Deutsches Pfandsystem soll auch Spanien säubern

Bild: Ferdi Rizkiyanto

Die Probleme mit dem Plastik-Müll sollen in Spanien über ein "Dosenpfand" eingedämmt werden und die Kanarischen Inseln als Pilotprojekt dienen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Weltweit werden jährlich etwa gut 250 Millionen Tonnen Plastikmaterialen hergestellt, allein in Europa sind es etwa 60 MillionenTonnen pro Jahr. Nur ein kleiner Teil davon wird bisher recycelt, geschätzt etwa 24 Prozent. Der EU-Umweltkommissar Janez Potocnik hat das in der vergangen Woche in Brüssel als "eine enorme Verschwendung von Ressourcen" gebrandmarkt. Spanische Umweltorganisationen wollen diese Verschwendung durch die Einführung eines Pfandsystems deutlich eindämmen. Auf den Kanaren haben sich alle Parteien im Regionalparlament einstimmig für die Einführung ausgesprochen.

"In Spanien kommen täglich 51 Millionen Getränkeverpackungen auf den Markt, so viele wie in Deutschland, bei nur der Hälfte der Bevölkerung", beschreibt Eduardo de Miguel Beascoechea ein riesiges Problem gegenüber Telepolis. Er arbeitet beim Global Nature Fund (NGF) auch daran, das Problem entscheidend einzuschränken. Die Plastikflaschen gesellen sich zum übrigen Plastikmüll und den zahllosen Plastiktüten, die ebenfalls immer stärker in die Kritik kommen (EU will Plastiktüten mit Steuern verdrängen). Die Stoffe, die in der Umwelt nur schwer abgebaut werden, verschandeln nicht nur massiv die Landschaft, sondern werden ins Meer gespült. Geschätzt wird, dass schon 100 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren schwimmen oder sich am Grund abgelagert haben. Sie bedrohen das Meeresleben und gelangen auch in die Nahrungskette.

In Spanien wollen Umweltorganisationen dem nun einen Riegel vorschieben. Sie wollen in dem praktisch vom Mittelmeer und Atlantik umschlossenen Land ein "Dosenpfand" nach deutschem Vorbild einführen, um für einen Teil des Problems eine Lösung zu finden. Für Spanien sei die große Zahl an Getränkeverpackungen besonders kritisch, weil das Land jährlich von 60 Millionen Touristen besucht wird. "Die trinken eine ganze Menge", sagt der NGF-Sprecher. Da es nicht einmal ein Pfandsystem für Wasser-, Bier- und Limonadeflaschen aus Glas gibt, wird ein allgemeines Problem über Touristen nur noch vergrößert. Enorme Mengen Wasser, Bier und Fruchtsäfte werden hier ebenfalls aus Einwegverpackungen getrunken. Sie belasten die Umwelt und lassen zudem die Müllhalden überquellen.

Das wollen nicht mehr nur Umweltschützer beenden. Der NGF hat im "Rücknahme-Bündnis" nicht nur alle Umweltschutzorganisationen vereint, sondern von Verbraucherschützern über Müllzweckverbände bis zur größten Gewerkschaft wurde ein enorm breites Bündnis geschmiedet. Ohnehin muss auch Spanien bis zum Jahresende - wie alle EU-Mitgliedstaaten - ein Abfallvermeidungsprogramm erstellen, in dem die zukünftigen Vermeidungsziele benannt werden müssen.

Das "grüne" Bewusstsein wächst

Der Druck steigt also national und international und zeigt längst Wirkung. Auf den Kanarischen Inseln soll nun ein Pfandsystem eingeführt werden. Die Inseln würden sich dafür besonders gut eignen, erklärt Beascoechea, denn sie bilden ein geschlossenes System. Auf dem Festland wäre ein Pilotprojekt in einer Region unmöglich. Dort würde Pfand für Flaschen oder Dosen ausgezahlt, die in Nachbarregionen gekauft wurden. Ein regionales System würde also schnell kollabieren. Auf den Urlaubsinseln will man mit den Touristen beweisen, die meist an Pfandsysteme aus der Heimat gewohnt sind, dass das System in ganz Spanien umsetzbar wäre. Von den 12 Millionen Besuchern die 2011 die Kanaren besucht haben, kam fast ein Viertel aus Deutschland.

Das neue Strandgut. Bild: R. Streck

Auf den Urlaubsinseln ist der Druck enorm groß worden. Müllverbrennungsanlagen machen sich hier nicht sonderlich gut. Zudem sind die Flächen begrenzt, weshalb es Platz für neue Müllhalden kaum noch gibt. Fast die Hälfte der Gesamtfläche der Inseln ist zudem in verschiedenen Formen längst als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Dass das Problem ständig drängender wird, haben offensichtlich auch Politiker auf den Inseln erkannt. Im Februar haben deshalb alle Parteien im Regionalparlament einstimmig einen Antrag verabschiedet, der die Einführung eines Pfandsystems vorsieht. An einem Gesetz wird derzeit gearbeitet.

