"Wir sind in ganz, ganz vielen Punkten nicht mit der Wahrheit bedient worden"

Fall Mollath: Grünen-Politiker Martin Runge kritisiert die Bayerische Justizministerin scharf

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Geht es nach dem Willen der Grünen und Freien Wähler, soll der Fall Mollath bald vor einem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags genauer betrachtet werden. Im Gespräch mit Telepolis betont der Fraktionsvorsitzende der Grünen in Bayern, Martin Runge, dass sich der Ausschuss im Wesentlichen mit der fragwürdigen Rolle der Justiz- und Finanzbehörden auseinandersetzen werde. Auch das Agieren der Bayerischen Justizministerin Beate Merk stehe im Vordergrund der Ausschussarbeit. Runge kündigte im Gespräch an, er möchte am kommenden Donnerstag, wenn der Verfassungsausschuss wieder zusammenkommt, den Weg für die parlamentarische Untersuchung in der Causa Mollath ebnen.

Warum wollen Sie einen Untersuchungsausschuss?

Martin Runge: Wir haben es lange Zeit über Anträge, Anfragen und Debatten im Plenum versucht und sind hierbei teilweise auf Mauern des Schweigens gestoßen. Teilweise wurde immer und immer wieder die Unwahrheit gesagt, z.B. in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses durch den obersten Steuerbeamten Bayerns. So geht es nicht weiter.

Außerdem war feststellbar, dass Frau Merk eben ganz wichtige Sachen im Landtag ausgelassen hat. Im Landtag bei der Behandlung von Petitionen wurde uns nur ein Teil der Unterlagen zur Verfügung gestellt. Wir müssen feststellen, dass wir mit den üblichen Instrumenten, die uns normalerweise zur Verfügung stehen, wie Anträge und Anfragen, nicht mehr durchkommen.

Sie sagen, Frau Merk habe Sie nicht vollständig informiert.

Martin Runge: Nicht ansatzweise.

Ein Muster wäre ein falsch verstandener Korpsgeist

Wie erklären Sie sich das Verhalten? So ein Verhalten ist doch bestimmt nicht üblich?

Martin Runge: Das ist jetzt ihre Wertung. Ich bin schon von zahlreichen Ministern angelogen worden. Das ist auch nachzuweisen. In einem Fall waren sie so doof und mir wurden die Unterlagen zugeschickt, die eigentlich für den Minister bestimmt waren. Da stand dann drin, weshalb die Unwahrheit gesagt wird und wie gefährlich die Frage ist. Aber hier im Fall Mollath ist es schon massiv geworden.

Nochmal zurück zur Frage. Warum dieses Verhalten?

Martin Runge: Es gibt verschiedene Erklärungsmuster. Ein Muster wäre ein falsch verstandener Korpsgeist. Es darf also überhaupt kein Schatten auf die Ermittlungsbehörden gelegt werden, weder auf die Staatsanwaltschaft noch auf die Steuerbehörden. Man geht so vor, dass man sagt, alles sei richtig gewesen, man habe richtig gehandelt - und hat sich dann aber immer mehr in Widersprüche verstrickt. Deswegen muss man die Linie aufrechterhalten. Das wäre jetzt eine einfache Erklärung.

Aber die alleine wäre doch schon hochgradig kritikwürdig.

Martin Runge: Ja, selbstverständlich ist das hochgradig kritikwürdig. Es kann schlicht und ergreifend nicht angehen, dass Spitzenbeamte den Landtag mit der Unwahrheit bedienen. Das darf doch nicht sein. Und es kann auch nicht sein, dass die Ministerin in ihrer Kommunikation mit dem Landtag nur die halbe Wahrheit oder maximal die halbe Wahrheit sagt.

Worauf richten Sie den Blick derzeit im Fall Mollath?

Martin Runge: Es gibt ja die beiden Wiederaufnahmeanträge. Im Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft spielt der Brief von einem Herrn Braun eine gewichtige Rolle.

