Fall Mollath: "Wenn das stimmt, dann ist das kein Rechtsstaat, dann haben wir einen Archipel Gulag"

Ein Interview mit Franz Schindler, SPD-Politiker und Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bayerischen Landtag

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In seiner gesamten Laufbahn als Politiker sei ihm ein Fall wie der des Gustl Mollath noch nicht begegnet, sagt der Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bayerischen Landtag, Franz Schindler, im Telepolis-Interview. In einem ausführlichen Gespräch steht Schindler Rede und Antwort zur Causa Mollath. Mit klaren Worten stellt der SPD-Politiker fest, dass es im Fall Mollath einen Kommunikationsgau gegeben habe und kritisiert das Verhalten der Bayerischen Justizministerin Beate Merk. Aus Schindlers Sicht hätte Merk frühzeitiger die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen im Fall Mollath anweisen müssen.

Wann haben Sie zum ersten Mal vom Fall Mollath gehört?

Franz Schindler: Das war nach meiner Erinnerung im Laufe des Jahres 2003 bzw. dann im Jahr 2004.

In welchem Zusammenhang war das?

Franz Schindler: Ich habe vom Fall Mollath im Zusammenhang mit einer Strafanzeige gehört, die Herr Mollath damals breit gestreut hat und die als Eingabe auch im Bayerischen Landtag gelandet ist. Das war die Anzeige, die auch an den Bundeskanzler, den Papst und diverse Steuerbehörden geschickt wurde. Damals wurde wegen der Anzeige eine Stellungnahme des Justizministeriums eingeholt.

Wie kam der Fall Mollath dann nochmal auf Sie zu?

Franz Schindler: Das müsste dann Anfang 2011 gewesen sein. Damals hat sich eine Initiative, die sich für Herrn Mollath einsetzt, an den Landtag gewandt - allerdings nicht in Form einer Petition, sondern mit einem Beschwerdeschreiben, in dem gefordert wurde, man solle Herrn Mollath sofort freilassen. Nachdem dann später im Laufe des Jahres ein Bericht zum Fall Mollath im Fernsehen kam, ich glaube das war der von Report Mainz, haben im Anschluss daran sowohl die SPD, als auch die Grünen, den Fall im Plenum des Landtags aufgegriffen.

Wann war das?

Franz Schindler: Im Dezember 2011. Bis dahin war der Fall Mollath noch zweimal im Petitionsausschuss aufgrund von Beschwerden von Herrn Mollath wegen Probleme mit seiner Unterbringung. Dort ist aber auch - jeweils einstimmig - entschieden worden, dass alles korrekt ist. Im März 2012 hat die Ministerin dann im Rechtsausschuss den Fall aus ihrer Sicht dargestellt und berichtet. Im Laufe des Jahres ist dann ja der Revisionsbericht der HypoVereinsbank aufgetaucht - dieser war dem Rechtsausschuss damals aber nicht bekannt.

Sie haben von dem Revisionsbericht also erst durch die Medien erfahren?

Franz Schindler: Ja, so ist es. Und dann gab es eine weitere Sitzung des Rechtsauschusses im Dezember 2012. Da war meiner Meinung dann auch zum ersten Mal der Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich mit dabei.

Und wann haben Sie sich mit dem Fall zum ersten Mal richtig näher auseinandergesetzt, also z.B. das Urteil gelesen?

Franz Schindler: Das war 2011.

Was waren ihre Eindrücke, wie hat der Fall damals auf Sie gewirkt?

Franz Schindler: Eigenartig. Als ich das Urteil gelesen habe, standen die vielen Vorwürfe, die von Report Mainz erhoben wurden, ja schon im Raum. Hier wurde von einer eidesstattlichen Versicherungen berichtet, die von einem Freund von Gustl Mollath abgegeben wurde, wonach die Ehefrau von Herrn Mollath sinngemäß gesagt habe, sie kümmere sich darum, dass er [Mollath] verräumt wird. In Kenntnis dieser Behauptung das Urteil zu lesen, verschaffte mir schon einen eigenen Eindruck.

Was heißt das? Haben Sie das Urteil damals als falsch gesehen?

