Fernsteuerbare Zombie-Kühlschränke und Netzverkäufe

Wie Stromkonzerne ihre Betriebsrisiken auf die Bürger abwälzen wollen

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Von der Energiewende offensichtlich überrumpelt, suchen die Stromkonzerne nach Lösungen, um in Zukunft wieder kräftig abkassieren zu können. So bemüht sich Entso-E, der Lobbyverband der Übertragungsnetzbetreiber, derzeit darum, die EU-Kommission in Brüssel dafür zu begeistern, den bei Industriekunden üblichen Lastabwurf wenn Strom knapp wird, auch bei den privaten Endkunden zu etablieren. Während die Industriekunden jeweils selbst entscheiden können, welche Prozesse sie für eine bestimmte Zeit vom Netz nehmen und dafür eine Entschädigung vom Stromversorger erhalten, will man das Verfahren bei den privaten Kunden automatisieren und dem Kunden weder Mitspracherecht noch Entschädigungsanspruch einräumen.

In ganz Europa sollen alle Kühlschränke, Gefriertruhen, Waschmaschinen, Warmwasserboiler und vergleichbare Geräte auf Kosten der Verbraucher mit fernsteuerbaren Schaltern ausgestattet werden, um die Geräte dann ohne Wissen der Verbraucher vom Netz nehmen zu können, wenn Strom knapp und teuer wird. Mit dem Smart Grid sollen die Verbraucher dann nicht nur hinsichtlich ihres Nutzerverhaltens überwacht werden, sondern zudem auf die permanente Verfügbarkeit ihrer Geräte verzichten. Statt teuere Reservekraftwerke vorzuhalten, könnten die Übertragungsnetzbetreiber dann das Netz stabilisieren, indem sie bei den Haushaltskunden die Geräte abschalten.

Wird ein Kühlschrank ferngesteuert abgeschaltet, können Lebensmittel ohne Wissen des Verbrauches verderben und dessen Gesundheit gefährden. Foto: W.J.Pilsak. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Nach den Plänen von Entso-E sollen neue Haushaltsgeräte in Zukunft zwingend mit der für eine ferngesteuerte Abschaltung notwendigen Technik ausgestattet werden, was mit Preiserhöhungen von etwa 50 Euro pro Gerät verbunden sein dürfte. Dazu kommen noch die Kosten für die kommunikationstechnische Anbindung sowie deren Betriebskosten. Im Endausbau könnten dann vielleicht 0,5 Milliarden Haushaltsgroßgeräte in Europa in die Verfügungsgewalt der Netzbetreiber übergehen. Spätestens dann werden die Kunden bemerken, dass der Strom doch nicht immer aus der Steckdose kommt.

Bei den Lebenszyklen der Haushaltsgroßgeräte könnten ferngesteuert abschaltbare Geräte jedoch erst 10 bis 15 Jahre nach Verfügbarkeit der notwendigen Steuermodule flächendeckend einsetzbar sein. In diesem Zeitraum könnte dann auch die Infrastruktur für ein zur Steuerung benötigtes Smart Grid etabliert sein. Berücksichtigt man jedoch, dass der Haushaltsstromverbrauch gerade einmal 20-25% des gesamten Strombedarfs hierzulande ausmacht (und Waschmaschinen sowie Kühlschränke daran wiederum mit weniger als 20% beteiligt sind), zeigt sich, wie wenig sinnvoll eine weitere Verfolgung der Idee eines ferngesteuerten Lastabwurfs bei den privaten Endverbrauchern ist.

Netzverkauf

Die Stromversorger scheinen sich derzeit mit einer gewissen Panik an jeden Strohhalm zu klammern, der es ihnen ermöglicht, ihre Betriebsrisiken auf Dritte abzuwerfen.

So will sich der Energiekonzern E.on aus seinem Stromnetz in Ostwestfalen verabschieden, das man erst im vergangenen Jahrzehnt über Fusionen aufgebaut hatte. Nachdem mehrere Kommunen in Ostwestfalen-Lippe ihre Stromnetze nach Ablauf der bisherigen Konzessionsverträge wieder in die eigene Hand nehmen wollten, war abzusehen, dass sich das bisher geschlossene Versorgungsgebiet zum Flickenteppich entwickeln würde. Da die Gewinne aus der Stromverteilung inzwischen von der Bundesnetzagentur reguliert werden und somit begrenzt sind, verlieren die großen Stromversorger das Interesse an den Verteilnetzen. Zudem stehen die Betreiber der Netze im Rahmen der Energiewende vor umfangreichen und kostspieligen Investitionen. Diese Kosten wollen die Energieversorger jetzt gerne auf die Kommunen abwälzen. Da die Stromverbraucher dezentral in der Fläche angesiedelt sind, ist auch die entsprechende Infrastruktur dezentral verteilt und bietet nur noch wenig Rationalisierungspotential.

In Ostwestfalen will E.on im Rahmen des Rückzugs aus der Fläche seine Aktienmehrheit von 63% an der E.on Westfalen-Weser AG an die kommunalen Aktionäre des Unternehmens sowie andere Kommunen im Versorgungsgebiet verkaufen. Finanziell gut aufgestellte Städte und Gemeinden sehen in der Investition in die kommunalen Stromnetze eine sichere Bank, weil sie davon ausgehen, dass aus den staatlich regulierten Netzentgelten berechenbare (weil garantierte) Renditen fließen. Dabei gehen offensichtlich alle Beteiligten derzeit davon aus, dass die Bürger auf Dauer auch Kunden der öffentlichen Stromversorgung bleiben werden. Für den Fall dass sich Endverbraucher mit einer eigenen Stromversorgung vom Netz lösen wollen, gibt es Überlegungen, eine Gebühr für Selbstversorger zu erheben, die dem lokalen Netzbetreiber zufließen soll.

Den Stromverkauf in Ostwestfalen will E.on nach dem Netzverkauf übrigens behalten und hat im Vorfeld des Verkaufs den Stromvertrieb aus der regionalen Netzgesellschaft herausgelöst. Der Düsseldorfer Stromversorger will sich in Zukunft offensichtlich auf die profitableren Geschäftsfelder im Ausland konzentrieren. Den Stromverkauf könnte man dann auch von Standorten aus organisieren, an denen Lohnkosten und Steuern niedriger als in Deutschland sind.

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