Bricht das Lebensversicherungssystem zusammen?

Tobias Klostermann über Risiken in der Anlageberatung und die prekären Aussichten der Lebensversicherungsbranche

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In seinem Buch Die Berater-Lüge schildert der Anlageberater Tobias Klostermann anschaulich die Risiken in der Anlagebranche, gibt Hinweise zu Vor- und Nachteilen von Finanzanlagen und Ratschläge, wie man die schwarzen Schafe des Gewerbes erkennt. Außerdem äußert er sich über die Zukunft des gegenwärtigen Lebensversicherungsmodells äußerst skeptisch.

Herr Klostermann, können Sie eine Einschätzung abgeben, in welchen finanziellen Dimensionen Jahr um Jahr falsch beraten wird?

Tobias Klostermann: Ich könnte jetzt anfangen, Ihnen die Zahlen von der Verbraucherschutzzentrale Finanztest zu nennen, nur sehe ich das Problem bereits weiter vorne gelagert: Was ist denn überhaupt eine Falschberatung? Ein aktuelles Beispiel: Große Konzerne fahnden zurzeit nach Anlagefeldern, die beim Kunden die größte Resonanz finden. Das sind aktuell - anders als vor der Krise - keine Aktien und Immobilien mehr, sondern alle Anlagemöglichkeiten, die groß sind und einen Garantie-Stempel haben. Ich finde aber, es stellt schon eine Art Falschberatung dar, wenn man dem Kunden eine Garantie verkaufen möchte, wo "Berater" draufsteht. Jedes Garantieprodukt ist aktuell eine Falschberatung. Hier geht es um Milliarden.

Tobias Klostermann

Ist in Sachen Fehlberatung die Talsohle erreicht oder kommt das dicke Ende erst noch?

Tobias Klostermann: Auch jetzt haben wir mit dem Skandal um eine Frankfurter Investmentgruppe wieder einen aktuellen Fall, wo Anlageberater, die Kunden mit Ferraris und schönen Frauen verzaubert und so unseriös viel Geld der Anleger verprasst haben sollen. Das wird immer wieder kommen und hier ist so lange noch nicht die Talsohle erreicht, bis die Ausbildung im Anlagegeschäft nicht klar geregelt ist, wie zum Beispiel im juristischen und medizinischen Bereich, also mit Studium und Junior-Partnerschaften.

Was hat sich in den letzten 20 Jahren geändert, damit es zu Fehlberatungen von diesem Ausmaß kommen konnte?

Tobias Klostermann: Ich denke, dass es auch vor dreißig und vierzig Jahren Fehlberatungen gab, nur war das System auf ein Wachstum ausgerichtet, das man tatsächlich einhalten konnte. In den Industrienationen ist mit der Produktivität der Reichtum in großem Maße gewachsen und somit wurde auch das Geld immer mehr wert und die wenigen, die Geld verloren haben, sind nicht so aufgefallen. Aber seitdem es in den letzten 20 Jahren nicht mehr soviel Wachstum gibt, wird immer deutlicher: Je mehr die Zinsen gegen null gehen, umso mehr werden Fehlberatungen evident.

Können Anlageberater überhaupt juristisch belangt werden?

Tobias Klostermann: Mit Geld geht ja einiges. Wenn man Geld hat, kann man Anlageberater auch juristisch belangen, aber dann muss man noch einmal viel Geld ausgeben, um Anwälte zu bezahlen, die eventuell bis zum Bundesgerichtshof gehen. Gewinnchancen sind dann definitiv vorhanden. Aber wie gesagt, das kostet richtig Geld, und zwar nachdem man bereits Geld verloren hat.

Was unternimmt die Politik gegen die anrüchigen Beraterpraktiken? Müsste das derzeit gängige Provisionsmodell für Berater geändert werden und warum hat man dies nicht schon längst gemacht?

Tobias Klostermann: Hier stoßen mehrere Lager aneinander: Einmal die Honorarberater, die meinen, es ginge nur seriös und objektiv zu, wenn man Honorare berechnet, dann gibt es die Freunde der Provisionszahlung, die finden, dass man für eine erfolgreiche Vermittlung auch Provisionen einstreichen kann. Ich glaube, die Wahrheit ist in der Mitte zu finden. Es gibt Honorarberater, die lieber mal siebzig Stunden mehr beraten, auch wenn trotzdem nichts heraus kommt, und es gibt Berater, die auf Provisionsbasis erfolgreich arbeiten. Ich glaube, der Staat kann hier richtig viel regeln und Juristen und Mediziner sollten hier das Vorbild sein.

