Zypern: Alle verlangen die bedingungslose Kapitulation

Das Parlament in Nikosia. Bild: W. Aswestopoulos

Wie ein fehlerhaftes Wirtschaftsmodell vollkommen lahm gelegt wird

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Zyperns Regierung findet keine Lösung für sein Bankenproblem. Es gibt nämlich keine mehr. Seit Donnerstagmorgen sind die Auswirkungen der Bankenblockade im Alltagsleben der Insel überall spürbar. Wer kein Bargeld hat, bekommt in den Läden, an Tankstellen, in Restaurants, kurz nirgendwo mehr etwas. Der Autor dieses Textes verließ die Insel gestern um 12 Uhr mit 15 Euro Bargeld. Die noch auf der Insel verbliebenen Kollegen berichteten, dass auch sie kein Benzin mehr haben. Die Apotheken erhalten von den Lieferanten Medikamente nur noch gegen Bargeld. "Es ist, als würde man aus einem Flugzeug in 10.000 m Höhe ohne einen Fallschirm abgeworfen", hatte der Parteisekretär der AKEL am Dienstagabend im Parlament treffend beschrieben.

Während die Diskussionen im Parlament von Nikosia immer noch andauern, die Eurogruppe ein ums andere Mal auf eine Lösung drängt und die EZB pünktlich auf den Nationalfeiertag des 25. März ein letztes Ultimatum vor dem angekündigten Totalkollaps terminiert, ist Zyperns Wirtschaftsmodell bereits jetzt unrettbar zerstört. Die Inselrepublik setze jahrelang auf niedrige Unternehmenssteuern und preiswerten Sonnenurlaub. Dass momentan niemand mehr ohne Not sein Geld einem zypriotischen Bankhaus anvertrauen würde, ist mehr als nur nachvollziehbar. Genau im verzweifelten Kampf der Zyprioten, das Vertrauen in die Bankinstitute wiederherzustellen

Ob die niedrigen Unternehmenssteuern und das damit verbundene Anlocken von Firmen, die wie im Kapitalismus selbstverständlich, Abgaben sparen wollen, richtig oder falsch ist, sei dahingestellt. Es erscheint jedoch bigott, den Zyprioten dies vorzuwerfen, wenn die gleiche Troika aus IWF, EU und EZB in Griechenland genau dieses Modell der Senkung von Unternehmenssteuern als Reformauflage durchsetzt.

Am Dienstag herrschte nach der Ablehnung noch verhaltene Zuversicht. Bild: W. Aswestopoulos

Unter diesem Motto wurden Hewlett Packard und der chinesische Hafenbetreiber COSCO jüngst von der Mehrwertsteuerzahlung in Griechenland befreit. Wie durch eine parlamentarische Anfrage des damaligen Oppositionssprechers und jetzigen Regierungspolitikers Giannis Michelakis ans Licht kam, zahlt der von Hoch Tief verwaltete Flughafen Athens, immerhin einer der teuersten Airports Europas, keine Mehrwertsteuer.

Ebenso wie Griechenland über den kreditfinanzierten Konsum sein Wirtschaftssystem aufpumpte, trieben es die Zyprioten beim Bankensektor bis zum Exzess. Hunderte Rechtsanwaltsfirmen bieten investitionsfreundlichen Russen gegen eine entsprechende Gebühr die Rechtsberatung für die Gründung eines Unternehmenssitzes auf Zypern an. Buchhalter spezialisierten sich ebenfalls auf die osteuropäische Kundschaft. Fällt der Bankensektor weg, dann fehlt dem Dienstleistungssektor die Existenzgrundlage.

Als Kettenreaktion würden natürlich auch die zahlreichen russischen Touristen und Ferienvillenbesitzer fern bleiben. Limassol gilt als größte russische Stadt außerhalb Russlands. Die Einwohner Nikosias berichten von 50.000 Russen, die mehr oder weniger mit Limassol verbunden sind. Bei weniger als einer Million Einwohnern in der gesamten Republik ist die Präsenz der Russen ein wichtige Einnahmequelle.

Weder die Russen, noch die britischen oder deutschen Touristen die in Kürze erwartet werden, goutieren, dass sie vor Ort eine Bargeldknappheit fürchten müssen. So begrenzte heute die Laiki Bank die maximal abhebbare Geldmenge an Automaten auf täglich 260 Euro. Schecks, auch Travellerschecks, werden nicht angenommen. Selbst wenn sich die Situation innerhalb weniger Wochen beruhigen sollte, wird es mit Sicherheit zu Stornierungen kommen.

Eben weil dies nahezu allen Zyprioten bewusst ist, stemmen sie sich gegen die Zwangsabgabe für Kontenbesitzer, die in den englischsprachigen Medien kurz Haircut genannt wird. Damit verweisen sie auf die Beteiligung der nun taumelnden Geldhäuser am griechischen Haircut der Staatspapiere. Im Sommer 2011 wurde der Schaden für die Inselbanken auf knapp 3,6 Milliarden Euro taxiert. Wie immer bei den Schätzungen der Troika, war die Summe am Ende höher. Es gingen nach Angaben der Zentralbank Zyperns mehr als fünf Milliarden Euro, immerhin fast ein Drittel des BIP, verloren.

Der nun wegen seiner Zustimmung zum Haircut gescholtene ehemalige Präsident Dimitris Christofias entschuldigt sich: "Hätte ich nicht zugestimmt, dann wären, so sagte mir die Troika, die Griechen verhungert." Christofias hauptsächliche Schuld war jedoch die Explosion, die 2011 eine Marinebasis und das wichtigste Kraftwerk des Landes zerstörte (Zypern trauert und ist wütend). Für die Folgen der schlechten Planung zahlen die Insulaner immer noch überhöhte Stromrechnungen. Denn ein neues Kraftwerk kostet ebenfalls fast fünfzehn Prozent des BIP. Einen Teil des teuer mit Generatoren erzeugten Stroms zahlt die Staatskasse selbst.