Franz Schindler: Wenn das Urteil des Landgerichts materiell falsch sein sollte, dann stelle ich zunächst erst mal fest, dass es auch in der Revision gehalten hat, denn es wurde ja in der Revision beim Bundesgerichtshof überprüft. Außerdem ist die Unterbringung von Herrn Mollath gutachterlich angeregt worden. Dem Landtag steht es nicht zu, eine gerichtliche Entscheidung, selbst wenn diese falsch sein sollte, aufzuheben.

Formal rechtlich gesehen ist das sicherlich richtig. Aber nun hat ja gerade diese Haltung der Politik einige Empörung hervorgerufen. Wer sich die Kommentare und Meinungen in den Medien, die über den Fall berichtet haben, anschaut, sieht, dass diese, sagen wir mal: "vorsichtige Haltung" der Politik gehörig am Rechtsverständnis der Bürger rüttelt. Wenn ich es mal zuspitze, sagen Sie: Wenn Unrecht im Namen des Rechts gesprochen wird, muss die Politik das akzeptieren.

Franz Schindler: Nein, das ist ausdrücklich nicht so gemeint! Ich kann nicht ausschließen, dass jeden Tag Fehlurteile vor Gerichten gesprochen werden. Und genau deshalb gibt es von Gesetzeswegen die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens. Wenn es einen Grund gibt, muss ein Verfahren, selbst wenn es rechtskräftig abgeschlossen wurde, aufgenommen werden. Bedenken Sie: Wenn ein Richter Recht vorsätzlich beugt, dann ist das ein Verbrechen. Meine Argumentation ist die, dass der Bürger es eben gerade nicht schutz- und wehrlos hinnehmen muss, wenn ihm Unrecht widerfährt. Nur müssen diese Fragen eben in den dafür vorgesehenen Verfahren geklärt werden und nicht durch politische Einflussnahme.

Ich sage jetzt mal salopp: Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz. Die politisch Verantwortlichen berufen sich hier auf die rechtsstaatlichen Verfahren, wogegen einerseits nichts spricht, aber, andererseits, sitzt hier ein Mensch, ein Mitbürger, seit über 7 Jahren in einer forensischen Psychiatrie. 7 Jahre haben ihm die rechtsstaatlichen "Verfahren" nichts gebracht. Stellen Sie sich mal vor, was es bedeuten würde, wenn dieser handschriftliche Vermerk der Finanzbehörde über den Anruf von Richter Otto Brixner nicht aufgetaucht wäre. Dann gäbe es keinen Grund für ein Wiederaufnahmeverfahren und der Mann säße, obgleich möglicherweise zu Unrecht, auch weiterhin

Franz Schindler: Jetzt nehmen Sie das Ergebnis aber vorweg. Ich weiß nicht, ob Herr Mollath zu Unrecht seit 7 Jahren weggesperrt ist, aber die Frage ist dringend zu klären. Und ein handschriftlicher Vermerk einer Steuerbehörde ist sicherlich auch kein Grund für ein Wiederaufnahmeverfahren.

Nein, aber die Intervention eines Richters schon, oder?

Franz Schindler: Also nach heutigem Kenntnisstand war es so, dass Richter Brixner nicht aus eigenem Antrieb sich an die Behörden gewandt hat, sondern es war ja umgekehrt. Die Finanzbeamten haben im Rahmen von Vorermittlungen beim Gericht angerufen, weil Mollath eine Anzeige, oder genauer: seine "Verteidigungsschrift" angegeben hat, dass vor Gericht ein Verfahren gegen ihn anhängig ist. Daraufhin hat die Finanzbehörde beim Gericht angerufen, um zu erfahren, worum es bei dem Verfahren genau geht. Sie sehen, die Finanzbehörde hat weder Brixner gezielt angerufen noch hat Brixner aus eigenem Antrieb sich dann bei der Behörde gemeldet. Vielmehr hat eine Richterin, mit der der Finanzbeamte zuerst gesprochen hat, dann nach dem Richter gesucht, der für das anhängige Verfahren gegen Herrn Mollath, für das sich der Finanzbeamte interessiert hat, verantwortlich war. Erst daraufhin hat sich Brixner bei der Behörde gemeldet.

Eine Beweiserhebung ist dringend erforderlich

Das ist soweit ja auch bekannt.

Franz Schindler: Eben. Richter Brixner hat nur zurückgerufen, weil er mit der Sache befasst war.

