Nach Amtsantritt folgt der Todesschuss

Auch die bislang ruhige Metropole Guadalajara könnte sich zu einem neuen Schauplatz des Drogenkriegs entwickeln

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Gerade einmal neun Tage war der neue Tourismusminister von Jalisco, José de Jesús Gallegos Álvarez, im Amt, bevor er vergangenen Samstag auf offener Straße erschossen wurde. Als Konsequenz will die Stadt Guadalajara nun mehr Überwachungskameras auf den Straßen installieren. Eine verzweifelte Initiative angesichts der anhaltenden Gewaltwelle, die das ganze Land überrollt.

Die Nachricht verbreitete sich vergangenen Samstag wie ein Lauffeuer. Der neu ernannte Tourismusbeauftragte José de Jesús Gallegos Álvarez war gegen 15.15 Uhr (Ortszeit) mit seinem Chauffeur in Zapopan, der Metropolregion Guadalajaras, im Dienstwagen unterwegs, als unbekannte Täter in einem Chevrolet Blazer die Verfolgung aufnahmen und den Minister durch mehrere Schüsse gezielt töteten. 80 Zeugen wurden daraufhin im edlen Businessviertel Colinas de San Javier befragt, am selben Tag noch vier Verdächtige festgenommen.

Da jedoch an der Kleidung der mutmaßlichen Täter sowie in deren Fahrzeug kein Nachweis von Schusswaffengebrauch festzustellen war, kamen sie kurzerhand später wieder auf freien Fuß. Auch ein aufwendig rekonstruierter Tathergang gab den Ermittlern bisher nur wenig neue Erkenntnisse. Die sonst so zahlreichen Überwachungskameras auf den Hauptverkehrsrouten der Stadt waren am Tatort nur unzureichend vorhanden. Somit tappt die Polizei auch weiterhin mit ihren Ermittlungen im Dunkeln. Experten zufolge wird dies vorerst auch so bleiben, denn Vorgang, Waffen und Fahrzeugtyp der Täter entsprechen eindeutig dem klassischen Schema eines Narcomords. Hier waren Profikiller am Werk.

Gerade einmal neun Tage zuvor hatte der ebenfalls erst seit dem 1. März 2013 amtierende neue Gouverneur, Aristóteles Sandoval, den Geschäftsmann Gallegos in sein Kabinett berufen. Der junge PRI-Politiker erhoffte sich von der umfassenden unternehmerischen Tätigkeit Gallegos entscheidende Impulse für den Tourismus.

Als Ingenieur und Gründer sowie Geschäftsführer von JEGAL Project & Construction Management hatte der Ermordete vor seinem Staatsdienst etliche Millionen verdient. Unter seiner Leitung entstand eine Vielzahl an Hotels in den Tourismushochburgen Acapulco, Puerto Vallarta, Los Cabos und der Rivera Maya sowie Wohnprojekte für den öffentlichen Sektor in den edlen Vierteln der Großstädte. Ebenso hatte er das Konzept für die bekannte mexikanische Hotelkette Mayan Resort entwickelt und umgesetzt, die jährlich einen Umsatz von 500 Millionen Dollar erwirtschaftet. Mit politischen Ämtern war der Geschäftsmann bislang allerdings wenig vertraut.

Obwohl nach dem Mord sofort "Alarmstufe Rot" für das gesamte Stadtgebiet galt, also erhöhte Präsenz von Militär und Polizei, beruhigte man die Stadtbevölkerung gleichzeitig durch die offizielle Version eines angeblich geschäftlichen Disputs - ohne handfeste Beweise. "Das Verbrechen hat nichts mit der Einberufung von José de Jesús Gallegos Álvarez ins Kabinett zu tun, sondern die Ermittlungen konzentrieren sich auf seine wirtschaftlichen und unternehmerischen Tätigkeiten", versicherte Arturo Zamora Jiménez, Staatssekretär von Jalisco, auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Infolgedessen entschied sich die Landesregierung, keine gesonderten Sicherheitsvorkehrungen für die übrigen Kabinettsmitglieder zu treffen. Das Attentat gilt allgemein als persönlicher Einzelfall, der die öffentliche Sicherheit der Stadt nicht weiter beeinträchtige.

