Pornoverbot und Überwachung

Island: Auch in der Oase der Informationsfreiheit gibt es einen Innenminister, der Pornografie im Internet verbieten will. Für Kritiker ist das eine Gelegenheit, noch einmal deutlich zu machen, warum der Preis dafür zu hoch ist

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Der leichte Zugang zu Netzseiten mit pornografischen Inhalten inspiriert Politiker, insbesondere Innenminister, immer wieder zu öffentlichen Erwägungen über ein Verbot solcher Inhalte. Ein gewisser Publikumserfolg ist garantiert. Doch selbst in Ländern wie Ägypten, wo Salafisten den Vorschlag unterbreiteten und auf die unbedingte moralische Unterstützung ihrer Anhänger zählen können, hat ein solches Verbot keine großen Chancen auf Verwirklichung.

Umso mehr erstaunte, dass Ende Januar ein neuer Anlauf zum Verbot von Pornografie im Internet vom Innenminister eines Landes öffentlich verlautbart wurde, das zuletzt vor allem durch seine Fortschrittlichkeit Schlagzeilen machte: Island (Direkte Demokratie: Modell Island, vorbildlich für Europa?). Es ist knapp zwei Jahre her, da wurde Island mit seinem neuen Mediengesetz als weltweiter Hoffungsträger gerühmt (Informationsfreiheit: Islands Lehrstunde für die EU).

Und es gab auch Stimmen in Island, die der Absicht des Innenministers Ögmundur Jónasson Fortschrittlichkeit attestierten. Island unternehme einen sehr progressiven Schritt, den kein anderes demokratisches Land versucht habe, bescheinigte ein Professor, der als Experte für Pornografie ausgewiesen wird. Man blicke aus einer neue Persepektive auf Pornografie, im Fokus stünden die Schäden, die sie anrichte, bei den Darstellerinnen - und bei Kindern, wie von Seiten des Innenministers betont wurde. Man wisse einen parteiübergreifenden Konsens in der Sache hinter sich, bekräftigte Jónassons Beraterin, Halla Gunnarsdottir.

"Wenn wir einen Mann zum Mond schicken können, dann müssten wir dazu imstande sein, Porno im Internet zu bekämpfen."

Während der Innenminister indirekt auf einige Schwierigkeiten hingewiesen hatte, indem er davon sprach, dass ein Komitee erst die legale Definition von Pornografie zu prüfen hätte und erst noch zu klären sei, welche Maßnahmen die Exekutive anwenden könnte, um den Zugang zur Pornografie zu beschränken, wischte seine Beraterin Gunnarsdottir die Schwere etwaiger Hindernisse vom Tisch. Gerade Einwände technischer Art sollten sich nicht in den Weg stellen, verkündete sie Mitte Februar:

Im Augenblick suchen wir die besten technischen Möglichkeiten, um dies (das Sperren pornografischer Inhalte, Einf. d. A.) zu schaffen. Aber sicher ist, wenn wir einen Mann zum Mond schicken können, dann müssten wir dazu imstande sein, Porno im Internet zu bekämpfen.

"Zu welchem Preis?"

Es dauerte nicht lange, bis die Kritiker dieser Bedenkenlosigkeit den Boden entzogen. Den Anfang machte Birgitta Jónsdóttir, auch in Deutschland für ihren Einsatz für Island als Oase der Pressefreiheit im Zusammenhang mit WikiLeaks bekannt. Sie zollte Jónasson Respekt für seine bisherige progressive Gesetzgebungsarbeit und sein nobles Ziel, Kinder vor bestimmten Webseiten schützen zu wollen, stellte aber dazu die zentrale Frage: "Zu welchem Preis?"

Es sei unmöglich, Zensur einzuführen, ohne die Meinungsfreiheit zu beschränken, stellte Jonsdottir dem Vorschlag des Innenministers entgegen. Und das ist auch die Argumentationslinie, die in einem heute veröffentlichten offenen Brief international bekannter Bürgerrechtsorganisationen und Persönlichkeiten, noch einmal herausgestellt wird. Wobei der Brief an den Innenminister dessen Projekt mit der Zensur totalitärer Staaten auf eine Stufe stellt. Island dürfe kein Role-Model für Internet-Zensur sein, so die Mahnung.

Im Zentrum des Briefes steht die Beobachtung, dass Zensur im Internet eine Verkleidung angenommen habe. Es gehe dabei nicht mehr allein um Verbote, sondern auch um Zugangsbeschränkungen. So dass man nicht mehr nur eine Stimme oder eine Ansicht zum Schweigen bringe, sondern der Öffentlichkeit den Zugang dazu verschließe. Dem stehe aber entgegen, dass die Öffentlichkeit das Recht habe, die "Welt so zu sehen, wie sie ist". Das sei unbedingt nötig, um die Stärken und die Grundfunktionen einer Demokratie aufrechtzuerhalten, müsse gegen alle Kosten geschützt werden.

Zensur ohne Überwachung der Telekommunikation ist unmöglich

Die Argumente sind nicht neu. Dass sich Vertreter international renommierter Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation (EFF) oder Ethan Zuckermann vom MIT Center für Civic Media in die Diskussion einschalten, hat damit zu tun, dass sich Island einen emblematischen Ruf für Freiheitsrechte erworben hat und Überlegungen darüber, wie sich ein Pornoverbot mit grundlegenden Freiheiten im Netz vereinbaren lasse, in einer besonderen Aufmerksamkeit steht. Entsprechend ernst nimmt man die Gelegenheit, hier auf einen Grundsatz hinzuweisen, der von Sperren-Befürwortern immer kleingehalten wird, indem man den Blick auf das moralische Gebot der Sache lenken will:

Es ist technisch unmöglich, Inhalte, die über das Internet vermittelt werden, zu zensieren, ohne jede Telekommunikation zu überwachen. Nicht nur unerwünschte Kommunikation oder unangemessenes Material, alles muss automatisch von ihrerseits nicht beaufsichtigten Maschinen geprüft werden. Diese treffen dann die endgültige Entscheidung darüber, ob bestimmte Inhalte weitervermittelt werden oder nicht. Diese Art der Überwachung durch die Regierumng steht in direktem Konflikt mit der Idee einer freien Gesellschaft.

Geht es nach Birgitta Jónsdóttir, so hat die Initiative des Innenministers "null Chancen" durchs Parlament zu kommen. Sie sitze selbst im parlamentarischen Komitee zu dem Thema, dort arbeite man längst an alternativen Vorschlägen.