Das Problem ist doch aber, dass Brixner, noch bevor er ein Urteil in dem Fall gefällt hat, offensichtlich schon eine vorgefasste Meinung zu dem Fall hatte und diese auch gegenüber der Finanzbehörde verkündet hat. Und spätestens da wird es schon problematisch, oder sehen Sie das anders?

Franz Schindler: Das sehe ich ja auch so. Allerdings muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass Brixner zuständig war für die Entscheidung hinsichtlich einer Beschwerde von Gustl Mollath bezüglich der Anordnung zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens. Also im Rahmen einer Beschwerde kam der Fall zu Brixner. Brixner hat die Beschwerde, soweit ich weiß, dann als unzulässig erklärt. Aber die Frage ist doch: Reicht das, worüber wir jetzt reden, aus für eine Wiederaufnahme des Verfahrens.

Ja, reicht es aus für eine Wiederaufnahme des Verfahrens?

Franz Schindler: Ich kenne nur den Antrag von Rechtsanwalt Strate. Den Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft kenne ich nicht. Wenn Sie mich als Nichtjurist fragen würden, würde ich sagen, ich hoffe doch sehr, dass die beiden, oder zumindest einer der beiden Wiederaufnahmeanträge, vom zuständigen Gericht als zulässig gewertet werden und dass dann die zwingend erforderliche Beweisaufnahme durchzuführen ist. Eine Beweiserhebung ist ja dringend erforderlich, weil viele Aussagen und Behauptungen im Raum stehen. Im Rahmen dieser Beweiserhebung müssten dann auch Zeugen vernommen werden, wie etwa die damalige Ehefrau von Herrn Mollath. Und dann wird man ja sehen, ob das, was in der Öffentlichkeit seit einem Jahr diskutiert wird, so stimmt.

Haben Sie in ihrer Zeit als Politiker schon mal einen vergleichbaren Fall erlebt?

Franz Schindler: Nein, wirklich vergleichbar nicht. Aber es gibt durchaus nicht wenige Fälle, die einem komisch vorkommen. Ich denke an den Fall, der unter dem Namen Fall Peggy bundesweit bekannt geworden ist. Auch da werden in der Öffentlichkeit Vorwürfe erhoben, die Behörden hätten unsauber ermittelt, Staatsanwaltschaft und Gericht hätten Beweise nicht richtig gewürdigt. Diese Vorwürfe stehen seit Jahren im Raum. Und jetzt soll es endlich ja eine Wiederaufnahme geben. Das ist auch gut so. Oder da ist noch der Fall, wo angeblich eine Familie ihren Vater umgebracht, zerlegt und den Tieren zum Fraß vorgeworfen haben soll. Später wurde der Mann tot in seinem Auto gefunden. Solche Fälle gibt es.

Gut, bis dahin kann man sagen: So schlimm richterliche Fehlentscheidungen auch für die Betroffenen mitunter sind, sie sind leider Teil eines Justizsystems, das nicht perfekt ist. Und der Fall Mollath war, so scheint es, auch lange ein juristischer Fall, der im Justizsystem verwurzelt war. Das ist er zwar noch immer, aber er ist längst auch zu einem politischen Fall geworden. Wie erklären Sie sich, dass der Fall mittlerweile ein Politikum ist?

Franz Schindler: Das ist doch einfach: Weil die Presse das Thema aufgegriffen und darüber berichtet hat. Journalisten haben sich ernsthaft und nachhaltig mit dem Thema in kurzen Zeitabständen beschäftigt. Sie haben Papiere veröffentlicht, die ich nicht kannte und die meinen Erkenntnissen nach auch das Justizministerium nicht kannte. So ist er zum Politikum geworden.

Also alleine durch die Berichterstattung der Presse?

Franz Schindler: Nein, nicht nur. Sicherlich auch durch eine etwas ungeschickte Kommunikationsstrategie des Justizministeriums.

Ungeschickte Kommunikationsstrategie? Was meinen Sie damit?

Franz Schindler: Das Justizministerium hat sich zu lange auf den formaljuristischen Standpunkt bezogen. Ich teile diesen Standpunkt ja auch, aber das reicht in dem Fall nicht aus. Die Justizministerin hätte schon früher Anordnung an die Staatsanwaltschaft oder die Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg geben müssen, die Sache nochmal im Einzelnen zu überprüfen. Das kann die Justizministerin nämlich. Sie kann nicht eine Gerichtsentscheidung anordnen, aber sie kann Weisungen gegenüber der Staatsanwaltschaft erteilen.

