Skurriles Experiment: Verraten Tote Geheimwörter?

Zehn Jahre nach Veröffentlichung der ersten beiden verschlüsselten Nachrichten verfasste Robert Thouless dieses Schreiben. Nachdem bis dahin sämtliche Versuche gescheitert waren, per Telepathie an die Schlüsselwörter heranzukommen, bezeichnete Thouless das Ergebnis als "etwas enttäuschend". Quelle: Society for Psychical Research

Der britische Parapsychologe Robert Thouless (1894-1984) wollte nach seinem Tod ein Schlüsselwort aus dem Jenseits übermitteln. Bisher hat es niemand empfangen

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Das Experiment, das Robert Thouless 1948 startete, hatte folgenden Ablauf: Er verschlüsselte eine Nachricht in einer Form, die seiner Meinung nach nicht zu knacken war, und kündigte an, nach seinem Tod - sofern möglich - die Lösung aus dem Jenseits zu übermitteln. Sollte dies gelingen, dann wäre bewiesen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt und dass Tote mit Lebenden kommunizieren können. Eine der größten Sensationen der Wissenschaftsgeschichte wäre perfekt.

Ein Experiment in drei Anläufen

Im Frühjahr 2011 schaute ich mir in der Universitätsbibliothek von Cambridge (Großbritannien) einen Karton voller Unterlagen zu diesem Experiment an. Robert Thouless (1894-1984) war Psychologe und interessierte sich auch für die Parapsychologie. Er trug wesentlich dazu bei, die Forschung in diesem Bereich professioneller zu gestalten, doch wie bisher alle seine Kollegen scheiterte er am wichtigsten Punkt: Er konnte nicht nachweisen, dass es parapsychologische Effekte (z. B. Telepathie) überhaupt gibt.

Thouless veröffentlichte Details zu seinem Experiment 1948 in einem Artikel in den Proceedings of the Society for Psychical Research. Die verschlüsselte Nachricht, die er publizierte, lautet wie folgt (später wurde sie als Nachricht A bezeichnet):

Das Schlüsselwort hatte Thouless nach eigenen Angaben so gewählt, dass er es sich bis nach seinem Tod merken konnte (zweifellos eine interessante Aufgabenstellung). Den verschlüsselten Text hielt er bewusst kurz, um ein Knacken des Codes ohne Schlüsselwort zu erschweren. Ein Kryptologie-Experte hätte an Thouless‘ Stelle vermutlich bekannt gegeben, welches Verschlüsselungsverfahren er verwendet hatte, und hätte lediglich das Schlüsselwort geheim gehalten. Thouless, der in Verschlüsselungsfragen nicht besonders erfahren war, sagte dagegen nicht genau, wie er beim Verschlüsseln vorgegangen war. Er musste daher neben dem Schlüsselwort auch die Funktionsweise des Verschlüsselungsverfahrens aus dem Reich der Toten übermitteln - oder darauf hoffen, dass der Empfänger die Nachricht gegebenenfalls alleine mit dem Schlüsselwort lösen konnte.

Für den Fall, dass etwas schieflaufen würde, veröffentlichte Thouless im Anhang seines Artikels noch eine zweite verschlüsselte Botschaft (später als Nachricht B bezeichnet). Auch deren Lösung wollte er erst nach seinem Ableben kommunizieren - er ging also davon aus, dass er sich zwei Geheimwörter über den Tod hinaus merken konnte. Nachricht B lautete wie folgt:

Dieses Mal verriet Thouless, wie er beim Verschlüsseln vorgegangen war und hielt lediglich das Schlüsselwort geheim - so wie es auch ein Verschlüsselungsprofi gemacht hätte. Genau genommen war das Schlüsselwort in diesem Fall ein Schlüsseltext, der laut Thouless aus einem Buch oder einer anderen öffentlichen Quelle stammte. Jedes Wort im Schlüsseltext diente der Verschlüsselung eines Buchstabens, wobei bei mehrfach enthaltenen Wörtern jeweils nur das erste Vorkommen zählte. Da der verschlüsselte Text 74 Buchstaben enthält, dürfte der Schlüsseltext aus etwa 100 Wörtern bestehen. Wo der Schlüsseltext nachzulesen ist, wollte Thouless aus dem Jenseits mitteilen. Das zu übermittelnde Schlüsselwort für Nachricht B ist also ein Verweis auf eine Textstelle.

