"Unglück in Zeitlupe"

Republikaner und Demokraten konnten sich nicht einigen, nun treten die automatischen Zwangskürzungen in Kraft, die eigentlich niemand wollte

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Es sollte ein Horrorszenario sein: Dramatische Einschnitte in das Haushalts-Budget würden automatisch in Kraft treten, sollte sich der US-Kongress bis Freitag auf kein ausbalanciertes Sparprogramm einigen. Der Gedanke hinter dieser Drohtaktik, im Zuge des zaudernden Kongresses von Obamas Beraterstab im Sommer 2011 als Budget Control Act of 2011 erwogen: In Anbetracht der schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen durch die Einschnitte würden Republikaner und Demokraten einen Moment der Einsicht erleben, sich zusammenraufen und gemeinsam ein Etat ausarbeiten.

Ob naiv oder idealistisch, der Plan ist nicht aufgegangen. Mehrmals verschoben, zuletzt Anfang des Jahres, ist das Szenario, das nicht stattfinden sollte, seit heute Teil der amerikanischen Realität.

US-Präsident Obama: "They've allowed these cuts to happen because they refuse to budge on closing a single wasteful loophole to help reduce the deficit." Bild: Weißes Haus

Dabei hatte Obama noch am Donnerstag zu einem letzten Gipfeltreffen ins Weiße Haus geladen. Sein Appell nach höheren Steuereinnahmen, die er durch das Schließen von Steuerschlupflöchern im Wert von 800 Milliarden Dollar, so genannter Loopholes, erzielen wollte, wurde jedoch nicht aufgegriffen. Der republikanische Parlamentspräsident John Boehner sagte über die erfolglosen Gespräche: "Der Präsident hat am 1. Januar seine Steuererhöhungen bekommen. Aus meiner Sicht ist die Diskussion über Staatseinnahmen vorbei." Jetzt gehe es darum, Washingtons Ausgabenproblem zu lösen.

Im Klartext heißt das: Alleine im aktuellen Haushaltsjahr stehen für die USA Kürzungen von 85 Milliarden Dollar (65 Milliarden Euro) an. Und zwar ohne abzuwägen Querbeet durch alle Ressorts, so wie es die Funktion der Sequestration (Zwangskürzungen) vorsieht. Um das Staatsdefizit abzubauen folgen in den kommenden zehn Jahren Ausgabenkürzungen in der Höhe von insgesamt 1,2 Billionen Dollar (910 Milliarden Euro).

Betroffen sind Budgets von Schulen, Strafverfolgungsbehörden, der Wissenschaft, Kinderbetreuungsprogramme und Hilfe für Arbeitssuchende. Bildungsunterstützung für ärmere und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf fallen weg, ebenso muss die staatliche Krankenversicherung Medicare Kürzung von 11.6 Milliarden in Kauf nehmen; Umweltpläne wie Clean Water and Air müssen mit weniger Geld auskommen. Auch die Kosten für die Arbeitslosenversicherung wird steigen, laut Daten des Bipartisan Policy Center. Den jeweiligen Effekt pro US-Bundesstaat hat die Washington Post aufbereitet.

Sogar die Kronjuwelen bekommen ein Kratzer ab. Der Sparhammer trifft das unantastbare Militärbudget tatsächlich am härtesten. Von den 85 Milliarden-Kürzungen in diesem Jahr entfallen mit 46 Milliarden mehr als die Hälfte auf die US-Armee. Ausgaben für neue Schiffen, Training, Wartung und Entwicklung müssen eingeschränkt werden; die beliebte Kunstflugstaffel der Navy, The Blue Angels, wird wohl auf einige Flugshows verzichten.

Chuck Hagel, frisch ernannter Verteidigungsminister, sagt bereits, weniger Geld könnte die Arbeitsweise des Pentagons auf Spiel setzen. Ähnliche Sorgen äußerte sein Vorgänger Leon Panetta vor wenigen Wochen. Und John McCain sieht die Nationale Sicherheit in Gefahr. Auf FOX News warnte er: "Es ist eine gefährliche Welt", in Nordkorea gäbe es Spannungen, in "Teheran drehen sich die Zentrifugen", dazu der instabile Nahe Osten: "Einer dieser Orte könnte jeden Moment explodieren - und wir haben weitere Kürzungen?"

"Es ist einfach nur dumm und es wird wehtun"

Obama dagegen sieht die Sparsituation nicht ganz so dramatisch. "Das ist keine Apokalypse. Es ist einfach nur dumm und es wird wehtun", erklärte er. Mit "keiner Apokalypse" meinte er wohl vor allem, dass man die Kirche im Dorf lassen möge. Immerhin liegen die Kürzungen ja eigentlich nur bei knapp 3 Prozent des jährlichen 3.5 Billionen Dollar Haushalts der USA.

Dass es dennoch wehtun wird, weil es zwar keine drastischen sofortigen aber schleichenden Folgen auf die Konjunktur haben wird, will gleichwohl auch er nicht bestreiten. Die Kredit-Ratingagentur Fitch schreibt zwar die Zwangkürzungen wären "manageable" und würden zumindest kein Downgrade der USA auslösen. Das Congressional Budget Office aber dagegen schätzt, dass das Wirtschaftswachstum in den USA in diesem Jahr durch das Spargelage um 0,6 Prozentpunkte geringer ausfallen könnte. Und durch die Unfähigkeit der Politik einen Kompromisses im Haushaltstreit zu finden stehen dazu etwa 750.000 bis 1 Millionen Jobs auf der Kippe.

Dass die Sequestrion keine "Apokalypse" sei, meint auch Loren Adler, Senior Policy Analystin beim Bipartisan Policy Center. Tatsächlich nämlich sei es vielmehr ein "Zugunglück in Zeitlupe", zitiert das Kongressbranchenblatt The Hill Adler. Der entscheidende Moment sei freilich jetzt, aber die Lichter würden nicht sofort ausgehen. Denn das Horrorszenario wird erst in den kommenden Wochen und Monaten schleichend eintreten. Dann werden Angestellten die ersten unbezahlten Urlaubstage und Wochen nehmen müssen.

Am Ende lässt sich feststellen: Auch in Obamas zweiter Amtszeit geht der Stellungskrieg und das Fingerzeigen zwischen Demokraten und Republikanern munter weiter. Man darf annehmen, dass in so einer Situation nationaler Dringlichkeit sogar zwei verfeindete Pausenhofgangs mehr Kompromissbereitschaft aufbrächten als die gegenwärtigen Washingtoner Mandatsträger.

Ein kürzlich von CNN durchgeführter Kongress-Abgeordneten Schnelltest bietet einen flüchtigen Einblick in das real gewordene Horrorszenario D.C.: Auf die Frage, ob sie sich in Zuge der Sparmaßnahmen vorstellen könnten, auch etwas von der eigenen Lohntüte abzuziehen, antworteten der Großteil der Politiker mit: "Ja, auf jeden Fall. Wir leiden doch alle zusammen." Ob sie wussten, dass ihnen per Gesetz die Hände gebunden sind, selbstständig ihr Gehalt (nach unten) zu ändern? Tea-Party-Mitglied Michele Bachmann war da etwas ehrlicher. Sie wüsste, dass sie Einschnitte in Kauf nehmen müsste, sagte sie, und sei daher bereit, Mitarbeiter gehen zu lassen.