Gegen mörderischen Rassismus

Interview mit Bernd Kaminski, Sprecher des Bündnisses, das zur Demonstration in München anlässlich des NSU-Prozesses aufruft

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Der spektakuläre NSU-Prozess, der in München am 17. April beginnt, wirft seine Schatten voraus und dies nicht nur, was die Zulassung von Pressevertretern anbelangt (vgl. Antrag einer türkischen Zeitung auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise erfolgreich). Denn für den heutigen Samstag hat ein Bündnis von rund 200 Organisationen unter dem Leitspruch: "Gegen Naziterror, staatlichen und alltäglichen Rassismus" zu einer bundesweiten Großdemonstration in der Landeshauptstadt aufgerufen.

Zu den Unterzeichnern gehören zum Beispiel die "Internationale Liga für Menschenrechte", die "Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen" und auch die Münchner SPD sowie die Grünen. Die Kundgebung startet um 13 Uhr am Münchner Stachus, der Demonstrationszug führt vorbei am Mahnmahl des Oktoberfest-Attentats, passiert in gewisser Entfernung das Gerichtsgebäude an der Nymphenburger Straße und endet auf dem Marienplatz (Route).

Der Prozess vor dem Oberlandesgericht München richtet sich gegen Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche Unterstützer des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU), denen zehn Morde zur Last gelegt werden. Über die politischen Ziele und Forderungen des Bündnisses sprach Telepolis mit dessen Sprecher Bernd Kaminski.

Ein starkes Zeichen gegen Neonazis und Rassismus setzen

Rechnen Sie damit, dass die geplante Demonstration in München zu einer der größten bundesdeutschen Kundgebungen gegen den Neonazismus wird?

Bernd Kaminski: Die Demonstration wird sicherlich sehr groß werden. Wir haben bisher ein sehr gutes Feedback aus dem ganzen Bundesgebiet und gehen davon aus, dass viele tausend Menschen teilnehmen werden. Ähnlich starke Mobilisierungen hat es immer wieder gegeben, meistens anlässlich eines geplanten Aufmarsches von Neonazis, wie etwa jährlich in Dresden. In München werden wir sicherlich ein starkes Zeichen gegen Neonazismus und Rassismus setzen.

Was für ein politisches Signal soll zum Auftakt des NSU-Prozesses gegeben werden?

Bernd Kaminski: Der Auftakt des Prozesses gegen den NSU ist für uns nur der Anlass. Mit der Demonstration werden wir die Forderung nach einer rückhaltlosen Aufklärung der NSU Mordserie und der staatlichen Verstrickung in das Netzwerk militanter Neonazis auf die Tagesordnung setzen. Denn vor Gericht stehen nur fünf Angeklagte.

Aufgeklärt werden muss aber auch die Entstehung gewaltbereiter Neonaziszenen in den letzten 20 Jahren, die Rolle staatlicher Institutionen wie etwa die Verfassungsschutzämter und das gesellschaftliche Klima des Rassismus.

All dies, wie auch das Versagen von Polizei und Staatsanwaltschaft wird in der Verhandlung wohl höchstens am Rande thematisiert werden. Teilweise werden diese Fragen zwar in den Untersuchungsausschüssen angesprochen, wir setzen uns jedoch für eine Gesamtbetrachtung ein.

Die Kundgebung richtete sich auch gegen den alltäglichen Rassismus. Wie hängt Rassismus mit den Ermittlungen zu den NSU-Morden zusammen?

Bernd Kaminski: Es ist uns wichtig, im Zusammenhang mit den NSU-Morden den Rassismus zu thematisieren, der den Kontext des NSU bildet. Es gibt eine gesellschaftliche Struktur, die es den Mördern ermöglichte, für sich ihre Taten zu legitimieren. Diese Struktur hat auch eine Aufklärung der Mordserie verhindert und damit die Unterbindung weiterer Morde schwieriger gemacht. Diese Struktur heißt Rassismus.

Die Radikalisierung der an der NSU Beteiligten fällt in die Zeit, als in Deutschland das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde. Dies wurde durch eine Allianz aus einer sehr großen Koalition, die gegen Asylsuchende hetzte und Neonazis, die vor Ort gewalttätige Übergriffe ausübten, gesellschaftlich legitimiert und durchgesetzt. Anfang der 1990er Jahre lernten die Neonazis, dass mit tödlicher Gewalt Politik gemacht werden konnte.

Denn die Ausschreitungen, Pogrome, Überfälle und Brandanschläge wurden zwar offiziell verurteilt, gleichzeitig aber als Beleg dafür herangezogen, dass es ein "Ausländerproblem" in Deutschland gäbe, welches nun schnell gelöst werden müsse. Die Verharmlosung und das Ignorieren rassistisch motivierter Gewalt durch staatliche Institutionen ist eine Konstante der Geschichte der BRD.

Eine rassistische Struktur sehen wir auch in der einseitigen und diffamierenden Richtung, in der die Ermittlungen geführt wurden und welche die Angehörigen der Opfer als vermeintliche Täter stigmatisierte.

"Skandale am laufenden Band" - Für die Abschaffung des Verfassungsschutzes

Eine Forderung des Bündnisses ist die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Warum? Und was soll an seine Stelle treten?

