Die Hermeneutik des Terrors

Bernd Zywietz. Bilder: Stefan Höltgen

Das Netzwerk für Terrorismusforschung untersucht analogen und digitalen Terrorismus

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Auf seinem zwölften Workshop, den das Netzwerk für Terrorismusforschung am 14. und 15. März an der Berliner UdK veranstaltete, diskutierten junge Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Bereichen und mit verschiedenen Methoden. Das Thema Terrorismus in seinen kulturellen Ausprägungen und Verarbeitungsmustern stand auf der Agenda. So disparat die Zugänge dazu waren, offenbarten sie jedoch einen grundsätzlichen akademischen Zugang zur Wirklichkeit.

Man könnte bereits darüber diskutieren, ob „analog“ und „digital“ nicht nur wirkliche Gegensätze zueinander darstellen, sondern auch, inwiefern sie überhaupt fruchtbar sind, wenn man sie auf Phänomene anwendete, die nicht vorrangig informationswissenschaftlicher Natur sind. Als Metaphern sind sie – vor allem das „Digitale“ - heutzutage überaus produktiv, so dass ein Blick auf diese Produktivität vielleicht schon einen interessanten diskursanalytischen Beitrag darstellen würde. Auf diese Metaebene haben sich die jungen Wissenschaftler des Netzwerks – allesamt Promovenden in unterschiedlichen Disziplinen an verschiedenen deutschen Universitäten – jedoch nicht begeben. Der zweitätige Workshop an der Berliner Universität der Künste, den in diesem Jahr der dort ansässige Soziologe Stephan Humer ausrichtete, untersuchte am ersten Tag kulturelle Repräsentationen des Terrorismus – in zumeist digitalen Medien; am zweiten Tag kam die empirische Forschung zum Zug und präsentierte Forschungsergebnisse zu verschiedenen Feldern der Terrorismusprävention, -bekämpfung und -finanzierung.

Bilder

Die gesellschaftliche Verarbeitung von Terrorakten findet schon kurz nach dem Geschehen in der Kultur statt. Deshalb verhilft ein Blick auf kulturelle Repräsentationen von Terror auch zu einer Erkenntnis, welche Verarbeitungsmuster eine Gesellschaft in Anschlag bringt, wenn sie mit solchen scheinbar „unfassbaren“ Taten konfrontiert wird. Der Spielfilm nimmt hierbei in den letzten Jahren eine doppelte Rolle ein: In ihm werden Terrorakte nach kalkulierten Dramaturgien aufbereitet, wie Tullio Richter-Hansen in seinem Beitrag über Ridley Scotts Film Body of Lies berichtet, den er als Exemplar eines regelrechten „Terrorismusfilm-Genres“ vorstellt. Im Film selbst werden zudem analoge und digitale Medientechnologien der Überwachung dargestellt, die das Thema selbstreflexiv auf sich anwenden.

Einen ähnlichen Selbstbezug bekommt auch der Film/Fall „The Innocence of Muslims“, den Bernd Zywietz als Paradebeispiel für Baudrillards „Simulacrum“ apostrophiert: Vom Film selbst existiert lediglich ein Trailer, der eine etwa 74-minütige Version ankündigt, die – nachdem weltweite Proteste den „Film“ bekannt gemacht haben – in einem Akt der Ironisierung schnell von Dritten produziert und im Web lanciert wurden. Dass die Beteiligten am Film nicht ausfindig gemacht werden können bzw. aussagten, sie hätten vor der Kamera ganz andere Dinge gesagt und aus dem Produktionskontext nicht erkennen können, zu was das Endprodukt montiert werden würde, zeigt, wie problematisch die Beziehung zwischen Wirklichkeit und Medien sein kann – insbesondere wenn ein fiktionales Produkt wie „The Innocence of Muslims“ Tote und Verletzte nach sich zieht.

Worte

Dass es nicht unbedingt (Lauf)Bilder bedarf, um den Diskurs über Terrorismus zu befeuern, hat der Sprachwissenschaftler Jan-Henning Kromminga, der an der Berliner TU im DFG-Projekt „Aktuelle Konzeptualisierungen von Terrorismus – expliziert am Metapherngebrauch im öffentlichen Diskurs nach dem 11. September 2001“ arbeitet, referiert. Inwiefern Terrorismus in der medialen Debatte mit Metaphern und Konzeptualisierungen aus ganz anderen Bereichen subtil zur Generierung von Affekten behandelt wird, zeigen vor allem die aus dem medizinischen Bereich entliehenen Zuschreibungen: Terrorismus wird häufig als „Krebs“, „Seuche“ usw. metaphorisiert, was dazu verleitet, auch die Gegenstrategien aus dem selben Bereich sprachlich zu verhandeln.

Aber nicht nur der Diskurs über den Terrorismus nutzt Sprache mit nicht selten demagogischen Zielen, auch diejenigen, die von fundamentalistischer Seite aus Menschen für ihre Weltsicht gewinnen wollen, beherrschen und manipulieren die Kommunikation zielsicher. Auch wenn vielleicht zunächst der Eindruck entstehen könnte, das Netzwerk habe vor allem mit islamistischem Terrorismus zu tun, ist dies keineswegs so. Der Theologe Clemens Schwarz blickt „über die Islam-Scheuklappe hinaus“ und untersucht in seiner Doktorarbeit zur „Religion 2.0“, wie christliche Fundamentalisten in den USA unterschiedliche Kanäle – vor allem das WWW – dazu nutzen, ihre Ideen zu verbreiten und immense Geldmengen zu akquirieren. Seine Forschung ist unter anderem deshalb möglich, weil die von den Fundamentalisten genutzten sozialen Netzwerke solche Strukturen aber eben auch transparent machen.

