"Drohendes Summen"

Bei der Urteilssprechung im Hitler-Ludendorff-Prozess in München am 1. April 1924 gab es strenge Absperrungsmaßnahmen vor der Kriegsschule. Bild: Deutsches Bundesarchiv (Bild 102-00346). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Schon einmal war in einem Nazi-Mord-Prozess in München der Gerichtssaal zu klein

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Die eine schweigt, der andere sprach - manchmal stundenlang. In dem einen Prozess sind die Sitzplätze für die Presse das Problem, im anderen ist es die Presse selbst. Gemeinsam ist, dass es um Morde mit nationalsozialistischem Hintergrund geht. Was beide Münchner Verfahren trennt, ist die Zeit.

Der Prozess um die zehn Morde des "Nationalsozialistischen Untergrundes" beginnt am 6. Mai 2013 im Justizzentrum an der Nymphenburgerstraße 16 in München. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe will im Prozess schweigen. Von hier aus sind es lediglich eine Wegstrecke von 650 Meter oder acht Gehminuten, um zu der Adresse Blutenburgstraße 3 zu gelangen. Dort fand vor 89 Jahren der Prozess gegen einen gewissen Adolf Hitler statt. Der zeitliche Rahmen signalisiert eine gefühlte historische Distanz ("ist ja ewig lang her"), die aber ganz schnell durch die Morde der Neonazis aufgehoben wird.

"Das Haus ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Vorhang geht auf. Richter, Staatsanwälte, Verteidiger, Bewaffnete. Die Angeklagten werden hereingeführt." So beschreibt die Münchner "Großdeutsche Zeitung für nationale und soziale Politik" den Prozessbeginn gegen Adolf Hitler, Erich Ludendorff und andere am 26. Februar 1924. Die Anklage lautet auf Hochverrat.

Es ist ein Prozess, der internationales Aufsehen erregt. Weil auch schon damals in München kein Gerichtssaal vorhanden ist, der groß genug wäre, um den Andrang der Pressevertreter und Zuschauer zu fassen, wird der Prozess in einen Saal der ehemaligen Infanterieschule an der Blutenburgstraße verlegt. Die Presse schreibt, dies sei "wohl der größte politische Prozess, der je von einem Münchner Gericht abgehandelt wurde". Schon seit Tagen ist das Gebäude von Polizei und Reichswehr abgesichert.

Verglichen mit dem NSU-Prozess wusste man sich damals zu helfen: Der fast quadratische Sitzungssaal bot immerhin Raum für 300 Personen, die rückwärtigen Tische sind für die Presse reserviert. Um was geht es? Um nichts weniger als um Hochverrat, um einen Putschversuch, bei dem mit Gewalt die Regierung gestürzt werden sollte. Vier Polizisten wurden dabei getötet.

Der 9. November 1923 war ein grauer regnerischer Tag. An diesem Freitagvormittag marschierten 2000 bewaffnete Männer vom Münchner Bürgerbräukeller aus in die Innenstadt. In Achterreihen ging es die Rosenheimer Straße hinunter, ein Polizeiposten an der Ludwigsbrücke wurde verhaftet. Vorneweg marschierten Hitler, Ludendorff, Hermann Göring und andere NS-Größen, unmittelbar hinter ihnen der "Stoßtrupp Hitler", eine Sondereinheit der SA. Hitler hatte in der Nach zuvor im Bierkeller die "nationale Revolution" ausgerufen.

Am Marienplatz vermischte sich die Kolonne mit Schaulustigen, Julius Streicher kündigte in einer Rede an die Menge an, jüdische Profitmacher würden an den Laternenpfählen aufgehängt. Von einem Balkon des Rathauses flatterte eine riesige Hakenkreuzfahne, die SA hatte das Haus gestürmt und den sozialdemokratischen Bürgermeister festgenommen.

Um die Machtergreifung zu vollenden, befahl Ludendorff den Weitermarsch zum Wehrkreiskommando an der Schönstraße, um sich mit den Truppen von Ernst Röhm zu vereinen. Der Weg dahin ging über die Residenzstraße, die zum Odeonsplatz führte. Dort allerdings standen Landespolizisten, bewaffnet mit Maschinengewehren und einem Panzerwagen. Die Marschkolonne mit Ludendorff und Hitler an der Spitze bewegten sich auf die Polizeikette zu, es kam zu einem Handgemenge, in dem sich ein Schuss löste. Darauf begann ein Feuergefecht, an dessen Ende 13 Putschisten und vier Polizisten tot auf der Straße lagen, hinzu kam ein unbeteiligtes Opfer. Der Putsch war gescheitert.

