Wolfgang Clement auf Werbetour für Gerechtigkeit à la Agenda 2010

Wolfgang Clement. Foto: Silvio Duwe

Eine mutige Reform, die Deutschland gerechter gemacht hat?

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Von der FDP lernen, heißt siegen lernen - das denkt sich derzeit wohl das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und geht gemeinsam mit dem neoliberalen Ex-SPD-Arbeitsminister und INSM-Kurator Wolfgang Clement auf Werbetour für Gerhard Schröders Agenda 2010. Die Botschaft ist eindeutig: Die Agenda war eine mutige Reform, die Deutschland gerechter gemacht hat.

"Deutschland geht es gut" - diesen Satz wiederholen Vertreter der Bundesregierung wie der Arbeitnehmerseite unablässig. Die Realität stört da oft nur und muss entsprechend aufgehübscht werden, damit sie zur wohlfeilen These passt. Diesen Kniff kennt nicht nur die FDP, deren Vorsitzender Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler äußerst öffentlichkeitswirksam dafür gesorgt hat, dass der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung bloß kein schlechtes Licht auf die Lage der Deutschen wirft.

Auch die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder genießt bei den Menschen keinen guten Ruf. Doch pünktlich zum 10. Geburtstag der Agenda soll sich das nun ändern, und so tritt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das laut Selbstdarstellung die gemeinwohlorientierten "Interessen der Unternehmerischen Wirtschaft in Deutschland" vertritt, und auch die von der Metall- und Elektroindustrie finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) regelmäßig mit Studien und Analysen beliefert, an, das Image von Schröders Reformpaket rechtzeitig vor der Bundestagswahl kräftig aufzupolieren.

Handelsreisender des Neoliberalismus

Und so stellte IW-Direktor Michael Hüther, der zugleich auch Botschafter der INSM ist, gestern gleich auf zwei Terminen in Berlin seine Sicht der Dinge in Form eines "Faktenpapiers" zu 10 Jahren Agenda 2010 vor - zunächst in einer Pressekonferenz und anschließend in einem Berliner Gespräch Spezial: dort mit tatkräftiger Unterstützung vom Ex-SPDler Wolfgang Clement der eine der treibenden Kräfte hinter der Agenda war und sie bis heute verteidigt. Und der heute als Vorsitzender des INSM-Kuratoriums als eine Art Handelsreisender des Neoliberalismus unterwegs ist.

Für die Zeit vor der Agenda 2010 zeichnet Hüther ein eher düsteres Bild: hohe Arbeitslosigkeit und trübe Konjunkturaussichten hätten damals geherrscht. Doch dann kam die Agenda, und neben das Fördern sei gleichwertig das Fordern gestellt worden. Zwar betont Hüther immer wieder, dass nicht alles Positive allein auf Schröders Reformprogramm zurückzuführen sei. Aber dabei schwingt immer mit, dass es ohne die Agenda düster aussehen würde für die Deutschen. Jedoch sei allein durch die Hartz IV-Reform die strukturelle Arbeitslosigkeit um 1,4 Prozentpunkte gesunken, so Hüther. Zudem seien Minijobs attraktiver gemacht worden.

"Einzelne" hätten sich durch die Reform beim Arbeitslosengeld zwar verschlechtert, teilt das IW mit, doch das sei "konsequent" - immerhin sollte ja der Anreiz erhöht werden, sich einen Job zu suchen.

Kritik nicht nachvollziehbar

Die Kritik, dank den Agendareformen wäre der Arbeitsmarkt prekarisiert worden, kann Hüther nicht nachvollziehen. Die Argumente sprächen dagegen, erklärt er. So sei der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nur bis 2005 zurückgegangen, danach sei er wieder angestiegen. Zudem liege der Anteil der Zeitarbeitnehmer in Deutschland bei lediglich zwei Prozent aller Beschäftigten, das sei im internationalen Vergleich unauffällig. Als hätte es in der Bundesrepublik noch keinen Skandal aufgrund des Missbrauchs der Leiharbeit gegeben, behauptet Hüther, dass der Ausbau der Leiharbeit nicht zu einer Verdrängung von regulärer Beschäftigung geführt habe.

Michael Hüther. Foto: Silvio Duwe

Immerhin sei die Leiharbeit für das entleihende Unternehmen teurer, da es neben dem Lohn auch noch beispielsweise eine Vermittlungsgebühr zahlen müsse, so Hüther. Leiharbeit fange deshalb nur Spitzen in den Unternehmen ab. Auf den Trend, Leiharbeiter durch noch prekärere Werkvertragsarbeiter zu ersetzen, geht Hüther indes nicht ein.

Lob der Lohnzurückhaltung

Beim Berliner Gespräch lobt Wolfgang Clement ausdrücklich die Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer in Deutschland. Zugleich machte er den Euro-Krisenstaaten im Süden Vorwürfe, weil diese die Lohnstückkosten erhöht hätten. Hätte Deutschland unter Rot-Grün nicht gehandelt, wäre die Lage hierzulande heute fast so schlimm wie in Südeuropa, meint Clement. Den Vorwurf, durch die Agenda seien zahlreiche Menschen unfreiwillig in schlecht bezahlte Teilzeitstellen gedrängt worden, will er nicht gelten lassen. Viele Menschen wollten freiwillig Teilzeit arbeiten.

Dass immerhin sieben Millionen Deutsche gern länger arbeiten möchten, um mehr Geld zu verdienen, übergeht Clement ebenso wie die Tatsache, dass Minijobs immer mehr Vollzeitstellen verdrängen. Auch die Zeitarbeit dürfe nicht mit neuen Regeln wieder gefesselt werden, sonst sei sie nicht mehr für die Geringqualifizierten da. Clement, der selbst für Zeitarbeitsfirmen tätig ist, lobt die Zeitarbeitsfirmen dafür, dass sie sich um die Weiterbildung ihrer Leiharbeiter kümmerten.

Das Hauptproblem, das Clement mit der Agenda hat, ist, dass es seit 2005 keine neuen Reformen mehr gab. Dabei seien die weiterhin dringend notwendig. So müsse das Renteneinstiegsalter von 67 Jahren ganz abgeschafft werden. Zudem müsse es eine Freihandelszone zwischen Europa und den USA geben. Dies würde den Druck für weitere Reformen in Europa erhöhen, so Clement.

Gespannte Blicke aus dem Publikum - im Bild: Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Foto: Silvio Duwe

Sowohl Hüther als auch Clement setzen sich dabei weiterhin für die "Lohnzurückhaltung" ein, um internationale Wettbewerbsfähig zu sein - ein Konzept, dass die anderen Länder der Eurozone schon zu einem guten Teil niederkonkurriert und die Eurokrise überhaupt erst möglich gemacht hat. Doch das IW und Clement stehen mit dieser Haltung nicht alleine da, und die Werbetour für den Abbau des Sozialstaates wird weitergehen. Nicht umsonst war auch der INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr unter den Gästen des Berliner Gespräches.

Denn seine INSM plant bereits für nächste Woche ebenfalls medienwirksam ein Loblied auf die Agenda 2010 zu singen - mit dabei ist wiederum Wolfgang Clement. INSM und IW hätten diese Veranstaltungen durchaus bündeln und zu einer zusammenfassen können, immerhin ist man sich nicht nur inhaltlich, sondern auch personell recht verbunden. Doch hinter der Doppelung steckt wohl Kalkül: Immerhin lässt sich so möglicherweise auch das Medieninteresse für das Thema steigern und Druck auf die Parteien ausüben, im Wahlkampf nicht zu sehr vom neoliberalen Kurs abzukommen.