Das digitale Gefechtsfeld

Das Netzwerk Terrorismusforschung – das zeigt sich schon an der Tatsache, dass es der Workshop dieses mal von einem Soziologen ausgerichtet wurde – ist allerdings keineswegs auf hermeneutische und linguistische Zugänge zum Phänomen abonniert. Vielmehr bilden diese einen Teil im methodischen Korpus, der durch die Mitglieder repräsentiert wird. Empirische Fragen, wie die von Jasmin Röllgen im Rahmen ihrer Promotion an der Münchner Bundeswehr-Universität gestellten, bilden einen ebenso wichtigen Bestandteil, der das Netzwerk auch in eine (angestrebte) Beratungsposition versetzen soll.

Jasmin Röllgen

Röllgen fragt sich, inwieweit so genannte „focussing events“ (wie etwa die Terroranschläge vom 11. September 2001) konkreten Einfluss auf politische Entscheidungen bekommen. Konkret untersucht sie hierzu die Einführung des IMSI-Catchers, mit dem Mobiltelefone ausgespäht werden können, in der Folge der oben genannten Anschläge in den USA. Zwar sei diese Technologie nicht schon bereits in der Schublade gewesen und Otto Schily habe nicht bloß auf den rechten Moment gewartet, um die Öffentlichkeit für die Verwendung solch einer Technologie gewinnen zu können; es lässt sich aber auch nicht von der Hand weisen, dass der Moment „günstig“ gewesen ist.

Mathias Bug

Matthias Bug, der ebenfalls an der Universität der Bundeswehr promoviert, aspektiert in seiner Forschung für SIRA (Security im öffentlichen Raum), inwieweit in bestimmten Bevölkerungsgruppen durch durch konkrete Sicherheitsmaßnahmen, wie etwa die Vorratsdatenspeicherung, das Gefühl des Beobachtetseins zunimmt. Er vergleicht dabei Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland, in denen er jeweils über telefonische Umfragen empirisches Material gesammelt hat. Gerade angesichts der Arbeit von Bug kam in der Diskussion die Frage auf, welchen Nutzen eigentlich SIRA für den Forschungsauftraggeber (namentlich das Bundesministerium für Bildung und Forschung, aber auch für die Bundeswehr, an deren Universität das Drittmittelprojekt stattfindet) hat, wofür die Forschungsdaten genutzt werden und inwieweit die institutionelle Einbettung einer derartigen Forschung die Interpretation der Ergebnisse beeinflusst.

Eine digitale Analogie für Geld

Das Analoge und Digitale sind in den meisten Beiträgen ganz konkret auf Medientechnologien fokussiert worden. Der Call for Papers hat jedoch auch dazu verleitet, die Produktivität der Metaphern analog und digital stärker zu strapazieren, als ihnen vielleicht guttut. So war beispielsweise der Beitrag über Terrorismusfinanzierung von Lena Groth zwar aufschlussreich, um zu zeigen, welche Obfuskierungsstrategien sich angesichts eines international stark beobachteten Bankensystems etabliert haben. Ob eine von SWIFT delegierte Überweisung an sich nun aber „digital“ ist und die Überreichung von Bargeld durch Boten – im Rahmen des so genannten Hawala-Bankings als „analog“ bezeichnet werden kann, muss bezweifelt werden.

Lena Groth

Der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch hat sich ab den späten 1980er-Jahren mit der Frage der Medialität des Geldes beschäftigt. Geld kann zwar zahlreiche mediale Funktionen bekommen und besitzen – analog oder digital kann es allerdings nicht sein. Sollte hier eine Verwechslung von digital und virtuell vorliegen, könnte man anmerken, dass Geld von seiner Definition her bereits ein virtuelles Gut darstellt.

Workshop-Publikum

Solche medientheoretischen Fragen stellten jedoch nur Nebenschauplätze sowohl des Workshops als auch des Netzwerks dar. Dieses hat im Vorfeld des Treffens übrigens selbst eine Statusänderung vollzogen: Sieben der Mitglieder haben einen Verein gegründet und dessen Eintragung ins Vereinsregister beantragt. Dem 1. Vorsitzenden des Vereins, Stephan Humer, zufolge war der Antrieb „die Verfestigung der bestehenden Strukturen und der darauf folgende Ausbau.“ Das Netzwerk habe bislang schon über 400 Personen angezogen, die mal mehr, mal weniger eng zusammenwirken. „Das soll durch den Verein nun noch attraktiver werden, da nun gemeinsame Forschungsprojekte, Veranstaltungen, Kooperationen - auch mit Behörden und Firmen, nicht nur mit Universitäten - sowie Publikationen möglich sind“, so Humer. Das könne ein eigentlich eher unverbindlicher Zusammenschluss von Interessierten, wie ihn das Netzwerk bislang darstellte, so nicht leisten. Diese Kooperationsbereitschaft ist bereits im Vereinsvorstand personifiziert. Dort finden sich nicht nur Akademiker, sondern auch Unternehmens- und Sicherheitsberater, wie der stellvertretende Vorsitzende Clemens Schwarz. Der Verein strebt die Gemeinnützigkeit an, um Drittmittel akquirieren zu können. Hierzu sollen Humer zufolge „als nächstes die Schwerpunkte Nachwuchsförderung, Forschung und Kooperation gestärkt werden.“