Plakat in Nikosia. Bild: W. Aswestopoulos

Schließlich musste Zypern das am schlimmsten betroffene Geldhaus, die Laiki Bank (Popular Bank), erst vor Jahresfrist verstaatlichen, weil der bisherige Besitzer, die Marfin Investment Gruppe unter dem griechischen Tycoon Andreas Vgenopoulos, das Geldhaus für seine waghalsigen Spekulationen benutzte.

Weder die Troika, noch die Eurogruppe und erst recht nicht die deutsche Bundesbank lassen diese Einwände gelten. Sie bestehen auf einer bestenfalls abgeschwächten, im Grunde jedoch bedingungslosen Akzeptanz ihres Diktats. Die zu erwartende Kapitalabwanderung wollen sie "mit unbegrenzten Mitteln" durch Liquiditätshilfen für die dann noch mehr taumelnden Banken auffangen. Zyperns Staatsschulden würden durch solche als Kredite an den Staat verrechnete Liquiditätshilfen für die Banken ins Unermessliche steigen, während das BIP mit Sicherheit stark sinken würde.

Bank of Cyprus in Griechenland - geschlossen. Bild: W. Aswestopoulos

Wer ist vom Theater um die Banken noch betroffen?

Außer von der Troika bekommen die Zyprioten zusätzlich Druck aus Griechenland. Der griechische Finanzminister Yannis Stournaras versichert den Hellenen ein ums andere Mal, dass die in Griechenland operierenden zypriotischen Bankfilialen abgesichert wären. Gleichzeitig erging jedoch vom Finanzministerium ein Befehl an alle öffentlichen Kassen. Schecks der in Griechenland befindlichen Filialen zypriotischer Banken werden nicht mehr angenommen.

Somit können auch die Unternehmer, die ihre Konten dort führen, weder ihre Steuern begleichen, noch ihre Sozialbeiträge abführen oder ihre Angestellten bezahlen. Schlimmer noch, wer dem Staat mehr als 1000 Euro schuldet, kann in Hellas sofort festgenommen werden. Bei mehr als 5000 Euro wird es kriminell. Geschäfte über 1500 Euro müssen wegen der Reformgesetze zwangsweise bargeldlos, also über ein Geschäftskonto abgewickelt werden. Daher können die betroffenen griechischen Unternehmen auch mit eventuell vorhandenem Bargeld keine Lieferungen bezahlen und kaum ihre bestellten Waren aus dem Zollbereich des Hafens holen. So lange die zypriotischen Geldhäuser geschlossen bleiben, wird für Griechenland die Gefahr eines Dominoeffekts größer.

In Griechenland, vor allem aber auf Zypern liegen Konten von Tourismusbüros auf Eis. Sehr oft handelt es sich um Anzahlungen oder gar komplette Begleichungen von Reisen von Einzeltouristen oder Pauschalgruppen. Besonders bitter für die Zyprioten ist hierbei, dass manche Unternehmer mit einer Gewinnspanne arbeiten, die unter dem Prozentsatz der immer noch diskutierten Zwangsabgabe liegt. Denn vom Tisch ist die Sache immer noch nicht.

Die Frage vieler Bürger. Bild: W. Aswestopoulos

Die Entwicklung der letzten Stunden

Es wäre durchaus möglich, dass die so genannten Kleinsparer mit bis zu 100.000 Euro aufgrund der bestehenden Garantien der EU für Konten vollkommen von einer Abgabe befreit werden. Das würde theoretisch bedeuten, dass alle Einlagen über 100.000 Euro angezapft werden könnten. Die Kontogarantie gilt jedoch laut der in Zypern gültigen Gesetzesversion pro Person und pro Konto. Demnach wären, anders als beim ursprünglichen Plan (Bankenrettung in Zypern: Das Chaos ist komplett), auch Konten mit 400.000 Euro frei von einer Abgabe, wenn sie vier Berechtigte hätten. Folgerichtig würde dann für die "reicheren" eine noch höhere Abgabe fällig.

Aktuell heiß diskutiert wird jedoch eine Zerschlagung der Laiki Bank in eine Good Bank und eine Bad Bank. Die Einlagen oberhalb der 100.000-Euro-Garantie würden zur Bad Bank gehen. Dieser Schritt wurde am späten Donnerstagabend von der Eurogruppe nicht grundsätzlich abgelehnt, aber auf später verschoben. Zudem denken die Kabinettsmitglieder in Nikosia über eine Abgabe auf Zinsen, statt auf Guthaben nach. Dies erscheint ihnen gerechter.

Ein Abgeordneter der kommunistischen AKEL feuert die Demonstranten an. Bild: W. Aswetsopoulos

Die gleichzeitig mit Russland laufenden Verhandlungen befinden sich zur Zeit im Stocken. Denn für die Rettung möchte Mütterchen Russland so gut wie alles haben. Vor allem aber die umfangreichen Erdgasvorkommen der Insel und den vor 18 Monaten durch die Explosion beschädigten Truppenstützpunkt samt Hafen.

Der griechische Finanzminister Yannis Stournaras möchte auch etwas, Geld von der EZB und die Übernahme der zypriotischen Banken in Griechenland. Denn ansonsten meint er, wäre das Bankensystem in Hellas gefährdet.

Zypern hat es wirklich nicht leicht. Denn selbst die beispiellos friedlichen Demonstrationen der letzten Tage mündeten heute in zahlreiche Prügeleien vor dem Parlament.