Sie sprechen von der eidesstattlichen Versicherung von dem Zahnarzt Edward Braun, der ein Freund von Gustl Mollath ist, und der eidesstattlich versichert hat, dass Mollaths Ex-Fau ihm gegenüber gesagt habe, dass sie Mollath etwas anhängen werde.

Martin Runge: Ja. Dieser Brief von Herrn Braun resultiert aus dem Jahr 2011. Ich frage mich: Warum hat man vonseiten der Behörden solange gewartet? Warum gab es beispielsweise im Herbst 2011 noch eine Presseerklärung der Oberstaatsanwaltschaft Nürnburg, worin gesagt wird, dass die Einlassungen von Herrn Braun überhaupt kein Wiederaufnahmegrund seien? Und jetzt ist eben dieser Brief von Herrn Braun mit der Kern des Wiederaufnahmegrundes. Aber nun sind wieder eineinhalb Jahre ins Land gestrichen.

Auf einmal kann man ermitteln

Was beschäftigt Sie sonst noch?

Martin Runge: Wir fragen uns: Was ist denn in den Jahren 2003 bis 2006 passiert? Warum haben die Ermittlungsbehörden, und damit meine ich sowohl die Staatsanwaltschaften als auch die Steuerbehörden, einfach nicht nachgefasst? War der Anruf von Richter Brixner der entscheidende Grund? Gab es andere Gründe?

Interessant ist doch, dass man jetzt auf einmal, 19 Steuerpflichtige besucht hat und es gibt Schreiben der Steuerfahndung an die Steuerpflichtigen wo drinsteht: Nach Erkenntnissen des Finanzamtes haben oder hatten Sie Konten in der Schweiz und Sie sind aufgefordert bei der Aufklärung mitzuwirken. Also, auf einmal kann man ermitteln.

Mollaths Angaben waren ja durchaus konkret?

Martin Runge: Selbstverständlich. Er hat ja vor allem in seinem 106-seitigen Konvolut aus dem September 2003, aber auch schon in der Anzeige, die er im Juli 2003 überreicht hat, ganz Konkretes angesprochen.

In dem Konvolut sind jede Menge Unterlagen. Da sind Anlagen und Vermögensverzeichnisse, da sind Buchungsanordnungen, da ist die Korrespondenz mit der Hypo drin, also u.a. der Brief aus dem Jahr 2003, in dem drin steht, dass die interne Revision eingeschaltet wurde.

Da sind Unterlagen, die, und ich sage es nochmal, der Landtag niemals zu Gesicht bekommen hat. Beispielsweise wurde 2004 ein Brief an Stoiber als Petition behandelt. In diesem Brief an Stoiber wurde auch auf das 106-seitige Konvolut verwiesen. Aber dieses Konvolut haben die Landtagsabgeordnete nie zu Gesicht bekommen. Und ich denke schon, dass einer der Landtagsabgeordneten so aufmerksam gewesen wäre, dass er diesen Brief von der Hypo gefunden hätte, wo steht, dass die Revision eingeschaltet wurde. Dann hätte man nachfragen können, warum die Ermittlungsbehörden nie bei der Hypo angeklopft haben.

Klar ist doch auch, dass es damals schon eine Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof gab, wonach man bei anonymisierten Kapitaltransfers sehr genau hinschauen sollte, dass sehr wohl mit großer Wahrscheinlichkeit Schwarzgeldverschiebungen und Steuerhinterziehung dahinter stecken können.

Von daher ist es umso verwunderlicher, dass sowohl die Finanzbehörden als auch die Staatsanwaltschaften, nicht nachgefragt haben.

Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich hat ja erst vor kurzem noch gesagt, dass die Anzeigen eben nicht konkret waren.