Bereits ein paar Wochen nach Erscheinen des Artikels meldete sich ein Kryptologe, der Nachricht A gelöst hatte - ganz ohne übersinnliche Methoden. Er hatte zunächst herausgefunden, dass Thouless das so genannte Playfair-Verfahren zum Verschlüsseln verwendet hatte - eine seinerzeit weit verbreitete Methode. Als Schlüsselwort ermittelte er SURPRISE. Der Klartext stammte aus Shakespeares "Macbeth" und lautete: BALM OF HURT MINDS GREAT NATURE'S X SECOND COURSE CHIEF NOURISHER IN LIFE'S FEAST.

Mit Thouless' zweitem Geheimtext (Nachricht B) lief es besser. Hier meldete sich vorläufig niemand mit der richtigen Lösung. Thouless erschien es jedoch zu riskant, nur noch eine ungelöste Nachricht im Rennen zu haben. Er entschied sich daher, eine weitere Botschaft zu verschlüsseln. Nachricht C, wie sie heute genannt wird, erschien 1949 und lautete:

Thouless gab an, dass er für Nachricht C zwei Playfair-Verfahren mit unterschiedlichen Schlüsselwörtern verwendet hatte. Die nach seinem Ableben zu übermittelnde Geheiminformation war also ein Wortpaar. Da auch zu Nachricht C vorläufig niemand die Lösung fand, gab sich Thouless zufrieden. Weitere verschlüsselte Nachrichten veröffentlichte er nicht. Bis zu seinem Tod im Jahr 1984 blieben Nachricht B und C ungelöst.

Telepathen und Hellseher scheitern

Welche Reaktionen es auf Thouless‘ Experiment gegeben hatte, konnte ich in den Unterlagen in Cambridge im Detail nachlesen. Nach Veröffentlichung der verschlüsselten Texte in den Jahren 1948 und 1949 erhielt Thouless zahlreiche Zuschriften von Personen, die glaubten, eines der Rätsel gelöst zu haben. Auch einige Protokolle von Seancen, in denen Medien versuchten, telepathisch an die Schlüsselwörter heranzukommen, finden sich in der Zettelsammlung. Manche Lösungsvorschläge gingen erst Jahre oder Jahrzehnte nach Thouless‘ Veröffentlichung (aber noch vor dessen Tod) ein.

Die meisten Lösungskandidaten bezogen sich auf Nachricht C, nannten also zwei vermeintliche Schlüsselwörter. Darunter fanden sich Wortpaare wie GOOD MORNING, WHITE ROSE, ALPHA OMEGA, SAINT BELOVED oder POOR PUSS. Zu Nachricht B wurden zahlreiche Textstellen eingereicht, wobei die Bibel und Shakespeare am häufigsten vertreten war. Ein Medium empfing bei der Suche nach dem Schlüsseltext das Wort HOOD - möglicherweise war ROBIN auf der telepathischen Strecke geblieben. Wiederum andere schickten gleich den gesamten vermeintlichen Klartext (z. B. JOIN THE CANDELIGHT PROCESSION). Letztendlich lagen jedoch alle Vorschläge daneben, wie Thouless persönlich festhielt.

Die Society for Psychical Research nahm nicht nur Lösungsvorschläge entgegen, sondern führte auch Seancen durch, in denen Hellseher versuchten, die Schlüsselwörter zu empfangen. Die hier abgebildeten Protokolle dokumentieren zwei Seancen, die 1962 (also noch zu Lebzeiten Thouless‘) stattfanden. Für Nachricht C empfingen die beiden Medien WHITE ROSE bzw. GOOD MORNING. Richtig war, wie wir heute wissen, BLACK BEAUTY. Quelle: Society for Psychical Research

Robert Thouless starb im Jahr 1984. In den Monaten danach gingen etwa 100 Vorschläge für die gesuchten Schlüsselwörter bei der Society for Psychical Research ein, wie ich in Cambridge nachvollziehen konnte. Die richtige Lösung war nicht dabei. Ein Hellseher aus London, der Thouless angeblich im Jenseits erreicht hatte, nannte einen Grund für diese Pleite: "Thouless, wenn er es wirklich ist, findet es schwerer als erwartet, die zwei Sätze zu übermitteln."