Das sehen aber längst nicht alle so. Der Rektor der Universität von Guadalajara, Marco Antonio Cortés Guardado, redet von einer bisher noch nie dagewesenen Form von Gewalt in der Bundeshauptstadt. Er hofft, dass durch die Negativschlagzeilen kein weiterer Imageschaden für das ohnehin schon durch den Drogenkrieg gebeutelte Bundesland entstehe und die Touristen nicht ausbleiben werden.

Guadalajara galt bisher als sichere und ruhige Metropole Mexikos, in der Wirtschaft und Kultur weitab des blutigen Drogenkriegs im Norden florieren. Schießereien zwischen Sicherheitskräften und Drogenbanden auf offener Straße, Granatenangriffe auf Polizeistationen und Attentate in der Öffentlichkeit waren in der zweitgrößten Stadt Mexikos eher eine Seltenheit. Drogenbarone schätzten die Großstadt als Rückzugsort für sichere Geschäfte. Denn der Absatzmarkt für Drogen war längst nicht so hart umkämpft wie in andern Gebieten, die Karten zwischen den wenigen Kartellen klar verteilt. Doch nun warnen amerikanische und mexikanische Experten, die Stadt könne sich ebenfalls zu einem neuen Schauplatz des Drogenkriegs entwickeln.

Regierung ohne Konzept gegen wachsende Gewalt

Die Gewaltbilanz Mexikos der letzten Monate wirft insgesamt ein sehr ernüchterndes Bild ab. Nach 100 Tagen Amtszeit hat der neue mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto (Mexiko: Neue Rhetorik, alte Konzepte) noch keine großen Erfolge in der Sicherheitspolitik vorzuweisen. Mindestens 70.000 Tote hat der Drogenkrieg seit 2006 gefordert, 26.000 gelten bundesweit als vermisst. Dabei gehen Menschenrechtler von deutlich höheren Zahlen aus. Die Zahl der Drogenopfer steigt kontinuierlich, die Liste der Vermissten wird tagtäglich länger. Trotz neuer Regierung und neuem Sicherheitskonzept. Als Konsequenz gibt die Regierung schon seit längerem keine offiziellen Mordstatistiken mehr bekannt, aus Gründen der nationalen Sicherheit, so die Generalstaatsanwaltschaft.

Zwar hatte Peña Nieto bei Amtsantritt eine neue effektive Sicherheitsstrategie angekündigt, die sich mehr auf die Ursachen des Problems mit den Drogenkartellen statt lediglich auf die Konsequenzen konzentriere. Doch bislang sind keine konkreten politischen Schritte zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens erfolgt. "Enrique Peña Nieto hat den politischen Diskurs bewusst auf wirtschaftliche Themen gelenkt und äußert sich nicht eindeutig, wie er die Gewalt im Land bremsen, die Zahl der Vermissten verringern und die Menschenrechtsverletzungen beenden möchte", kritisierte José Miguel Vivanco von Human Rigths Watch Ende Januar in der Washington Post.

Ähnlich wie der mexikanische Präsident weicht auch der oberste Staatsanwalt Jesús Murillo Karam den brenzligen Fragen der Journalisten in der Öffentlichkeit immer wieder aus. Auf die Frage hin, wann sich die prekäre Sicherheitslage im Land endlich bessern würde, gestand Murillo: "Ich lüge nicht, es wird weder schnell gehen noch leicht sein. Es handelt sich hierbei um ein ernstes Problem, das wir mit Ernsthaftigkeit bekämpfen. Aber dafür müssen erst einmal die notwendigen Institutionen reformiert und neue politische Aktionen eingeleitet werden."

Da die Gewaltwelle im Land auch vor unabhängigen Berichterstattern nicht Halt macht, ziehen immer mehr Medien die Notbremse. Erst kürzlich verkündete die Zeitung Zócalo im nordmexikanischen Bundesstaat Coahuila, die Berichterstattung über den Drogenkrieg einzustellen. Meldungen über das organisierte Verbrechen gefährden die Angestellten und ihre Familien, rechtfertigte sich das Blatt.

Da die anhaltende Gewalteskalation zwischen Staatsmacht und organisierten Banden die Arbeit unabhängiger Medien bedroht, schützen sich immer mehr Journalisten durch strenge Selbstzensur. Experten werten diese Entscheidung als weiteren Sieg der Drogenkartelle über die Pressefreiheit in Mexiko und als Stärkung ihrer Vormacht gegenüber dem wackeligen Rechtsstaat.