Allgemeinkriminelle Herrenmenschen

Nordrhein-Westfalen zählt neuerdings nicht nur politisch motivierte, sondern auch alle anderen Straftaten, die Rechtsextremisten begehen

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Sie verstehen sich als Teil der Herrenrasse, Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, betrachten sie als ungleich und weniger wert. Rechtsextremisten demonstrieren gegen "Ausländergewalt" und "kriminelle Ausländer" und werfen Migranten vor, sich in Deutschland nicht benehmen zu wollen. In Kampagnen gegen Sexualstraftäter und "Kinderschänder" fordern sie die Todesstrafe für Täter oder Tatverdächtige. Drogenhandel ist für sie ein schwerkriminelles Delikt.

Eine Erhebung des nordrhein-westfälischen Landesinnenministeriums zeigt nun erstmals: Rechtsextremisten begehen oft auch selbst allgemeinkriminelle Delikte, ihre Kampagnen und Propaganda wären demnach ein Fall fürs das Lehrbuch der Doppelmoral.

Am Dienstagmorgen stellte Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) bei einem Pressefrühstück in Düsseldorf die Ergebnisse der Kriminalstatistik für das Jahr 2012 in Nordrhein-Westfalen vor. Jäger führte dabei vor Medienvertreten aus, die neue Zählweise der Straftaten zeige, "dass rechtsextremistische Straftäter noch gefährlicher sind, als es allein die Zahl der politisch motivierten Straftaten erkennen lässt. Die Statistik belegt, dass auf nahezu jedes bekanntgewordene politisch motivierte Gewaltdelikt von Rechtsextremisten zwei weitere Gewaltdelikte der Allgemeinkriminalität kommen."

Im Jahr 2012 wies die Polizei nach Angaben von Jäger 556 Rechtsextremisten insgesamt 1.387 Straftaten der Allgemeinkriminalität nach. Darunter war ein Tötungsdelikt, bei dem laut Lokalpresse ein 18-jähriger Arbeitsloser aus Recklinghausen einen Saufkumpel erschlagen haben soll. Beide Personen waren seinerzeit von den Ermittlern als "wenig einflussreiche Angehörige" der rechten Szene umschrieben worden. Meint: Sie dachten zumindest rechtsextremistisch und fremdenfeindlich. Für 2012 zählte das NRW-Innenministerium zudem 275 Körperverletzungen und 310 Diebstähle und Einbrüche, begangen durch Rechtsextremisten.

Zusätzlich zu 31 bekanntgewordenen politisch motivierten Bedrohungen und Nötigungen begingen Rechtsextremisten demnach auch 107 Bedrohungen und Nötigungen der Allgemeinkriminalität. Aus einer den Medienvertretern ausgehändigten Auflistung geht zudem hervor, dass Rechtsextremisten 2012 vier Sexualdelikte begangen haben sollen, dazu im nicht politisch motivierten Bereich zehn Landfriedensbruch-Delikte und 33 Widerstandshandlungen gegen Ordnungshüter. Bedenkt man, dass Rechtsextremisten zwar die linksextreme Szene wegen deren Gewaltbereitschaft kritisieren, aber selbst teilweise auch in der Hooligan- oder Rocker-Szene aktiv sind, lässt sich erahnen, welche Straftaten der Allgemeinkriminalität hiermit gemeint sein könnten.

Bereits im Dezember 2011 hatte Jäger mit einem Acht-Punkte-Programm ein schärferes Vorgehen gegen die rechtsextreme Szene angekündigt. Beim Landeskriminalamt koordiniert seitdem das "Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus" landesweit die Bekämpfung rechter Straftaten. Auslöser für Jägers Programm waren auch die Entdeckung des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) und die zahlreichen Ermittlungspannen. Jäger schlussfolgerte Ende 2011, dass künftig nicht nur Staatsschutzdelikte von Neonazis, sondern alle Straftaten derselben statistisch erfasst werden sollen. So "erhalten wir ein klareres Bild über ihre sämtlichen kriminellen Aktivitäten."