Bernd Kaminski: Anlässlich der NSU-Mordserie wird immer wieder von einem Versagen der Verfassungsschutzämter gesprochen. Dieser Deutung liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Inlandsgeheimdienste tatsächlich den Schutz der Verfassung als Ziel verfolgen würden. Doch die Verfassungsschutzämter waren von Anfang an Apparate, die politisch motiviert eine sehr spezifische Agenda verfolgt haben, Skandale am laufenden Band produziert haben und oftmals Recht und Gesetz gebrochen haben.

Mittlerweile ist klar, dass die verschiedenen Verfassungsschutzämter durch das V-Mann-Unwesen direkt am Aufbau einer gewaltbereiten Neonaziszene beteiligt waren, Führungspersonen finanziell und logistisch unterstützt und sich oftmals der Strafvereitelung schuldig gemacht haben. Anstatt sich an der Aufklärung zu beteiligen, wurden Akten geschreddert und wichtige Informationen vorenthalten. Dieser Sumpf eines Staats im Staate muss endlich trockengelegt werden.

Eine weitere Forderung ist die Entschädigung wegen rassistischer und diffamierender Ermittlungen. Wie soll diese aussehen?

Bernd Kaminski: Die Angehörigen der Opfer wurden von durch die Ermittlungen ein zweites Mal zu Opfern. Ihnen wurden Verstrickungen in kriminelle Machenschaften vieler Art vorgeworfen, und wenn sie diese Vorwürfe zurückwiesen, wurde dies ebenso mit einer rassistischen Deutung eines angeblichen Ehrenkodex gegen sie gerichtet. Die Liste skandalösen Verhaltens von Seiten der Polizei und Staatsanwaltschaft ist lang. Dafür fordern wir Entschädigung, auch finanzieller Art. Nicht nur die Morde, sondern auch die jahrelangen falschen Ermittlungen haben Leben und Existenzen zerstört.

Sie fordern "umfangreiche Konsequenzen über den Prozess hinaus". Welche?

Bernd Kaminski: Neben der Abschaffung des Verfassungsschutzes fordern wir, das Thema des Rassismus in Deutschland, institutionell wie auch alltäglich, anzugehen. Das bedeutet zuallererst, die vielfältigen Formen rassistischer Diskriminierung und Ausgrenzung sichtbar zu machen, um dann notwendige Umgestaltungen vornehmen zu können. In letzter Konsequenz bedeutet es doch, dass wir endlich anerkennen müssen, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind, mit den notwendigen Konsequenzen für gesellschaftliche und staatliche Institutionen. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss sich endlich in die Einwanderungsgesellschaft integrieren.

Das Oktoberfestattentat - Versäumisse

Gehört dazu auch die Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat?

Bernd Kaminski: Absolut. Das Oktoberfest-Attentat ist das stärkste Beispiel für die Kontinuität rechtsextremistischen Terrors in der Bundesrepublik und der Unfähigkeit staatlicher Institutionen, diesen aufzuklären. Offiziell gilt noch immer die Einzeltäter-These. Doch ähnlich wie es beim NSU der Fall ist, müssen die neonazistischen Strukturen und staatliche Verwicklungen endlich restlos aufgeklärt werden.

Das Bündnis will den Prozess kritisch begleiten. Wie wird das aussehen?

Bernd Kaminski: Das Bündnis sieht den Prozess lediglich als Auftakt zu einer absolut notwendigen Aufarbeitung der Umstände, die das Agieren des NSU förderten und begünstigten. Dazu gehören neben den Nazistrukturen und den Verstrickungen staatlicher Ermittlungsbehörden vor allem auch der strukturelle und institutionelle Rassismus, der den Nährboden dafür bietet. Er war auch die Grundlage für die ständigen Diffamierungen der Opfer und deren Angehörigen durch die Polizei, die krampfhaft an der These organisierter Kriminalität festhielt und alle Hinweise auf rassistische Motive der Taten ignorierte.

Während wichtige Initiativen wie NSUwatch, den Prozess an den Prozesstagen selber begleiten werden, sehen wir es als unsere Aufgabe an, über die Verhandlungen und die Anklageschrift hinaus ein öffentlich kritisches Bewusstsein zu diesen Formen von Rassismus zu entwickeln.

Selbstverständlich werden wir über die gesamte Prozessdauer und darüber hinaus neue Fakten zum Anlass nehmen, dies zu thematisieren. Wir sind davon überzeugt, dass eine öffentlich geführte Debatte zu dem Entschluss kommen wird, dass der Inlandsgeheimdienst vollkommen untragbar ist und daher abgeschafft werden muss.

Zum Prozessauftakt selbst wird es am selben Tag eine Kundgebung stattfinden. Was ist da geplant?

Bernd Kaminski: Wir werden direkt vor dem Gericht eine Kundgebung abhalten, um zu zeigen, dass es eine kritische Öffentlichkeit gibt, die die Forderung nach einer restlosen Aufklärung hochhält. Auf der Kundgebung werden wir auch thematisieren, dass es in den letzten zwei Jahrzehnten 183 Opfer rechter Gewalt gegeben hat.

Sind Aktionen von Rechts zum Prozessauftakt bekannt?

Bernd Kaminski: Bisher ist uns dazu noch nichts bekannt, wir beobachten das aber sehr genau. Wir werden versuchte Provokationen von Neonazis nicht tolerieren und im Falle des Falles entschlossen reagieren.