Und genau das hat Beate Merk nicht getan. Sie hat sich dagegen entschieden. Und so hat sich der Fall dann hochgeschaukelt.

Franz Schindler: Ja, klar.

Der Fall Mollath hat politische Sprengkraft. Jetzt einmal unabhängig davon, ob Herr Mollath die ihm zu Last gelegten Taten begangen hat, unabhängig davon, ob Herr Mollath psychisch krank war oder ist, unabhängig davon, ob Herr Mollath zurecht weggesperrt ist: Der Verdacht, der hier im Raum steht, nämlich dass ein Mensch aus der Mitte der Gesellschaft herausgenommen und eingesperrt wird, weil er unbequem war, ist für einen Rechtsstaat schlimm.

Franz Schindler: Darum hoffe ich ja auch, dass es zu einem Wiederaufnahmeverfahren kommen wird und die im Raum stehenden Behauptungen im Rahmen des Verfahrens geprüft werden. Immerhin hat ein Richter eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, Mollath sei vorsätzlich und zielgerichtet in einem Zusammenwirken zwischen Staatsregierung, Staatsanwaltschaft, Gericht und Gutachter weggesperrt worden, damit Schwarzgeldverschiebungen von prominenten und hochrangigen Mitbürgern nicht an die Öffentlichkeit kommen.

Das wäre dann die große Verschwörung.

Franz Schindler: Aber genau so hat es doch angefangen. Ich habe bei der allerersten Sitzung im Rechtsausschuss gesagt, wenn das stimmt, dann ist das kein Rechtsstaat, dann haben wir einen Archipel Gulag.

Und, hat der Richter recht?

Franz Schindler: Für diese Behauptung des Richters gibt es nach meiner heutigen Kenntnis - und ich hoffe das das auch so bleibt - nicht den Hauch eines Beweises. Was es schon gibt, ist die Tatsache, dass die Behörden möglicherweise geneigt waren - und das sage ich aus heutiger Sicht -, mit Hinweisen und mit Strafanzeigen von Herrn Mollath zu vorschnell und übereilig umzugehen. Die Behörden haben wohl gesagt, das ist zu dünn, zu wirr, wir sehen hier keine Anhaltspunkte.

Aus jetziger Sicht weiß man, dass das falsch war. Aber damals kannten weder der Staat noch die Finanzbehörden den Revisionsbericht der Hypo.

Zu den Anzeigen von Herrn Mollath hat sein Verteidiger ja klar Stellung bezogen. Er sagte, dass die Anzeigen kaum hätten konkreter sein können.

Franz Schindler: Ich kenne, das muss ich auch klar sagen, nicht alle Anzeigen. Aber ich kenne die so genannte Verteidigungsschrift, diese 106 Seiten und dann die Strafanzeige, die als Petition im Landtag behandelt wurde. Und ich behaupte: Wenn Sie diese beiden Dinger bekommen hätten, ohne den ganzen Hintergrund, den Sie jetzt haben, dann hätten Sie auch gedacht: So ein Spinner! Also das behaupte ich jetzt mal.

Und ich behaupte, das hätte ich nicht.

Franz Schindler: Haben Sie die 106 Seiten gelesen?

Ja.

Franz Schindler: Haben Sie da nicht auch den Eindruck gewonnen, da stimmt etwas nicht?

Nein. Ich sage Ihnen auch warum. Vielleicht liegt es daran, dass Journalisten jeden Tag eng mit Texten arbeiten und über ein gutes Textverständnis verfügen. Journalisten sind es gewohnt auch mit "Irritationen" innerhalb von Texten umzugehen, diese einzuordnen und Aussagegehalte einzuschätzen. Dieser Text von Herrn Mollath hat auf mich wie ein Text gewirkt, der von einem Menschen geschrieben wurde, der verzweifelt ist und der versucht, händeringend Gehör zu finden - und das [sein Verzweifeltsein] auch durch allerlei formale Auffälligkeiten in seinem Text nach außen zu kehren.

Natürlich kann man sagen, da stimme ich Ihnen zu, in dieser Verteidigungsschrift kommt einiges durcheinander. Aber Mollath ist kein Juraprofessor, kein Journalist und kein Politiker. Er ist ein "einfacher" Mensch, der eben mit den ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln, das zusammenfasst, was er im Kopf hat und was er versucht mitzuteilen.