Nach der Urteilsverkündung im Hitler-Ludendorff-Prozess, Gruppenbild der Angeklagten vom 1. April 1924: Heinz Pernet, Dr. Friedrich Weber, Wilhelm Frick, Hermann Kriebel, Erich Ludendorff, Adolf Hitler, Wilhelm Brückner, Ernst Röhm, Robert Wagner. Fotograf: Heinrich Hoffmann . Bild: Deutsches Bundesarchiv (Bild 102-00344A). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Am 26. Februar 1924 wurden Hitler und seine wichtigsten Mitverschwörer vor einem Sondergericht wegen Hochverrats angeklagt. Für die Berichterstattung durch die Presse gab es reichlich Plätze. Doch die Presse selbst war hier das Problem, sie spiegelte das gesellschaftliche Klima wieder und erzeugte es zugleich. Denn für Hitler wird der Prozess zur politischen Bühne. Er habe gar keinen Hochverrat im eigentlichen Sinne begehen können, da die Weimarer Republik selbst aus einem "Verrat" am Vaterlande hervorgegangen sei (gemeint ist die Novemberrevolution von 1918). Und wenn man ihn, Hitler, anklage, müsse das auch für die damalige bayerische Regierung gelten, die ja die gleiche Tat gewollt und vorbereitet hätte (was stimmte).

Die auf nationalsozialistischer Linie liegende "Großdeutsche Zeitung" gibt eine Kostprobe von dem damaligen Klima:

Atemlose Stille liegt über dem verdunkelten Zuschauerraum - und doch tönt von irgendwo wie aus den Tiefen deutscher Seele, nur dem feineren Ohr vernehmbar, ein vieltausendstimmiges Summen und Grollen, unheimlich und drohend.

Zehn Jahre später war aus dem Summen und Grollen ein millionenfaches "Sieg Heil" geworden.

Hitler konnte sich bei dem Prozess der Sympathie des bayerischen Justizministers Franz Gürtner sicher sein, Richter Georg Neithardt, der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer, an der verhandelt wurde, hatte bereits bei dem Urteil gegen Graf Arco, dem Mörder des ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, seine rechte Gesinnung deutlich werden lassen. Im Urteil war zu lesen, von einer Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte könne natürlich keine Rede sein, weil die Handlungsweise "des jungen politisch unmündigen Mannes nicht niedrige Gesinnung, sondern der glühendsten Liebe zu seinem Volke und Vaterlande entsprang".

Hitler selbst wurde schließlich zu Festungshaft verurteilt aber schon wenige Monate danach wieder entlassen. Er konnte seine Blutspur, die bis zu den Mördern des "Nationalsozialistischen Untergrundes" reicht, vollenden.

Die vier getöteten Polizisten spielten in dem Prozess übrigens keine Rolle. Erst 1993 (!) unterstützte der Münchner Stadtrat die Errichtung eines Denkmals für die Getöteten, was freilich auf wenig Gegenliebe beim bayrischen Innenministerium stieß, das die Anbringung einer Tafel an der Feldherrnhalle ablehnte. So sah sich die Stadt gezwungen, an die republiktreuen Toten mit einer Bodenplatte auf dem Odeonsplatz zu erinnern. "Ich hoffe nicht, dass es in München Gewohnheit bleibt, zwar Könige oder Künstlerpersönlichkeiten mit großen Denkmälern zu ehren, nicht aber jene, die von rechten Gewalttätern niedergestreckt wurden", brachte damals Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) die bayerische Erinnerungskultur auf den Punkt.

Erst 2010 ließ sich das Innenministerium erweichen und genehmigte eine Gedenktafel an der Westfassade der Residenz am unmittelbaren Schauplatz der Schießerei. In der Residenz war die zweite Hundertschaft untergebracht, der die vier Getöteten angehörten. Bei der Einweihung der Gedenktafel konnte sich der damalige Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nicht enthalten zu schwadronieren, man bekämpfe ebenso die rechte wie linke Gewalt und Bayern zähle zu den Bundesländern, die am geringsten mit rechtsextremistischer Gewalt belastet seien.

Wie erbärmlich diese Aussage war, wurde wenige Monate später deutlich, als fünf in Bayern verübte Morde dem "Nationalsozialistischen Untergrund" zugeschrieben werden mussten. Es war auf der Großdemonstration gegen Naziterror und Rassismus am 13. Februar, auf der eine Vertreterin des Münchner Ausländerbeirates eine Gedenktafel für die Münchner Mordopfer des NSU forderte, und zwar "so schnell wie möglich".