Werden zu Stammzellen umprogrammierte Gewebezellen noch in diesem Jahr am Menschen getestet?

Japanische Forscher wollen Stammzellen aus Hautproben erzeugen und für die Behandlung von Blinden einsetzen - die Vorarbeiten könnten noch in diesem Jahr beginnen

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Als es vor sieben Jahren erstmals gelang, Gewebezellen zu Stammzellen umzuprogrammieren, schien eine Anwendung in der Medizin weit entfernt. Jetzt haben japanische Forscher die erste Hürde genommen und hoffen, Ende des Jahres diese Zellen im Menschen zu testen. Sechs erblindete Patienten, die an altersbedingter Makuladegeneration leiden, könnten den Anfang machen: Umgewandelte Stammzellen, die aus Hautzellen hergestellt wurden, sollen in die Retina des Auges transplantiert werden. Doch das hohe Tempo birgt Gefahren - ein Fehlschlag könnte das Feld weit zurückwerfen.

IPS-Zellen aus umprogrammierten Hautzellen. Bild: Shinya Yamanaka, Center for iPS Cell Research and Application, Kyoto University

Im Jahr 2006 präsentierte der Japaner Shinya Yamanaka der verblüfften Fachwelt eine Methode, die mit einem Schlag gleich mehrere Probleme löste: Er schleuste vier Gene in gewöhnliche Hautzellen ein und weckte in ihnen Eigenschaften, die man bis dahin nur von embryonalen Zellen kannte - schnelles Wachstum und die Fähigkeit, fast jede Zelle des Körpers hervorzubringen (Zwei Forscherteams konnten menschliche Körperzellen in Stammzellen umprogrammieren). Und da für die Herstellung keine menschlichen Embryonen zerstört wurden, musste man sich auch nicht mit ethischen Problemen herumschlagen. Bald verwendeten Forscher in der ganzen Welt diese iPS-Zellen, und schon sechs Jahre später erhielt Yamanaka den Nobelpreis für Medizin.

Und es ist jetzt auch eine Wissenschaftlerin aus Japan, die die ersten menschlichen Studien mit iPS-Zellen in der Zeitschrift angekündigt hat. Die altersbedingte Makuladegeneration ist eine weitverbreitete Krankheit, bei der Retinazellen im Auge absterben und die bei Senioren zur schrittweisen Erblindung führt. Sechs solcher Patienten sollen mit ihren eigenen, im Labor veränderten Zellen behandelt werden. Das ist zeitaufwendig: Erst werden aus Hautproben iPS-Zellen hergestellt, dann müssen sich aus ihnen die benötigten Retinazellen entwickeln. Etwa acht Monate werden vergehen, bis genügend Zellen vorhanden sind, um sie in das Auge zu transplantieren. Allerdings dürfen die Patienten auch dann nicht auf Heilung hoffen - ihre Erkrankung ist bereits zu weit fortgeschritten, um die Erblindung rückgängig zu machen. Das eigentliche Ziel der Studie besteht darin, die Unbedenklichkeit der Zellen zu beweisen: Sie dürfen nicht zu Krebszellen werden oder den Patienten auf andere Art schädigen.

Das Tempo ist erstaunlich: Im Jahr 2006 erstmals vorgestellt, 2012 mit dem Nobelpreis geehrt - und 2013 schon die ersten Versuche am Menschen? Wo sich die Grundlagenforschung sonst über Jahrzehnte hinzieht, eilt die Entwicklung der induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) in rekordverdächtiger Geschwindigkeit vom Labor zum Krankenbett. Auch die Pharma-Industrie könnte profitieren, da iPS-Zellen neue Möglichkeiten bei der Entwicklung von Medikamenten eröffnen. Dies hat man auch in Deutschland erkannt und griff - für hiesige Verhältnisse zumindest - tief in die Schatulle. 80 Millionen Euro bekam der Stammzellforscher Hans Schöler aus Münster in die Hand, um ein Institut aufzubauen, das auf allerhöchstem Niveau konkurrenzfähig ist. Japan zeigt sich noch ehrgeiziger und stellt kürzlich mehr als 170 Millionen Euro bereit, mit einem klaren Auftrag: iPS-Zellen so schnell wie möglich kommerziell zu nutzen.

Die erste interne Hürde im Genehmigungsverfahren hat die Studie schon genommen, die beteiligten Institute haben den Antrag an das japanische Gesundheitsministerium weiter geleitet. Die Entscheidung wird allgemein für diesen September erwartet - also in etwa sechs Monaten. Zum Vergleich: Es hat mehrere Jahre gedauert, bis US-amerikanische Behörden die erste Studie am Menschen mit embryonalen Stammzellen genehmigt haben. Die damals beteiligte Firma musste einen Rekordaufwand betreiben, letztendlich 24 Tierversuche durchführen und einen Antrag von mehr als 21.000 Seiten Umfang abgeben.

Die japanische Gruppe wird es einfacher haben, denn das japanische Gesundheitsministerium ist nicht nur für die Genehmigung zuständig, sondern auch für die Förderung der iPS-Technologie. Zusätzlich kann es nicht schaden, dass die Leiterin der Studie, Masayo Takahashi, vor zwei Jahren eine Firma für die Behandlung von Augenkrankheiten mitgegründet hat und so die kommerzielle Entwicklung schnell voran treiben kann. Die in Japan so heiß ersehnte internationale Vorreiter-Position scheint zum Greifen nahe.

Doch die Eile könnte nach hinten losgehen. Schon einmal nahm eine angebliche Wundertherapie schweren Schaden, weil die Forscher zu hastig waren und grundlegende Vorsichtsmaßnahmen außer Acht ließen. Die Gentherapie weckte in den neunziger Jahren ähnliche Erwartungen wie heute die Stammzelltherapie - unheilbare Krankheiten schienen endlich behandelbar. Doch bei einem der ersten Versuche starb der 18-jährige Jesse Gelsinger einen unnötigen Tod, weil sein Körper auf die Therapie mit einem heftigen Schock reagierte (Gentherapie unter Anklage). In der Folge verlor die Gentherapie massiv an Unterstützung, und noch heute haftet ihr teilweise ein negatives Image an.

Ganz so dramatisch kann es die iPS-Zellen nicht treffen, denn die zu behandelnde Krankheit wurde klug gewählt. Die Transplantation in das Auge bietet mehrere Vorteile: Nur eine geringe Zahl an Zellen wird benötigt, das Wachstum lässt sich von außen durch die Augenlinse beobachten und im schlimmsten Falle kann ein Krebsgeschwür relativ problemlos entfernt werden. Schwere Komplikationen oder gar lebensbedrohliche Situationen sind daher äußerst unwahrscheinlich.

Dennoch reagieren führende Stammzellforscher leicht nervös, denn die japanischen Kollegen spielen mit hohem Einsatz. Selbst wenn sich ein ungefährlicher Tumor entwickelt, könnten die Genehmigungsbehörden die Schrauben wieder deutlich anziehen - überall auf der Welt. Und der Ruf der iPS-Zellen wäre ruiniert: Mit einer Therapie, die als Krebs-Risiko wahrgenommen werden, wollen wohl nur die wenigsten behandelt werden.