Franz Schindler: Ok, das stehe ich Ihnen zu. In diesen 106 Seiten finden sich dann auch ein paar Blatt mit konkreten Angaben über angebliche Schwarzgeldverschiebungen, aber keine Kontoauszüge, wie immer behauptet wird, sondern Umbuchungsbestätigungen und derartiges. Da finden sich die Angaben diversester Namen. Ich meine, dass die Staatsanwaltschaft damals gesagt hat: Na und, Geld in die Schweiz zu bringen, ist keine Straftat, war richtig.

Wenn es hier einen Schurken gibt, der sich aufdrängt, dann ist es die Hypo

Mollath hat ja nicht nur von Schwarzgeld in der Schweiz gesprochen, er hat ja einen Kontext geliefert.

Franz Schindler: Der Kontext war für mich, dass er im Streit mit seiner Ehefrau liegt. Er hat dann alle aus der Verwandtschaft der Frau und deren Freunde mit in die Anschuldigungen eingebunden. Alle Leute, mit denen er in den letzten Monaten zu tun hatte. Er sagt ja: Alles Schwarzgeld, größter Skandal aller Zeiten.

Aber man kann doch diese Anschuldigungen, nur weil sie gegen viele gerichtet sind, nicht einfach aufgrund der Quantität abweisen. Wenn, wie Mollath es darstellt, nicht nur seine Frau, sondern auch deren Umfeld mit in diese mögliche Schwarzgeldverschiebungen verstrickt sind, mag das weitgefasst sein, aber es ist nicht unvorstellbar.

Franz Schindler: Was erwarten Sie? Dass die Staatsanwaltschaft gegen alle Beschuldigten Ermittlungsverfahren einleitet?

Warum denn gleich Ermittlungsverfahren? Vorermittlungen hätten es wohl auch getan.

Franz Schindler: Das kann ich nicht beurteilen, ich bin kein Steuerrechtler. Außerdem gab es ja Vorermittlungen.

Naja, was so als Vorermittlungen bezeichnet wird.

Franz Schindler: Ich sage ja, aus heutiger Sicht [betont heutiger] kann man sicherlich sagen, es wäre klüger gewesen, damals Vorermittlungen weiter voran zu treiben. Man hätte auch mal bei der HypoVereinsbank nachfragen können oder bei Herrn Maske. Aber da wäre möglicherweise, ich weiß es nicht, dann das Verfahren eingestellt worden, weil der Tatverdacht nicht erhärtet wurde. Doch man hätte weiter ermitteln müssen, denn dann würden all diese Vermutungen nicht mehr im Raum stehen. Aber das wurde 2002 falsch entschieden.

Ich wundere mich jedenfalls, warum eine HypoVereinsbank so ungeschoren davon kommt - auch seitens der Presseberichterstattung. Wenn es hier einen Schurken gibt, der sich aufdrängt, dann ist es die Hypo.

Warum?

Franz Schindler: Die Hypo hat eine Revision durchgeführt und hat niemand darüber informiert. Die Konsequenzen sind uns nun bekannt. Die Finanzbehörden und die Staatsanwaltschaft hatten jahrelang keine Kenntnisse von dem Bericht - also wenn das stimmt, was uns gesagt worden ist.

Wenn der Revisionsbericht früher ans Licht gekommen wäre, hätte sich das wohl auch auf das Verfahren gegen Herrn Mollath ausgewirkt.

Franz Schindler: So ist es. Aber ob die Dinge, die in dem Bericht festgestellt worden sind, einzeln für sich eine Straftat sind, ist noch fraglich. Vor Gericht wäre es aber einfacher gewesen, die Behauptungen von Mollath zu prüfen.

: Zu dem Revisionsbericht hat sich ja auch der Generalstaatsanwalt in Nürnberg, Hasso Nerlich, geäußert.

Franz Schindler: Laut Aussage, die Herr Nerlich in der vorletzten Sitzung des Rechtsausschusses getätigt hat, habe der Revisionsbericht keinen Anlass für die Aufnahme von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geboten. Die Aussage ist zwar verkürzt, aber sie ist richtig. Der Revisionsbericht und das, was sonst noch an Vorermittlungen angestellt wurde und dieses und jenes, was man jetzt weiß, also all das zusammen, gibt Anlass, Steuerstrafverfahren zu beginnen. Und in einigen Fällen gibt es ja auch Steuerstrafverfahren. Allerdings nicht aufgrund eines Umfangs, wie von Mollath immer behauptet.

