Urheberrecht als Instrument der Willkür?

Die Bundespolizei wollte das Smartphone eines Abgeordneten beschlagnahmen, weil er damit ein Rewe-Logo fotografiert hatte

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In den vergangenen zehn Monaten machten die Piraten vorwiegend mit Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam. Nun wird ein Vorfall diskutiert, der zentralen Anliegen der Partei etwas positive Öffentlichkeit verschafft: Ausgelöst haben ihn allerdings weniger Piraten als Bundespolizisten, die den Landtagsabgeordneten Nicolaus Kern unter Verweis auf einen angeblichen Urheberrechtsverstoß das Smartphone wegnehmen wollten, nachdem er das Firmenschild eines Rewe-Supermarktes fotografiert hatte.

Kern kam zu dem PR-tauglichen Vorfall nach eigenen Angaben wie die Jungfrau zum Kinde: Er wollte ein Bild der an der Kölner Bahnhofsfiliale einer Supermarktkette angebrachten Leuchtreklame "Rewe To Go" knipsen und es mit der Bemerkung "Weltneuheit: Jetzt gibt es endlich einen Supermarkt, bei dem man die Ware auch mitnehmen kann! #rewe2go" twittern. Der erste Teil des Vorhabens fiel jedoch einer Rewe-Mitarbeiterin auf, die einen privaten Sicherheitsdienst rief, der Kern mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte von Rewe-Angestellten dazu aufforderte, das Fotografieren zu unterlassen und die bereits gemachten Bilder zu löschen.

Als der 40-Jährige Jurist dem nicht nachkam, weil die Personen auf den Bildern seiner Schilderung nach bloß nicht individuell erkennbares Beiwerk waren, holte man die im Hauptbahnhof stationierte Bundespolizei, die den Landtagsabgeordneten mit auf die Wache nahm und anwies, alle Fotos zu löschen, auf denen im Hintergrund Rewe-Mitarbeiter zu sehen waren. Kern kam dem unter den Augen der Beamten nach, beließ jedoch ein Bild mit dem bloßen Logo auf seinem Telefon.

Darauf hin kündigte ihm ein Beamter an, man werde das Gerät beschlagnahmen, wenn er nicht auch dieses Bild löscht. Auf Fragen nach der Rechtsgrundlage hieß es Kerns Schilderung zufolge, das (außerhalb des Ladens fotografierte) Logo würde einen Urheberrechtsverstoß darstellen und er solle sich das Rewe-To-Go-Symbol stattdessen aus dem Internet herunterladen. Nach etwa 30 Minuten Diskussion fürchtete Kern, seine letzte Zugverbindung zu verpassen und wies sich mit seinem Landtagsausweis als Mitglied des Düsseldorfer Parlaments aus. Anschließend ließ man ihn auch ohne Löschung des Fotos oder Beschlagnahme des Smartphones gehen.

Bei der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin bestätigt man Telepolis einen Einsatz im Kölner Hauptbahnhof "bei dem es um das Fotografieren von Personen ging, die dies ausdrücklich nicht wünschten". Dabei seien jedoch weder Personen festgenommen noch Gegenstände beschlagnahmt worden. Stattdessen habe man dem Fotografen "die Rechtslage zunächst vor Ort und später auch auf der im Bahnhof befindlichen Bundespolizeiwache eingehend erläutert". Anlass für "weitergehende polizeiliche Maßnahmen" (wie die Dokumentation der Personalien) habe nicht bestanden.

In der Rewe-Konzernzentrale betont man, es sei "selbstverständlich" jedem Bürger erlaubt, vom "öffentlichen Raum" aus Rewe-Märkte zu fotografieren. Sobald allerdings Angestellte identifizierbar auf dem Foto zu sehen seien, müsse der Fotograf diese um eine Erlaubnis bitten, die auch verweigert werden könne. Inwieweit ein Bahnhof ein "öffentlicher Raum" ist, in dem die so genannte "Panoramafreiheit" gilt, ist rechtlich umstritten: Dazu, ob eine grundsätzliche Fotoerlaubnis eingeräumt wurde oder nicht, wollte sich das Verkehrsunternehmen gegenüber Telepolis nicht äußern.

Kern sieht durch den Vorfall grundsätzliche Probleme offengelegt, die Bürger ohne Parlamentsausweis im Umgang mit nicht auf den Alltag im 21. Jahrhundert angepassten Immaterialgüterrechtsvorschriften und einer nicht immer am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichteten Polizeipraxis haben. In Foren fragt man sich zudem, ob die Polizei wohl auch so schnell zur Stelle ist und so hart durchgreift, wenn RTL, ARD oder ZDF Hartz-IV-Empfänger oder andere Bürger im Kontakt mit Sicherheits- und Sozialbehörden ohne deren Zustimmung filmen.

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