Martin Runge: Ja, und Nerlich hat auch gesagt, dass der Bericht der Hypo gerade keine Hinweise auf steuerstrafrechtliche Verstöße geben würde. Das sehen und lesen wir anders. Auf Seite 16 des Berichts steht, dass gegen externe Vorschriften verstoßen wurde. Und mit diesen externen Vorschriften sind u.a. Wertpapierhandelsgesetz und die Abgabenordnung gemeint. Das ist ganz klar ein Rechtsverstoß. Nerlich bleibt aber einfach stur bei seiner Auffassung und seiner Behauptung - die wir ganz klar nicht teilen.

Immer nur als wirren Gewalttäter dargestellt

Wann ist der Fall für Sie zu einem politischen Fall geworden?

Martin Runge: Für uns ist der Fall 2011 ein politischer Fall geworden. Aus dieser Zeit gibt es ja auch die ersten Anfragen und Anträge, also im Herbst 2011 war das.

Bei ihren öffentlichen Auftritten und in Interviews betont Merk immer wieder, dass Sie sich nicht in die Entscheidung der Gerichte einmischen dürfe und Gerichtsurteile nicht zu bewerten habe (In einem Interview mit Telepolis sagte Merk: " Es geht hier um richterliche Entscheidungen. Eine Justizministerin darf diese nicht bewerten, nachprüfen oder kommentieren.")

In einem Bericht der Justizministerin vom 8. März 2012 sagt sie aber, nachdem Sie auf die Stelle des Urteils aus dem Jahr 2006 von Richter Brixner eingeht, wo die angebliche Gewaltanwendung von Mollath gegen seine damalige Frau deutlich beschrieben wird: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, Angesichts dieser gerichtlich rechtskräftig festgestellten brutalen Gewaltanwendung nur von 'Tätlichkeiten' zu sprechen, halte ich für absolut unangemessen." Hier vertritt die Justizministerin dann schon sehr deutlich ihre Meinung und kommentiert..

Martin Runge: Das haut uns nicht vom Hocker. Wir kennen Frau Merk und wissen, dass sie es dann mit dem, was Sie kurz vorher gesagt hat, doch nicht so ernst nimmt.

Was Frau Merk und die eben geschilderte Einlassungen angeht, ist das aber genau diese unsägliche Einseitigkeit mit der sie den Fall immer dargestellt hat. Dass sie es eben genau an der Stelle unterlassen hat, beispielsweise, auf die Schreiben von Herrn Braun einzugehen, weil diese Schreiben genau das, was sie gerade geschildert hat, sehr stark relativieren und in Zweifel stellen.

Sie hätte also da schon nicht ganz so einseitig sein dürfen und hätte andere Aspekte auch ansprechen müssen. Zumal die Aussagen ja jetzt so gewertet werden, dass die Ex-Frau von Herrn Mollath doch unglaubwürdig und ihre Aussagen unglaubhaft sind. Und es sind genau diese Aussagen von Frau Mollath, die in dem Urteil eine tragende Rolle spielen, auf die Frau Merk sich bezogen hat, als seien sie die Bibel.

Aber Frau Merk hat Mollath ja immer nur als wirren Gewalttäter dargestellt. Sie hat nie mal andere Aspekte ins Feld geführt, die sie ja kannte. Das ist doch der Punkt. Wir sehen eine erschreckende Einseitigkeit zu Lasten von Herrn Mollath.

Warum ermitteln die Finanzbehörden heute und damals nicht?

Ist Frau Merk überhaupt noch als Justizministerin tragbar?

Martin Runge: Wir haben doch schon vor vielen Monaten den Antrag gestellt, dass der Ministerpräsident Frau Merk entlässt.

Horst Seehofer tut es aber nicht.

Martin Runge: In dem Moment, wo er es machen würde, käme das einem Schuldeingeständnis gleich. Und es betrifft ja nicht nur die Justizministerin, sondern, da hängt ja der gesamte Apparat mit drin, da ist die Verflechtung zur Staatsanwaltschaft, zu den Steuerbehörden. Diese Zusammenhänge sind uns alle in der letzten Sitzung des Verfassungsausschusses klar geworden.

