt, notfalls auch mit Gewalt. Von Bundesregierung, EU und NATO fordert sie mehr "staatliches und auch militärisch-strategisches Engagement".

Andernfalls drohe, das kennen wir schon vom Streit um den Strompreis und aus allerlei anderen Debatten, der industrielle Untergang: "Wenn die Ressourcenversorgung nicht langfristig gewährleistet werden könne, sei der Industriestandort Deutschland in Gefahr." Sieht ganz so aus, als ob die Spitzen der deutschen Industrie 15 Jahre nach dem Grüne und SPD erfolgreich für sie das militärische Tabu gebrochen haben, keinerlei Hemmungen mehr kennen.

Was will Obama?

Bei so viel gefährlich-reaktionärer Verstocktheit fällt es schwer, eine gute Nachricht der Woche zu finden. Aber wie wäre es mit dieser: Die USA erlebten am zurückliegenden Sonntag die größte Umweltdemonstration ihrer jüngeren Geschichte. Über 40.000 Menschen demonstrierten nach Angaben der Veranstalter in der Bundeshauptstadt Washington gegen die geplante Pipeline Keystone XL und für mehr Klimaschutz. US-Präsident Barack Obama solle endlich auf seine Rhetorik Taten folgen lassen.

Die seit Jahren umkämpfte Pipeline (Aus für Ölpipeline?) wird, wenn sich ihre Befürworter durchsetzen können, über knapp 1900 Kilometer aus der kanadischen Provinz Alberta nach Nebraska in den USA führen und in einer zweit Phase bis nach Texas an die Golfküste. Ziel ist es, das in Kanada in großen Mengen aus Teersänden gewonnene Öl verstärkt in die USA schaffen zu können. Teersände sind wegen der zerstörerischen Tagebaue und des gewaltigen Energieaufwandes, der für den Abbau betrieben werden muss, besonders umweltschädlich, wie bereits des öfteren auf Telepolis berichtet (Der kanadische Ölsand-Komplex, Die denkbar schmutzigste Variante).

Nicht so ganz einig waren sich die Demonstrierenden, was sie von der neuen alten Regierung halten sollen. Kann der wiedergewählte Präsident als Verbündeter angesehen werden oder ist er eher Teil des Problems?

Obama hatte letzte Woche in seiner State-of-the-Union-Rede zwar einerseits Maßnahmen gegen den Klimawandel angemahnt. Wenn sich der von den Republikanern dominierte Kongress nicht bewege, werde seine Regierung tun, was in ihrer Macht liege. Möglichkeiten hätte dazu unter anderem die Umweltbehörde EPA über die Begrenzung von Emissionen auf dem Verordnungswege.

Aber Obama hatte andererseits auch die Ausweitung der heimischen Ölförderung gefeiert, die nur mit vergleichsweise riskanten Bohrungen am Rand des Schelfmeeres und in der Tiefsee, beziehungsweise in arktischen Gewässern möglich ist. Und er hatte sich selbst für die höchst umstrittene unkonventionelle Gasförderung auf die Schultern geklopft, das sogenannte Fracking (Fracking - Neuer Öl- und Gasrausch oder kommt jetzt die großflächige Verseuchung?), gegen die es zumindest in einigen US-Bundesstaaten heftigen Widerstand gibt. Wie ein Wildfeuer habe sich die Bewegung im Bundesstaat ausgebreitet, schreibt ein Beobachter. Im Sinne des Präsidenten und seiner Partei scheint das nicht zu sein:

Now, in the meantime, the natural gas boom has led to cleaner power and greater energy independence. We need to encourage that. And that's why my administration will keep cutting red tape and speeding up new oil and gas permits.

Barack Obama, State of the Union Address

Auch in den USA ist offensichtlich in Fragen des Klimaschutzes wenig Verlass auf die Regierung. Dennoch darf man gespannt sein, ob Obama schließlich grünes Licht für die umstrittene Pipeline aus Kanada gibt, oder ob die wieder erstarkende Umweltbewegung in dieser Frage einen wichtigen Etappensieg erringen kann.