Wer sind die Urheber?

DIE ZEIT erzählt noch immer das Märchen vom armen Poeten und dem bösen Internet

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Wenn am Donnerstag die Leipziger Buchmesse beginnt, werden wohl etliche Autoren wieder naiv das Urheberrecht beschwören, dem sie vorgeblich ihr Einkommen verdanken. Tatsächlich allerdings kann vom Schreiben allein nur ein handverlesener Bruchteil der Poeten wirklich leben. Galt es früher bei Kulturschaffenden als intellektuell, die Schuld für kommerziellen Misserfolg von großer Kunst "dem Fernsehen" zu geben, das den Publikumsgeschmack verderbe, so soll es heute "das Internet" sein, das durch "Raubkopien" die Schöngeister um ihren sauer verdienten Lohn prelle. Als wohl eifrigste Kassandraruferin unter den Medien tut sich in zunehmend fragwürdiger Weise DIE ZEIT hervor.

Während des Landtagswahlkampfs in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mail 2012 überraschte der umtriebige Literaturagent Matthias Landwehr mit einer Kampagne von rund 5.000 Personen, die wissen ließen, sie seien "die Urheber" und außerdem gegen "den geistigen Diebstahl". Zuvor hatten unbeholfene Aktionen von Tatort-Drehbuchautoren und Handelsblatt-Köpfen unfreiwillige Komik produziert. Die Masse der aufgebotenen Namen von Landwehrs Kampagne beeindruckte das Publikum, die Journalisten kapitulierten - soweit sie nicht ohnehin eingespannt waren. DIE ZEIT etwa druckte nicht nur unkritisch die 100 Erstunterzeichner ab, sondern verklärte Landwehrs Lobby-Larmoyanz pathetisch zum "ZEIT-Aufruf".

Etwa 5.000 leichtgläubige Menschen hatten treuselig Landwehrs listige Lebenslüge "Das Urheberrecht ermöglicht, dass wir Künstler und Autoren von unserer Arbeit leben können" unterschrieben. In der realen Welt jedoch gelingt es nur einer handverlesenen Schar an Kreativen, tatsächlich von ihren geistigen Schöpfungen zu existieren. Den Zahlen der Künstlersozialkasse zufolge nagten Künstler schon immer am Hungertuch. Seit dem Filesharing-Zeitalter geht es ihnen nicht messbar schlechter, im Gegenteil sogar hat sich das Durchschnittseinkommen der Künstler verbessert.

"Arme Poetin"?

Die Realität erkennt man bereits beim Namen der zweiten Erstunterzeichnerin, einer "Felicitas Hoppe", deren literarischer Glanz sich vermutlich den wenigsten ohne den Kostenlos-Content von Google und Wikipedia erschließt. Dort allerdings erfährt man, dass die Dichterin keineswegs nur vom Urheberrecht lebt, sondern regelmäßig Literaturstipendien abgegriffen und etliche dotierte Literaturpreise eingesackt hat. Hauptberuflich allerdings jobbt sie als Dozentin, zuletzt als Gastprofessorin an der Uni Hamburg. Hoppe schreibt auch als Journalistin, etwa für den von der Allgemeinheit finanzierten Rundfunk. Die Rundfunkhäuser wiederum überweisen dem Großteil von Hoppes prominenten Kollegen auf der ZEIT-Liste regelmäßig Auftrittshonorare und Tantiemen.

Felicitas Hoppe. Bild: Lesekreis. Lizenz: CC0-1.0

Bei einer Durchsicht der restlichen Namen wird man kaum 50 Unterzeichner wirklich zur Prominenz zählen wollen. Von denen wiederum existieren offensichtlich die wenigsten vom Abverkauf von Informationsträgern. 99% der empörten Urheber sind absolute Nobodys, von denen etwa Google selten mehr als deren Präsenz auf Landwehrs Liste kennt. Stichproben ergaben, dass sich auf der Liste Übersetzer, Organisten und Opernsänger als Urheber wahrnehmen, was juristisch zutreffend sein mag, aber eher mit künstlerischem Handwerk als mit wirklicher Kreativität zu tun hat. Urheber ist man juristisch bereits, wenn man mit dem Handy ein Foto gemacht hat. Und selbst bei den tatsächlich am Buchmarkt präsenten Literaten dürften die wenigsten Namen an Tauschbörsen auftauchen, wo eher Werke der audiovisuellen Populärkultur und Pornografie geteilt werden. Bei Werken der Dichtkunst dürften dort gerade einmal Hörbücher eine nennenswerte Rolle spielen.