Was wird denn nun Gegenstand des Untersuchungsausschusses sein?

Martin Runge: Wir werden hinterfragen, wie es kommen konnte, dass führende Staatsbeamte dem Landtag mehrmals die Unwahrheit gesagt haben. Wir wollen wissen, was die Hintergründe dafür sind, dass die Justizministerin wesentliche Tatsachen dem Landtag vorenthalten hat. Wir werden fragen, warum es nicht schon viel früher zu einem Wiederaufnahmeverfahren gekommen ist.

Wie schon gesagt, sind ein wesentlicher Grund für das Wiederaufnahmeverfahren, die Schreiben von Herrn Braun aus dem Herbst 2011 und nicht der Grund, den Frau Merk benennt, nämlich den Anruf von Richter Brixner beim Finanzamt. Uns interessiert hier die Zeitschiene.

Und ganz klar wollen wir auch wissen, warum die Finanzbehörden heute ermitteln und damals nicht? Wie kann es überhaupt sein, dass bayerische Finanzbehörden nicht aus der bayerischen Staatsanwaltschaft informiert worden sind, sondern aus anderen Teilen Deutschlands?

Worum es in dem Ausschuss nicht gehen wird, ist das Gerichtsurteil. Das Urteil wird Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens sein. Wir konzentrieren uns auf die Behörden, also die Staatsanwaltschaft, die Finanzbehörden, aber auch auf die Ministerin. Wir wollen wissen: Was ist damals schief gelaufen und warum wird auch heute noch vernebelt?

Aber viel Zeit dürften Sie für die Ausschussarbeit ja nicht mehr haben? Bald ist Sommerpause, Wahlen stehen im September an.

Martin Runge: Das werden wir sehen. Es hängt davon ab, ob der Ausschuss jetzt mit irgendwelchen Geschäftsordnungsmätzchen wieder blockiert wird und zeitlich hintertrieben wird. Man könnte im nächsten Verfassungsausschuss am Donnerstag im Grunde schon alles auf die Beine stellen, um es dann in der folgenden Plenarsitzung in trockene Tücher zu packen. Wir hoffen, dass es auch genau so gehen wird. Es ist ja nicht so, dass man nicht auch in der Sommerpause Sitzungen halten könnte.

Wahlkampf mit Mollath?

Frau Merk hält von ihrem Vorhaben nicht viel. Sie hat reagiert. In einer Presseerklärung auf der Homepage des Justizministeriums heißt es: Bayerns Justizministerin Dr. Beate Merk weist den Vorwurf der Freien Wähler und der Grünen im Landtag, sie habe die Parlamentarier in Sachen Gustl Mollath "mit der Unwahrheit bedient", in aller Schärfe zurück. "Diese Behauptung ist böswillig, bodenlos und allein mit dem Wahlkampf zu erklären", so Merk. "Selbstverständlich habe ich das Parlament stets zutreffend über alle relevanten Tatsachen im Fall Mollath informiert." Geht es Ihnen um Wahlkampf?

Martin Runge: Nein, wir versuchen die Wahrheit zu ergründen. Mit den regulären parlamentarischen Initiativen hat es nicht funktioniert.

Und es ist schon viel Chuzpe dabei, wenn Frau Merk sagt, es sei unwahr, dass in dem Fall von Staatsbeamten nicht die Wahrheit gesagt wurde.

Ich meine, dass kann man ganz klar Wort für Wort und beim Abhören der Bänder nachweisen. In den letzten zwei Sitzungen im Verfassungsausschuss sind wir in ganz, ganz vielen Punkten nicht mit der Wahrheit bedient worden.

Sie sind also auf den Ausschuss gut vorbereitet?

Martin Runge: Ja, das sind wir.