Beschneidung ist eine radikale Veränderung des Ökosystems

Während die Entfernung der Vorhaut bei Kindern weiterhin auch durch einen aktuellen Fall umstritten ist, verändert die Beschneidung die auf dem Penis lebenden Bakteriengemeinschaften dramatisch und könnte so das Infektionsrisiko senken

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Als letztes Jahr das Kölner Landgericht das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes höher ansetzte als die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern, brach eine lange Diskussion über die rituelle Beschneidung aus (Illegale Beschneidungen). Weil die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung aufgrund von Körperverletzung bestand, beeilte sich die Bundesregierung, ein Gesetz zu verabschieden, das Juden und Moslems Straffreiheit garantiert. Der Bundestag nahm es Ende letzten Jahres an, wenn dies "nach den Regeln der ärztlichen Kunst" geschieht, einen alternativen Gesetzesentwurf, der eine Beschneidung erst ab 14 Jahren vorsah, wurde abgelehnt (Bundestag stimmt für Beschneidungsgesetz). Die Befürworter der Beschneidung brachten nicht nur die Tradition und die Religion ins Spiel, sondern auch medizinische Gründe.

Gerade ist die Diskussion über die Beschneidung der Vorhaut in Deutschland wieder aufgeflammt. In Berlin gab es eine Strafanzeige gegen einen jüdischen Beschneider (Mohel) und den Vater des Jungen, der im Alter von acht Tagen, wie es die jüdische Tradition vorsieht, ohne Betäubung beschnitten wurde. Der Mohel saugte, wie es bei manchen ultraorthodoxen jüdischen Kreisen üblich ist, die Wunde am Penis mit dem Mund und nicht mit einer Pipette ab. Auch die Orthodoxe Rabbinerkonferenz in Deutschland und der Zentralrat der Juden lehnen diese Methode ab, die mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergeht und sicherlich nicht "den Regeln der ärztlichen Kunst" entspricht.

Wenn die Beschneidung nach medizinischen Standards und mit der Einwilligung des entsprechend alten Beschnittenen erfolgt, können jedenfalls auch medizinische Gründe angeführt werden. Die WHO sieht in der Beschneidung eine Prophylaxe vor AIDS, die von Frauen auf Männer übertragen wird. Auch Infektionen durch Herpes simplex und den humanen Papillomavirus werden reduziert. Zudem sinkt das Risiko für Frauen, wenn sie Geschlechtsverkehr mit beschnittenen Männern haben, für sexuell übertragbare Krankheiten. Das haben nun Wissenschaftler anhand einer Studie bestätigt, die in der Open-Access-Publikation mBio veröffentlicht wurde. Untersucht wurde mittels der Real-Time-quantitative-PCR (qPCR) das Mikrobiom des Penis, also die Bakteriengemeinschaften, die auf dem unbeschnittenen und dem beschnittenen Penis leben. Verglichen wurde das Mikrobiom durch eine Genanalyse in der Eichelfurche (Sulcus coronarius) von 77 unbeschnittenen und 79 beschnittenen Männern in Uganda. Bei der ersten Untersuchung hatten alle Männer ein ähnliches Mikrobiom mit Bakterien der Ordnungen Prevotella, Veillonella, anerobe Clostridiales, Actinomycetales, Coriobacteria und Porphyromos. Ein Jahr nach der Beschneidung hat sich die bakterielle Besiedlung jedoch tiefgreifend verändert.

Bei der Beschneidung wird also nicht nur ein Teil der Vorhaut entfernt, sondern es findet auch eine ökologische Transformation statt, vielleicht vergleichbar mit einer Rodung. Die Beschneidung reduziert die Menge und die Vielfalt der Bakterien in der Eichelfurche unter der Vorhaut. Vor allem finden sich 12 anaerobe Bakterienarten deutlich weniger, die Wissenschaftler sprechen von einer dramatischen Veränderung, während einige aerobe Bakterienarten, vor allem Staphylokokken (S. haemolyticus, S. hominis, S. epidermidis, S. xylosus, S. aureus oder S. epidermidis) etwas häufiger gefunden wurden. Wenn die Vorhaut entfernt wird, gelangt Sauerstoff an den Penis und sinkt die Feuchtigkeit. Der Dezimierung der anaeroben Bakterien sei vermutlich das geringere Risiko für eine AIDS-Infektion zu verdanken, vermuten die Wissenschaftler, da damit insgesamt das Entzündungsrisiko sinkt.

Allerdings bleibt weiterhin unbekannt, welche genaue Rolle das Mikrobiom für die AIDS-Ansteckung spielt. Eine Vermutung der Wissenschaftler ist, dass die hohe Bakterienbesiedlung bei unbeschnittenen Männern die Langerhans-Zellen in der Vorhaut aktivieren könnten, was wiederum dazu führen könnte, dass sie ihre normale Funktion der Virenabwehr als Gewebsmakrophagen nicht mehr richtig ausführen, sondern HIV-Partikel direkt den T-Zellen zuführen, wo sie eine Infektion starten können.

Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass ihre Studie zeige, dass sich aus einer ökologischen Perspektive Vorgänge in der Makro- und in der Mikrowelt gleichen: "Wenn man eine Makro-Umwelt verändert, beispielsweise durch das Roden eines Waldes, dann betrifft dies auch die dort lebenden Tiere. Das ist intuitiv. Hier haben wir gezeigt, wie die Veränderung der Penis-Umwelt die dort lebenden Bakterien beinflusst", so Cindy Liu vom Translational Genomics Research Institute und Mitautorin der Studie. Und für Lance Price könnte die Folgen der Beschneidung für das Mikrobiom auch zu anderen Interventionen führen, die das Infektionsrisiko senken, ohne eine Beschneidung durchführen zu müssen. Wenn die anaeroben Bakterien etwa das Risiko für eine AIDS-Ansteckung erhöhen, könne man nach Wegen suchen, diese direkt zu bekämpfen.