Unterschreibende Schreiber

Auch die wirklich Prominenten, die auf der Liste als Hüter des Urheberrechts posierten, müssen sich fragen lassen, ob sie auch nur eine ungefähre Vorstellung davon haben, welchen Unsinn man ihnen da untergejubelt hat, denn die wenigsten sind von Filesharing und Streaming überhaupt betroffen. Der Schauspieler Mario Adorf etwa erhält vermutlich erfolgsunabhängig Festgagen, der TV-Regisseur Jo Baier arbeitet für das gebührenfinanzierte Fernsehen, der Filmregisseur Helmut Dietl sitzt tief im Speck der öffentlichen Filmförderung, kann also seinen jüngsten Flop verkraften. Trotz einem Jahrzehnt Filesharing geht es der Kinobranche so gut wie noch nie. Blockbuster verschlingen inzwischen Produktionskosten von über 200 Millionen $, die sich offensichtlich rechnen. Autorenfilme wurden auch früher subventioniert. Die Horrorszenarien von lächerlichen Kampagnen wie "Raubkopierer sind Verbrecher" und Respect Copyrights, die ein Ende der Filmkunst suggerierten, sind ausgeblieben.

Theaterdonnerer, Einbilder, Mottowagenbauer

Theaterintendant Jürgen Flimms Arbeitsplatz wird ganz überwiegend von Steuerzahlern und vielleicht auch Mäzenen subventioniert. Flimm dürfte sogar eher unter Urheberrecht leiden, das ihm bei Budgets und Regiefreiheiten behindert. Auch der Maler Norbert Bisky wird eher Originale als Kopien verkaufen. Hätte Bisky generell etwas gegen die Verbreitung seiner Werke einzuwenden, so würde man den offenbar kapitalistische Allüren pflegenden Sohn eines bekannten Kommunisten vermutlich gar nicht kennen.

Sven Regener. Bild: Smalltown Boy. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Profimusiker Helmut Zerlett lebt überwiegend von Auftragswerken für TV-Filme und Livemusik, seine Tonträgerangebote sind wohl eher ein Hobby. Zu den auffallend wenigen namhaften Musikern, die sich zum schimpfenden Sven Regener gesellten, gehörte neben Wolfgang Niedecken und Udo Lindenberg ausgerechnet Dr. Motte, der nur wenige Monate später so laut wie kein Zweiter gegen die Ausbeutung durch die GEMA wetterte. Von den sonstigen Musikern auf Landwehrs Liste ist Derrick-Komponist Frank Duval noch der Bekannteste.

Wolfgang Niedecken. Bild: HagenU. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Stichproben: Unklar ist, wer mit "Lisa Schmitz" gemeint sein könnte. Die Fußballerin dieses Namens ist bislang noch nicht durch Urheben aufgefallen, eine gleichnamige Romanfigur ist wohl keine Urheberin. Ähnlich rätselhaft verhält es sich mit dem Unterzeichner "Felix Menzel", bei dem es sich vielleicht um einen Freistilringer diesen Namens, vielleicht aber auch um einen selbst ernannten Rechtsintellektuellen handelt. Der Österreicher Performance-Künstler Merlin Bauer dürfte kaum unter Piraterie im Internet leiden. Bauer gestaltete übrigens 2010 beim Kölner Rosenmontagszug einen Wagen ausgerechnet mit dem Motto: "Ihr seid Künstler und wir nicht!"

"Entrechtung von Künstlern und Autoren"

Der Verdacht liegt nahe, dass Landwehr neben seinen Hauskünstlern und denen der ZEIT-Redaktion im Wesentlichen wohl eine Massen-E-Mail an die Mitglieder von Verwertungsgesellschaften versandt hatte, denen er das Schreckgespenst "global agierender Internetkonzerne" ausmalte, "deren Geschäftsmodell die Entrechtung von Künstlern und Autoren in Kauf nimmt." Eine Kopie im Internet ist allerdings so wenig eine "Entrechtung", wie durch eine Fotografie die Seele eines Menschen aufgesogen wird. Die von Landwehr genasführten Urheber wirken ähnlich uninformiert wie die Rentner, die gegen Google Street View protestierten, indem sie sich von Pressefotografen vor ihrer Hausfassade hatten ablichten lassen.

