Eine Dekade des politischen Scheiterns

Am 20. März 2003 begann die Koalition der Willigen die "Operation Iraqi Freedom"

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Der zweite Irakkrieg der USA sollte die Menschheit vor einer unmittelbar bevorstehenden Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen schützen. Seine Legitimation stand außer Frage, wenn es diese rückhaltlose Bereitschaft zum Einsatz gegeben hätte, vor allem aber, wenn die mobilen Wüstenlabore und anderen geheimen Verstecke mit ihren menschheitsbedrohenden Potentialen je existent gewesen wären.

Nach der kriegerischen Auftaktveranstaltung wurde schnell klar: Die Bush-Regierung kämpfte gegen eine Fata Morgana, die sie selbst zuvor in das Bild gesetzt hatte. Der allfällige Sieg sollte sich wie ein Schleier über die nicht vorhandenen Kriegsgründe legen. Stattdessen wurde der zweite Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein zum politischen, ökonomischen, sozialen und medialen Fiasko. Die von ihm verursachten Schäden sind weiterhin unabsehbar. Mehr als 100.000 Iraker wurden getötet, die US-Streitkräfte verloren über 4000 Soldaten, 32.000 wurden verwundet. Das Ende der Veranstaltung ist offen.

U.S. Marines eskortieren irakische Gefangene (März 2003). Bild: U.S. Marine Corps

Der Hauptverantwortliche dieses Kriegs, Präsident Bush, malt heute in seiner Freizeit Hunde. Seine Mallehrerin Bonnie Flood bescheinigt ihm: "Er wird als großer Künstler in die Geschichte eingehen." Seine welthistorische Mission hatte ursprünglich eine andere Zielsetzung.

Mission accomplished?

Demokratien präsentieren sich vornehmlich deshalb als überlegene Staatsform, weil ihre Machtkontrolle im Systemvergleich außer Konkurrenz steht. Eine individuelle Freiheiten verachtende Arkanpolitik, die sich im Dunklen vollzieht, gilt als das Gegenmodell einer aufgeklärten Demokratie. Die Herrschaft muss transparent sein, sonst wäre es keine Demokratie. Idealtypisch betrachtet das Volk die von ihm gewählten Akteure in Echtzeit und klopft ihnen auf die Finger, wenn sie Volkes Willen verlassen.

Die Ironie, politisch unterentwickelten Gesellschaften Demokratie zu verordnen, wenn darüber die eigene so schmählich versagt, wurde zum Leitmotiv eines einseitig begonnenen, nicht provozierten Krieges. Der Anschauungsunterricht in Sachen Menschenverachtung ist bis heute das mediale Dauerprogramm der alliierten Sendung. Ausgerechnet die Etablierung einer menschenunwürdigen Praxis, die doch im Falle Saddam Husseins so unerträglich schien, um hieraus neben dem Totschlagargument der ABC-Waffen weitere humanitäre Kriegsgründe zu generieren, wurde zum Signum des Nachkriegsiraks.

Wurden zuvor Saddam Husseins Volkspeinigereigenschaften durch immer neue Geschichten eilfertig belegt, so agierten die neuen Herrscher im befreiten Irak selbst in den Verliesen des Abu-Ghraib-Gefängnisses und - wie jetzt vermutet - in einem verzweigten Gefängnisfoltersystem in eben dieser Weise. Laut Guardian und BBC sollen US-Veteranen mit guten Konnexionen in das Pentagon ein Foltergefängnis-Netzwerk etabliert haben.

Abu-Ghraib

Selbst eine Dekade von Krieg und "nation building" führte nach amnesty international nicht dazu, elementare Menschrechtsstandards im Irak zu sichern. Längst hat die Verstrickung in die Gefängnis- und Folterpraxis ein Ausmaß erreicht, das die Rede von Einzelfällen oder Entgleisungen als weiteres Lügengespinst erscheinen lässt.

Wurde das eigene ideologische Paket so geschnürt, dass Demokratie untrennbar mit der Humanität verbunden sei, verkehrte sich im Krieg und in der langen Zeit danach diese Politik in ihr Gegenteil. "Nationen, die man unterworfen hat, muss man entweder glücklich machen oder vernichten."

Niccoló Machiavellis schneidiges "Befriedungsprinzip" steht in einer Linie mit der späteren Theorie eines "reinen" Kriegs, der schnell und ultimativ zu vollziehen ist. In der Sprache des preußischen Generals und Militär-Denkers Carl von Clausewitz haben die "Friktionen" des Konflikts ein immer größeres Eigenleben entwickelt bis hin zu dem Punkt, dass Krieg und Frieden keine kategorisch trennbaren Zustände mehr sind. Im Irak ist das Chaos eines permanenten Kriegfriedens entstanden, für den politisch keine ausreichenden Lösungsmuster bereit standen und stehen.

Der Rückfall in die Schreckenskammer der Geschichte, in die finstersten Keller von Willkür, Lüge und Menschenverachtung ist also auch in angeblich so wachsamen Demokratien möglich. Die politische Aufklärung, die das Selbstverständnis von zahllosen Formen kritischer Öffentlichkeit beherrscht, versagte. Die Kompetenzen der Medien, öffentlicher Institutionen, zahlloser Thinktanks und vor allem des demokratisch gewitzten Bürgers, der sich ideologiekritisch und medial versiert nicht täuschen lässt, erwiesen sich als völlig untauglich, den völkerrechtswidrigen Akt zu verhindern. Eine Billigdemagogie, die von Behauptungen lebte und sich bei jeder Nachfrage in das nicht mitteilbare, weil hoch geheime Wissen flüchtete, reichte aus, die westlichen Demokratien zu lähmen. Selbst Bush wurde wieder gewählt, obwohl er sich längst als "Polit-Pinocchio" geoutet hatte (Bush bleibt Bush, da helfen keine Wahlen, Der Irak-Krieg - der Anfang vom Ende der Bush-Regierung?).