Es sieht so aus, dass da ein Mann ist, der sich an seiner Frau rächen will

Die Anschuldigungen von Mollath nun hin oder her, aber Fakt ist, dass Herr Mollath nun seit langer Zeit eingesperrt ist für Vergehen, die ihm zu Last gelegt werden und die, bei allem Verständnis auch für ein hartes Durchgreifen der Justiz, verhältnismäßig harmlos sind. Mollath soll seine Frau geschlagen haben. Das ist schlimm. So etwas passiert aber, leider, immer wieder in unserer Gesellschaft. Mollath soll 120 Reifen zerstochen haben und dabei Menschenleben gefährdet haben. Auch das wäre schlimm. Mollath soll einem Wahnsystem unterlegen sein. Auch das wäre ein Problem. Aber rechtfertigt all das die Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie, wo wirklich Schwerstkriminelle wie Kindermörder sitzen.

Franz Schindler: Da sitzen ja nicht nur Kindermörder. So viele Kindermörder gibt es zum Glück nicht. Aber ich sehe das anders. Als ich mich zum ersten Mal intensiver mit dem Fall beschäftigt habe, habe ich den Eindruck bekommen, dass wir es hier mit einem Rosenkrieg zu tun haben. Da kommt einer nicht darüber hinweg, dass seine Frau sich von ihm abwendet, dass sie die Frau Karriere macht und dass er mit seinem selbständigen Gewerbebetrieb nicht sonderlich erfolgreich war.

Das ist sehr viel Interpretation.

Franz Schindler: So empfinde ich es aber.

Gut, so empfinden Sie es.

Franz Schindler: Es mag ja anders gemeint sein von Mollath, aber es kommt auf den Empfängerhorizont an. Wenn man all das liest, dann sieht es so aus, dass da ein Mann ist, der sich an seiner Frau rächen will.

Umgekehrt scheint es aber auch nicht sauber gewesen zu sein. Dass Frau Mollath immer nur mit lauteren Motiven gearbeitet hat, wage ich zu bezweifeln. Ich habe viele Scheidungen als Anwalt erlebt, da sieht man so einiges.

Nun kommt so eine Konstellation, in der sich ein Ehepaar bekriegt, häufig vor. Das bedenkt auch eine Staatsanwaltschaft. Umso leichter fällt es ihr zu sagen: Mein Gott, hört's doch auf mit dem Scheiß! Damit will ich sagen: Ich halte es für nicht nachgewiesen bisher - und ich sage ausdrücklich: bisher! Und es kann sein, dass ich mich morgen korrigieren und entschuldigen muss - aber heute halte ich es für nicht nachgewiesen, dass da ein mutiger, aufrechter und nur an Recht und Gesetz interessierter Bürger ist, der sich hilfesuchend an die Behörden wendet, um zu verhindern, dass der Staat durch Kriminelle, die keine Steuer zahlen, geschädigt wird.

In der Berichterstattung wird Mollath ja durchaus so etwas überzeichnet dargestellt, aber lassen wir die ganze Interpretation beiseite und konzentrieren uns auf die Fakten.

Franz Schindler: Wenn wir über Fakten sprechen wollen, müssen wir uns fragen, wie das Amtsgericht Nürnberg Fürth überhaupt auf die Idee kommt anzuordnen, dass Herr Mollath untersucht werden soll und ob er prozessfähig oder geschäftsfähig ist, also wissen will, ob Herr Mollath "eine Macke" hat.

Da steht die angebliche Aussage von Mollaths Frau im Raum, wonach Mollath etwas angehängt werden sollte.

Franz Schindler: Aber das reicht doch nicht aus, damit ein Gericht so handelt.

Denkbar wäre eine Einflussnahme auf das Gericht.