Der Beweis, dass Filesharing den Umsätzen von legalem Handel unterm Strich geschadet hätte, ist noch immer nicht geführt. Filesharer geben im Durchschnitt sogar mehr als andere für Kultur aus, schöpfen vermutlich ihr Budget insoweit gänzlich aus. Die Sängerin Adele verkaufte ihr Album "21" innerhalb eines Jahres öfter als Michael Jacksons Album "Thriller", obwohl man sich ihre Musik rund um die Uhr im Internet - sogar legal - anhören kann. Die Nachfrage nach Monty Python-DVDs boomte, nachdem ihre Clips auf YouTube auftauchten. Tatort-Drehbuchautoren hingegen fiel nichts Groteskeres ein, als sich zu Mordopfern zu stilisieren, denen ein Anonymous-Aktivist mit Guy Fawkes-Maske das Herz herausreißt. Tatsächlich einmal wurde im Dunstkreis von Anonymous das Urheberrecht spektakulär verletzt - als die geheimen Lehrbücher von Scientology bei WikiLeaks auftauchten, was dem Geschäftsmodell der obskuren "Wissenschaftskirche" mit den maßlos überteuerten Pflichtwerken empfindlichen Schaden zufügte.

Adele. Bild: Christopher Macsurak. Lizenz: CC-BY-2.0

Die Branche, bei der man am ehesten nennenswerte Einbußen durch Filesharing vermuten darf, ist die Kunstgattung der Pornografen, die mancher vermutlich lieber anonym beschafft. Das Engagement der ZEIT-Feuilletonisten sollten die Fleischbeschau-Zulieferer zum Anlass nehmen, aus Dank der Redaktion ruhig mal ein paar Arbeitsproben ihrer Künste zu schicken - vielleicht springt ja sogar eine Rezension dabei heraus.

Die Tatsache, dass sich von den wirklich bekannten Kreativen nur eine Handvoll vor Landwehrs PR-Karren spannen ließ, lässt hoffen. Manche Urheber distanzierten sich sogar von dem Text, etwa die Freischreiber, denen der dreiste Satz "Der [...] behauptete Interessensgegensatz zwischen Urhebern und Verwerten entwirft ein abwegiges Bild unserer Arbeitsrealität" übel aufstieß. So hätten freie Autoren ziemlich selten das Problem, von gierigen Nutzern "entrechtet" zu werden, dies täten vielmehr die Verlage. ZEIT-Feuilletonchef - und vormaliger Verlagslektor - Jens Jessen fand es zwar witzig, für Landwehr einen Papier-Shitstorm zu entfachen, sah es jedoch nicht als seine Aufgabe an, Lösungen anzubieten.

Von den Umsätzen mit Material der Urheber erhalten diese übrigens im Schnitt keine 5%, während das eigentliche Geschäft die unkreativen Verwerter machen.

Raubkopierer und ZEIT-Diebe

Die durchsichtige PR-Attacke scheint immerhin so erfolgreich gewesen zu sein, dass ein Großteil der Bevölkerung etwa der Piratenpartei unterstellt, sie wolle "das Urheberrecht abschaffen", was sogar manche Journalisten noch immer zu glauben scheinen. So peinlich die infame Kampagne von 2012 auch gewesen sein mag, so scheint DIE ZEIT die Zeichen selbiger noch immer nicht erkannt zu haben, sondern gefällt sich weiterhin in der Rolle des Urheberrechts-Don Quichotte, der gegen die Tauschmühlen des Internets anreitet.

So behauptete DIE ZEIT mal eben, der bemerkenswert teuer produzierte Film Cloud Atlas sei im Kino nur mäßig erfolgreich gewesen, weil schlechte Menschen Bootlegs ins Internet gestellt hätten. Eine Erklärung für die sich aufdrängende Frage, warum andere Filme die Massen nach wie vor ins Kino locken und sich rechnen, bleibt DIE ZEIT jedoch schuldig, sondern verbreitet schlicht und ergreifend Desinformation. Der Autor dieser Zeilen hat Cloud Atlas übrigens im Kino gesehen - auf Empfehlung und in Begleitung ausgerechnet bekannter Piraten, die sich den Streifen sogar ein zweites Mal ansahen und gerne für das Leinwanderlebnis bezahlten. Filmproduzent Arndt, welcher der ZEIT seine faktenfreie Verschwörungstheorie über Raubkopierer in die Feder diktierte, wäre besser beraten gewesen, die Spezialeffekte von Cloud Atlas bei Timo Vuorensola in Auftrag zu geben, der vergleichbare Schauwerte zu einem Bruchteil des Budgets realisierte.

DIE ZEIT verstieg sich dabei sogar zu einer lupenreinen Verschwörungstheorie über Google und die scheinbar käufliche Politikwissenschaftlerin Jeanette Hoffmann, die sich eine solche Rufschädigung nicht bieten ließ.

Website gegen Internet

Die eigentliche Ironie an Landwehrs Kampagne aber ist, dass er neben der ZEIT, deren Ausgabe inzwischen im Altpapier liegen dürfte, als Medium für seinen Lobby-Protest das kostenlose und allgegenwärtige Internet benutzt - und damit also nach seiner eigenen Logik die Flugblatt-Industrie und sonstige Werbebranche schädigt.

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