Nach Thouless‘ Tod im Jahr 1984 stieg die Anzahl der eingereichten Lösungsvorschläge noch einmal deutlich an. Doch die zahlreichen Medien, die glaubten, mit dem Verstorbenen in Kontakt getreten zu sein, lagen alle daneben. Quelle: Society for Psychical Research

1995 nahm sich James Gillogly, ein Spezialist für historische Dechiffrierungen, zusammen mit seinem Kollegen Larry Harnisch Nachricht C vor. Um die doppelte Playfair-Verschlüsselung zu knacken, nahmen die beiden aus einem Wörterbuch 64.000 Schlüsselwortkandidaten und prüften mit statistischen Methoden, ob das gewählte Wort als zweites Schlüsselwort infrage kam. Wenn ja, suchten sie mit einer anderen Methode nach einem dazu passenden ersten Schlüsselwort. Nach einiger Zeit kristallisierte sich auf diese Weise BEAUTY als Kandidat für das zweite Schlüsselwort heraus. Die weitere Berechnung ergab, dass BLACK dazu passte. Damit war das Rätsel gelöst. Das Schlüsselwort-Paar lautete BLACK BEAUTY, und der Klartext las sich wie folgt:

In den Unterlagen aus Cambridge findet sich kein Lösungsvorschlag, der auch nur entfernt etwas mit BLACK und BEAUTY zu tun hätte. Gillogly und Harnisch hatten also mit Dechiffrier-Know-how und Spürsinn geschafft, woran Parapsychologen Jahrzehnte lang gescheitert waren. Gillogly und Harnisch versuchten auch, Nachricht C zu knacken, sie hatten jedoch keinen Erfolg. Bis heute ist Nachricht C ungelöst.

Ein weiteres Experiment

Robert Thouless rief in seinem Artikel dazu auf, weitere Experimente mit gleichem Ablauf durchzuführen. Sein Kalkül: Je mehr Menschen einen Text verschlüsseln und das Schlüsselwort mit ins Grab nehmen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich einer von ihnen irgendwann mit dem richtigen Tipp aus dem Jenseits meldet. Meines Wissens gab es zunächst jedoch nur eine Person, die dieser Aufforderung nachkam: der Rechtsanwalt T. E. Wood aus Bournemouth in England. Wood veröffentlichte im Jahr 1950 folgenden Geheimtext in den Proceedings of the Society for Psychical Research:

Der Text ist mit der gleichen Methode wie Nachricht B von Thouless verschlüsselt. Wood hat also einen Schlüsseltext verwendet, in dem jedes Wort einen Buchstaben des Klartexts verschlüsselt. Er gab an, der Text stamme aus einem allgemein zugänglichen Buch, das nicht in englischer Sprache geschrieben ist. Der Klartext selbst sei in mehreren Sprachen verfasst - wie auch immer das bei nur 21 Buchstaben möglich ist. Neben dem Schlüsselwort (also dem Verweis auf die Textstelle) wollte Wood auch die Sprache des Schlüsseltexts sowie die Sprachen der Nachricht aus dem Jenseits übermitteln.

Bei den Unterlagen, die ich im Frühjahr 2011 in Cambridge sichtete, fanden sich auch viele Informationen zu T. E. Wood. Nach dessen Veröffentlichung gingen bei der Society for Psychical Research zahlreiche Lösungsvorschläge von Hellsehern und Medien ein - ähnlich wie bei Thouless. Allerdings schickte kaum jemand einen Hinweis auf einen mehrsprachigen Text, obwohl Wood einen solchen zum Verschlüsseln verwendet hatte. Auch die Tatsache, dass der Klartext laut Wood nicht auf Englisch verfasst war, wurde von den meisten Einsendern ignoriert. Ein Zuschrift lautete beispielsweise: THE LORD IS MY SHEPHERD TW. Auch LIFE HAS CONQUERED DEATH oder HERE ONLY WAS FEAR OF VICE wurden vorgeschlagen. Alle Lösungsvorschläge erwiesen sich jedoch als falsch, wie Wood meist persönlich auf den entsprechenden Schreiben festhielt.

Auch die verschlüsselte Nachricht von Wood beschäftigte viele Hellseher. Diese beiden Lösungsvorschläge aus dem Jahr 1950 wurden von Wood persönlich geprüft - mit negativem Ergebnis. Quelle: Society for Psychical Research

Leider geht aus den Cambridge-Unterlagen nicht hervor, wann T. E. Wood starb. Die letzte in Cambridge archivierte Notiz von ihm stammt aus dem Jahr 1962. Zu diesem Zeitpunkt war Wood 75 Jahre alt. Im Gegensatz zu den drei Thouless-Nachrichten wurde die Wood-Nachricht nie in einer kryptologischen Fachpublikation veröffentlicht. Vermutlich haben sich bisher nicht allzu viele Verschlüsselungsfachleute damit beschäftigt.