Franz Schindler: Ok, das ist eine Lesart. Meine bisherige Lesart ist - und auch sage ich: es kann sein, dass ich mich morgen korrigieren und entschuldigen muss - dass Herr Mollath beim Amtsgericht einen Eindruck hinterlassen hat, möglicherweise, aus Hilflosigkeit, der etwas "unglücklich" für ihn war. Anders gesagt: Er muss dort den Eindruck hinterlassen haben, dass etwas nicht mit ihm stimmt. Für mich klingt es durchaus plausibel, dass der Richter am Amtsgericht den Eindruck hatte, Mollath könnte schuldunfähig sein, da muss genau geschaut werden. Irgendwann gab es dann ein Gutachten und die Sache wird ans Landgericht verwiesen. Dann werden in der Folge noch mehrere Gutachten eingeholt und der Verdacht wird weiter untermauert. Die Gutachten werden in der Öffentlichkeit ja auch kritisiert mit der Begründung, diese seien Ferngutachten. Ein Gutachten hat Mollath ja auch ausdrücklich Geschäftsfähigkeit bescheinigt.

Das Gutachten von Herrn Simmerl.

Franz Schindler: Ja, aber bei diesem Gutachten ging es nicht um die Frage der Unterbringung und der Gefährlichkeit, sondern um die Betreuung.

Jedenfalls ist es so, dass bis heute die zuständige Strafvollstreckungskammer, immer gestützt auf gutachterliche Äußerungen, zu der Entscheidung gekommen ist, der Herr Mollath ist noch gefährlich, den müssen wir noch drin lassen. Und die letzten Gutachten, auch das sei klar gestellt, bestehen nicht nur aus Ferndiagnosen, sondern es wurde auch tatsächlich untersucht. Nach meinen Erkenntnissen, und ich sage nochmal, dass ich nicht die Akten habe, hat sich die Strafvollstreckungskammer Bayreuth ausgiebigst bei der Prüfung, ob Mollath noch gefährlich ist und untergebracht werden soll, mit den Gutachtern unterhalten, stundenlang.

Nun hat die Staatsanwaltschaft Augsburg die Strafanzeige gegen Amtsrichter E. und den Chef der Bayreuther forensischen Psychiatrie, Dr. Leipziger, abgewiesen. Wie bewerten Sie die Begründung?

Franz Schindler: Da geht es um eine Rechtsfrage. Zur Frage, ob sich ein Mensch, der untersucht werden soll und sich weigert, trotzdem untergebracht und exploriert werden darf, hat sich ja auch das Bundesverfassungsgericht geäußert. Diese Entscheidung ist jedoch deutlich differenzierter als die Einlassungen von Rechtsanwalt Strate in der Angelegenheit.

Für eine Absprache zwischen Justizministerium, Gericht, Staatsanwaltschaft und Gutachtern gibt e noch nicht den Hauch eines Beweises

Ganz so kompliziert ist es doch nicht. Das Bundesverfassungsgericht vertritt die Position, dass es zu akzeptieren ist, wenn ein Mensch nicht untergebracht und über Wochen exploriert werden möchte.

Franz Schindler: Man muss hier immer den Einzelfall sehen. So pauschal kann man das nicht sagen. Nicht immer, wenn ein Patient sich weigert, sich untersuchen zu lassen, und es trotzdem getan wird, ist das ein Verstoß gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Da muss noch einiges dazu kommen.

Wie meinen Sie das? Wie sollte sich denn jemand in der Situation wie Mollath, der sich nicht untersuchen lassen möchte, verhalten?

Franz Schindler: Er muss es ganz deutlich zeigen.

Wer als Patient "Nein, ich möchte das nicht" sagt, bringt seine Weigerung doch klar zum Ausdruck.

Franz Schindler: Ich sage es nochmal: Das ist eine Rechtsfrage, über die wir hier reden und Rechtsanwalt Strate hat ja auch Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt. Da ist jetzt, wenn ich es richtig weiß, die Generalstaatsanwaltschaft in München zuständig.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Augsburg muss jetzt überprüft werden. Das ist eine sehr schwierige Rechtsfrage. Außerdem: Leipziger und Richter Eberl ist Freiheitsberaubung unterstellt worden. Da muss man genau hinschauen. Das ist was anderes als Hühnerdiebstahl. Freiheitsberaubung ist ein schwerer Vorwurf. Um ein Ermittlungsverfahren wegen Freiheitsberaubung einzuleiten, muss man schon schwerwiegende Gründe haben.

Komisch, Gustl Mollath soll sich ja angeblich in den Türrahmen in seinem Haus gestellt haben und seine Frau am Verlassen des Hauses gehindert haben. Das wurde ihm dann als Freiheitsberaubung ausgelegt. Der CSU-Abgeordnete Jürgen W. Heike sprach in einer Landtagssitzung im Dezember 2011 gar gleich von einer "Geiselnahme".