Dass das "grüne" Bewusstsein auf den Inseln wachse, hat für den NGF auch mit den Klagen von Urlaubern zu tun. Die nervt gewaltig, wenn sich an Stränden, in Wüsten oder im Wald die Plastikmüll und Dosen aller Art ansammeln. Saubere Kanaren sieht man auf den Inseln deshalb längst auch als Wettbewerbsvorteil der Zukunft gegenüber anderen Urlaubszielen. Deshalb wehren sich die Insulaner auch mit Nachdruck dagegen, dass vor den Küsten nach Öl gebohrt werden soll (Kanarische Inseln warnen vor einer schwarzen Flut).

"Das Sauberste am Müll ist der Müll selbst"

Knappe Kassen in der schweren Wirtschaftskrise führen aber auch dazu, dass immer weniger Menschen einsehen, doppelt für die Entsorgung des Plastikmülls zur Kasse gebeten zu werden. Denn auch in Spanien wird für Verpackungen beim Kauf eine Recycling-Gebühr bezahlt. Doch nur ein kleiner Teil landet in irgendwo aufgestellten Containern. Nach Schätzungen der Umweltorganisationen werden nur etwa 20 Prozent der Verpackungen recycelt. Der Rest wird achtlos wegegeworfen und landet entweder in der Umwelt oder über den Hausmüll auf Mülldeponien.

Die Abfuhr kostet erneut Geld, genauso wie die Lagerung auf den Müllhalden. "Der Müll ist ein gutes Geschäft", erklärt Beascoechea, warum es im Land große Widerstände gegen ein Pfandsystem gibt. "Das Sauberste am Müll ist der Müll selbst", meint er. Er verweist dabei auch auf Müllgeschäfte der Mafia in Italien. An der Tatsache, dass für 100 Prozent der Verpackungen eine Gebühr bezahlt wird, aber nur ein kleiner Teil tatsächlich recycelt werden muss, wird zum Beispiel derzeit schon sehr gut verdient.

Auf den Inseln hat man aber nicht nur das Sparpotential im Blick, sondern sieht auch die ökonomische Bedeutung des Mülls. "Viele Müllhalden der Inseln sind fast voll", sagt der NGF-Präsident Juan Antonio Rodríguez gegenüber Telepolis. Und vom gesamten Müll machten Verpackungen etwa ein Drittel aus und wäre über ein Pfandsystem weitgehend vermeidbar. Demnächst werde die Entsorgung sogar noch viel teurer. Dann muss der Müll über lange Wege auf das Festland verschifft werden, wenn die Deponien voll sind.

Sofía Brito al Kandidatin beim Global Nature Gala Eleccion Reina 2013. Bild: NGF

Angesichts einer Arbeitslosigkeit von 33 Prozent wird auch erkannt, dass über ein verbessertes Recycling und ein Pfandsystem neue Jobs geschaffen werden können. Darauf pocht zum Beispiel Miguel Díaz-Llanos. Der Verantwortliche der Regionalregierung von Teneriffa für Energie Nachhaltigkeit setzt deshalb auf "grüne Jobs". Man müsse aufhören, die Materialien als reinen Abfall zu betrachten, denn es handele sich auch um viele Wertstoffe.

Diese Message hatten zuletzt Umweltschützer mit großem Erfolg im Karneval verbreitet. Im überschwänglichen Trubel, der an das Treiben in Brasilien erinnert, traten sie mit einer eigenen Schönheit als Kandidatin bei der Wahl der Karnevalskönigin in Teneriffa an, sagt der NGF-Direktor stolz. "Wir haben so auf diesem unkonventionellen Weg viele Leute erreicht", meint Rodríguez. Das 300 Kilogramm schwere Kostüm von Sofía Brito bestand nur aus den Materialien, die eigentlich auf den Inseln als Abfall auf den Deponien landen. Doch Brito wollte klarstellen, dass "eine andere Welt möglich ist". Für ihr Kostüm, das nun in Teneriffa ausgestellt ist, wurde "kein Müll verwendet, sondern wertvolle Rohstoffe", erklärt sie.

Diese und viele weitere Aktionen im Karneval hätten letztlich für den Schwenk bei den Konservativen gesorgt. Plötzlich habe auch die Volkspartei (PP) für die Einführung des Pfandsystems auf den Inseln gestimmt, erklärt der NGF-Präsident. Der sozialistische Umweltminister der Regionalregierung habe nun die einmalige Chance, schnell "ein Gesetz einzubringen, dessen Erfolg garantiert ist", sagte Rodríguez. Denn praktisch alle auf den Inseln seien für ein Pfandsystem und Deutschland zeige, dass die Umsetzung funktioniert.

Damit würde auch die Position der PP in der spanischen Hauptstadt aufgeweicht. Die rechte von Korruption schwer erschütterte Partei, die seit gut einem Jahr wieder in Spanien regiert, stemmt sich in Madrid weiter strikt gegen ein Pfandsystem. "Noch", glaubt Beascoechea, denn in Privatgesprächen hätten sich auch schon führende PP-Mitglieder längst auch am deutschen System interessiert gezeigt.