Mein eigenes Experiment

Kein Zweifel, die parapsychologischen Experimente von Robert Thouless und T. E. Wood waren nicht von Erfolg gekrönt. Auch nach über 60 Jahren haben sie nicht den geringsten Hinweis darauf erbracht, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Tote verraten also keine Schlüsselwörter - bisher jedenfalls nicht, denn nach wie vor könnte es natürlich passieren, dass Thouless oder Wood die jeweils gesuchte Geheiminformation aus dem Jenseits übermittelt.

Erstaunlich ist in jedem Fall, dass offenbar so wenige Personen der Aufforderung Thouless’ zu weiteren Experimenten nach dem von ihm erdachten Ablauf nachgekommen sind. Immerhin handelt es sich hier um ein Vorgehen das einerseits wissenschaftlich wasserdicht und obendrein einfach durchführbar ist. Mit Aufkommen des Computers und durch den Fortschritt der Verschlüsselungstechnik in den letzten Jahrzehnten haben sich die Möglichkeiten für solche Experimente sogar noch deutlich verbessert. Die Verschlüsselungsverfahren von heute sind mit dem Computer leicht durchzuführen, und man muss sich keine ernsthaften Sorgen machen, dass jemand in der Lage ist, sie zu dechiffrieren.

Ich beschloss daher, selbst ein entsprechendes Experiment zu starten. Dabei wurde mir jedoch klar, dass es ein Problem gibt, das auch das modernste Verschlüsselungsverfahren nicht lösen kann: Allzu exotische Schlüsselwörter (beispielsweise MDJZFHENALHDG) kann sich ein Mensch in der Regel nicht merken - schon gar nicht über den Tod hinaus. Die Menge der nichtexotischen Wörter ist dagegen begrenzt. Wenn wir beispielsweise sämtliche Wörter aller gängigen Sprachen inklusive Nebenformen und falscher Schreibweisen nehmen, dürfte die Zahl der gedächtnistauglichen Buchstabenfolgen maximal bei zehn Millionen liegen. Diese kann ein Computer-Programm durchprobieren und jeweils testen, ob eine Entschlüsselung ein sinnvolles Ergebnis liefert.

In vielen Fällen lässt sich dieses Problem lösen, indem man ein (besonders langes und nicht zu erratendes) Schlüsselwort auf einer Chipkarte speichert. Im vorliegenden Fall fiel diese Variante jedoch weg - schließlich kann ich eine Chipkarte schlecht ins Jenseits mitnehmen. Ich musste also ein Schlüsselwort wählen, das ich mir merken konnte und das trotzdem nicht zu erraten war. Die meisten Experten empfehlen für einen solchen Fall, sich einen Satz zu überlegen (z. B. "Jeden Morgen geht die Sonne über Klein-Posemuckel auf.") und anschließend die Anfangsbuchstaben und Satzzeichen als Schlüsselwort zu verwenden. Im Beispiel wäre dies "JMgdSüK-Pa." - schwer zu erraten, aber dennoch halbwegs gut zu merken. Diese Methode erschien mir geeignet, und so generierte ich ein Schlüsselwort auf diese Weise. Wie ich es zum Verschlüsseln eingesetzt habe und wie sie Schlüsselwort-Kandidaten testen können, veröffentlichte ich 2012 in einem Buch. Der resultierende Geheimtext sieht wie folgt aus:

Vor meinem Tod werde ich das Schlüsselwort nicht verraten. Danach werde ich zwei Möglichkeiten haben, es zu übermitteln: entweder als Buchstabenfolge oder in Form eines kompletten Satzes. Sollten Sie das Schlüsselwort irgendwann nach meinem Tod empfangen, dann empfehle ich, mit einem Kryptologen Kontakt aufzunehmen. Vielleicht sind Sie auf eine wissenschaftliche Weltsensation gestoßen.

Der Text erschien in ähnlicher Form in der Zeitschrift Skeptiker (3/2012). Klaus Schmeh ist Spezialist für historische Verschlüsselungstechnik, Blogger (Klausis Krypto Kolumne) und Autor des Buchs "Nicht zu knacken", in dem es um ungelöste Verschlüsselungen geht.

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