Gibt es spezielle Formen von Anlageinstituten, um die man von vornherein als Kunde einen Bogen machen sollte?

Tobias Klostermann: Man sollte erst einmal immer prüfen, ob der Berater über eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung verfügt. Die bekommt man nämlich nicht einfach so. Dann sollte man sich erkundigen, ob der Berater über langjährige Berufserfahrung verfügt. Auch Kundenreferenzen sind aufschlussreich. Gleichfalls ist es sinnvoll zu prüfen, ob der Berater einem vorspielt, dass er alles kann oder weitere Experten zurate zieht. In diesem Sinne gibt es viele Informationen, die der Kunde nutzen kann, um sich vor den schwarzen Schafen in der Branche zu wappnen.

Woran erkennt man einen guten Berater?

Tobias Klostermann: Ein guter Berater muss flexibel sein. Er muss mit dem Kunden Erfolgsvereinbarungen treffen können, die über mehrere Jahre laufen. Er kann auch Kompetenz und Experten-Know-How nachweisen und hat in den einzelnen Bereichen einen Versicherungsexperten, einen Spezialisten für Immobilien, einen Investmentfondskenner sitzen. Ich glaube nämlich nicht, dass eine Person alles kann. Und last but not least muss er in die "Mokassins" des Kunden hineinschlüpfen können. Denn was bringt es, wenn ich im Bereich Finanzen einen exzellenten Wissenschaftler vor mir sitzen habe, der aber nicht versteht, was ich brauche und wünsche? Also wichtig finde ich Qualität in der Breite, Flexibilität in der Honorierung und Empathie für den Kunden.

Was empfehlen Sie generell beim Thema Lebensversicherung?

Tobias Klostermann: Lebensversicherungen sind ein großartiges Produkt um die Hinterbliebenen finanziell abzusichern und so soll es auch bleiben. Nur ist Vermögenskapital kombiniert mit Todesfallschutz ein Produkt, das ich aktuell infrage stellen möchte, weil ich nicht weiß, wie die Branche in den nächsten Jahren folgendes Problem lösen soll: Wie können garantierte Zinsen an die Kunden gezahlt werden und zur gleichen Zeit die defensiven Geldanlagen mit Zinsen in Richtung null laufen?

Wie kann man erkennen, ob ein Lebensversicherungskonzern angeschlagen ist?

Tobias Klostermann: Man sollte zurzeit alle Versicherungsunternehmen genau betrachten.

Ist es möglich, dass das kapitalgedeckte Lebensversicherungssystem zusammenbricht?

Tobias Klostermann: Ja. Ich vergleiche die Branche gerne mit der Pferdekutschenindustrie. Das war über Jahrhunderte ein florierendes Geschäft, aber dann kam ein Verrückter, der ist mit einem Motor durch die Gegend gedüst und zurzeit sehe ich wenig Leute mit einer Pferdekutsche ins Büro fahren. So muss sich die Lebensversicherungsbranche heute etwas einfallen lassen. Sie kann nicht etwas garantieren, was sie nicht halten kann.

Was blüht dem Lebensversicherten, wenn das System kollabiert? Bekommt man wenigstens die eingezahlten Beträge heraus?

Tobias Klostermann: Das bezweifle ich schon immer. Ich glaube dass viele Kunden, wenn sie sich ihre Papiere genauer ansähen, feststellen würden, dass es schon sehr lange dauert, bis sich für sie ein Gewinn amortisiert. Das dauert derzeit länger als 15 Jahre. Zwar gibt es für die Konzerne die Möglichkeit, wenn Schulden nicht gezahlt werden können, in Absprache mit Frau Merkel wegen Systemrelevanz einen Schuldenschnitt zu vereinbaren. Das hilft nur dem nichts, der damit seine Rente aufstocken möchte.

Würden Sie den Leuten zurzeit abraten, Lebensversicherungen auf Kapitalbasis einzugehen?

Tobias Klostermann: Man muss die Frage anders stellen: Würden Sie zur Zeit der Pferdekutschenindustrie ihr Geld verleihen? Das würde ich nur unter sehr sehr speziellen Voraussetzungen empfehlen. Zum Beispiel bei einem ganz speziellen Versicherungsunternehmen, das im Geschäftsmodell nachweisen kann, dass es auf die Herausforderungen dieser Zeit, also Nullzinspolitik, kein extremes Wirtschaftswachstum et cetera, bestens vorbereitet ist.

Noch einmal: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass das kapitalgedeckte Lebensversicherungssystem kollabiert?

Tobias Klostermann: Hundert Prozent.

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