Franz Schindler: Das ist ein Quatsch was der Kollege Heike da gesagt hat. Das war doch keine Geiselnahme.

Etwas anderes: Ist Beate Merk als Justizministerin überhaupt noch tragbar?

Franz Schindler: Das bin ich schon zehnmal gefragt worden, einmal sogar live im Fernsehen. Ich habe dazu jeweils gesagt, dass ein Justizminister nicht dafür verantwortlich ist, wenn ein Richter ein falsches Urteil fällt. Ein Justizminister ist allenfalls dafür verantwortlich, wie er dann in der Öffentlichkeit mit dem Fall umgeht. Dafür, dass Herr Mollath seit 7 Jahren in der Klinik sitzt, trägt Merk keine Verantwortung.

Aber sie trägt die Verantwortung für das, was sich nach Bekanntwerden des Revisionsberichtes abgespielt hat. Der Fall Mollath ist zu einem Öffentlichkeitsgau geworden.

Franz Schindler: In der Öffentlichkeit werden diese beiden Ebenen aber miteinander vermengt und keiner differenziert so, wie Sie es gerade gemacht haben. In den E-Mails, die ich bekomme, steht dann, dass Mollath weggesperrt wurde, damit die CSU-Seilschaften und die Machenschaften nicht aufgeklärt werden. Viele verstehen meine Position nicht und schicken mir böse Emails. Ich weiß ja, dass das Misstrauen gegen die Justiz weit verbreitet ist.

Wann ist für Sie der Zeitpunkt gekommen, zu dem Beate Merk zurücktreten muss?

Franz Schindler: Wenn es wirklich so wäre [betont wäre], dass es eine Absprache zwischen Justizministerium, Gericht, Staatsanwaltschaft und Gutachtern gegeben habe, dass Herr Mollath weggesperrt wird, weil er unangenehm im Zusammenhang mit Schwarzgeldgeschichten in Nürnberg werden könnte, dann muss nicht nur Merk zurücktreten, dann haben wir eine schwere Staatskrise, dann muss die gesamte Staatsregierung zurücktreten - wenn es so nachgewiesen werden könnte.

Und auch das sage ich nochmal: Dafür gibt es bis heute, ich weiß nicht, was morgen ist, da kann es anders sein, nicht den Hauch eines Beweises. Es gibt viele, die sich solch ein Szenario gut vorstellen können. Ich bin aber nicht bereit, mir das vorstellen zu wollen… Ich glaube und hoffe, dass dieses System, das wir, Gott sei Dank!, haben, nicht so gestrickt ist, dass so etwas passieren kann.

Wenn man sich das nicht vorstellen will, besteht dann nicht die Gefahr, dass man blind wird?

Franz Schindler: Selbstverständlich. Je länger man sich auch in dem System bewegt, desto mehr neigt man dazu, das System für unfehlbar zu halten; man schätzt es so gut ein, dass man jegliche Kritik daran schon als ungebührlich empfindet. Das kann ich nicht bestreiten. Überhaupt nicht. Und dennoch meine ich, nicht blind und nicht taub zu sein.

Und wenn mir morgen jemand den Beweis liefert, dass es so ist, dann kaufe ich eine Knarre und mache die Revolution.

Wer weiß, ob noch etwas hochkommt? Man muss damit rechnen, dass jederzeit Whistleblower auftreten.

Franz Schindler: Ich hoffe, dass nichts mehr hochkommt und zwar, weil es nichts mehr gibt.

Wenn die Anträge zur Wiederaufnahme durchgehen, dürfte sich demnächst das Landgericht in Regensburg mit dem Fall befassen. Was glauben Sie, wie wird es weitergehen.

Franz Schindler: Wenn ich das wüsste. Ich hoffe jedenfalls, dass das zuständige Gericht in Regensburg diesen Fall dann mit äußerster Sorgfalt bearbeitet. Das Gericht wird wissen, dass die Öffentlichkeit auf den Fall schaut. Flüchtigkeitsfehler dürfen da nicht passieren. Und dann muss eben geschaut werden, was an den Vorwürfen dran ist. Wenn es aber so sein sollte, dass das entscheidende Urteil im Fall Mollath keinen Bestand hat, dann muss Herr Mollath sofort freigelassen und entschädigt werden.