Jäger kündigte seinerzeit auch an, neben der Gründung des "Kompetenzzentrums" würden bei den Polizeibehörden Dortmund, Aachen, Wuppertal und Köln Sonderkommissionen eingerichtet und zusätzliche Ermittler bereitgestellt. Besagte Städte und deren Umland gelten als Hochburgen der braunen Szene in NRW. Auffällig gewordene Rechtsextremisten werden in diesen Regionen nun von "ihrem" Stammbeamten betreut, der etwa Handschrift oder Verhaltensweisen "seiner" Neonazis kennt. Die Behörden erhoffen sich so, Straftaten besser aufklären zu können. Zugleich sollten präventive Aufklärungs- und die Aussteigerprogramme verstärkt werden.

"Rechtsextremisten sind eine Gefahr für unsere gesamte Gesellschaft"

Am Dienstagmorgen nun präsentierte Jäger das Resultat der neuen Kriminalstatistik, in der erstmals auch nicht politisch motivierte Delikte ausgewiesen sind. Rechtsextremisten seien, das werde nun deutlich, "eine Gefahr für unsere gesamte Gesellschaft", warnte Jäger. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP spitzte der Sozialdemokrat sogar überdeutlich zu: "Heute verprügelt ein Neonazi einen Ausländer, morgen stiehlt er einer alten Frau die Handtasche."

Rechtsextremisten würden sich auch Sozialleistungen erschleichen und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz begehen. Zwanzig der insgesamt 556 ermittelten rechtsextremistischen Straftäter fielen demnach durch eine hohe kriminelle Energie auf. "Sie alleine verübten 384 dieser Straftaten – jeder von ihnen also mindestens zehn", sagte Jäger dazu. Sechs jener Personen säßen unterdessen in Haft, 13 Personen würden nun im "Intensivtäterprogramm Allgemeinkriminalität" betreut.

Wie stichhaltig Jägers Statistik ist, dürfte sich noch zeigen. Alexander Häusler von der Arbeitsstelle Neonazismus an der FH Düsseldorf, bezweifelte, ob eine solche Auflistung wirklich jede Straftat aufführen müsse: "Zu wissen, ob ein Neonazi ohne Führerschein Auto fährt, sagt nichts über dessen rechtsextremes Gesamtbild aus." Rolf Jaeger, stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten, verwies zudem auf die Problematik der "Mischtäter".

Ein Beispiel dafür dürfte ein Körperverletzungsdelikt durch ein Paar aus Alsdorf (Städteregion Aachen) sein, das in der Nachbarstadt Herzogenrath im August 2012 zwei türkisch-stämmige Frauen extrem fremdenfeindlich beleidigte und im Zuge eines Gewaltdeliktes teilweise schwer verletzte. Beide Verurteilten waren zuvor schon wegen Drogen- und Gewaltdelikten aufgefallen und gehörten laut einem ersten, kurz nach der Tat publizierten Polizeibericht "nicht dem rechten Spektrum" an.

Doch zumindest die junge Frau macht aus ihrem radikalen Fremdenhass keinen Hehl. Sie hat ein Faible für die Hooligan-Szene, konsumiert Haschisch und hört neben Techno-Musik auch die rechtslastige Hooligan-Band "Kategorie C" sowie die mit nationalistischen Tönen auftrumpfende Band "Frei.Wild". Obschon der Angriff auf die beiden türkisch-stämmigen Frauen zu Recht im Bereich der politisch rechts motivierten Straftaten gelistet werden sollte, gehört das Täterduo dennoch nicht der Neonazi-Szene an. Damit dürften beide exemplarisch das Bild der "Mischtäter" erfüllen, auf das der Funktionär des Bundes der Kriminalbeamten hinwies – und Neonazis würden es sicher propagandistisch ausschlachten, falls Jäger auch deren Delikte aus dem Bereich Allgemeinkriminalität zu seiner neuen Statistik addiert hätte.