Griechenland: Rückfall in alte Gewohnheiten

An jeder Ecke Athens sind Bettler und Obdachlose - ein Aufschwung sieht anders aus. Bild: W. Aswestopoulos

Beamte werden entlassen, aber gleich wieder neue eingestellt, Amnestien werden erlassen, die Rede ist von einem neuen Schuldenschnitt

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Griechenland entlässt ab sofort 15.000 Beamte, bis 2016 sollen 150.000 Stellen wegfallen. Seit dem Anfang der griechischen Finanzkrise wird über einen schwerfälligen. überbesetzten Beamtenapparat diskutiert. Als Paradoxon werden die Bürger des Landes jedoch bei jedem Besuch einer Behörde, eines Hospitals, einer Schule, einer Hochschule oder einer Polizeistation mit der Aussage konfrontiert, dass es an Personal fehlen würde und daher lange Wartezeiten nötig seien. Es ist nachvollziehbar, dass dieses Paradoxon dadurch erklärbar ist, dass das bisherige Missmanagement schlicht dem Nepotismus frönte und Beamten nach persönlichen und nicht betrieblichen Auswahlkriterien einstellte. Zusätzlich sorgt eine irrsinnige Bürokratie für das Abwürgen sämtlicher Produktivität.

Entlassungen von Beamten beschlossen

Bislang pochten sämtliche griechische Regierungen auf einen Verfassungsparagraphen, der Beamtenentlassungen aus einem guten Grund untersagte. Denn einst wurden bei einem Regierungswechsel die von den Vorgängern angeheuerten Bediensteten schlicht ohne Ansehen ihrer Qualifikation entlassen. Als Konsequenz litt der Staatsapparat stets unter unfähigen, weil nicht eingearbeiteten Beamten.

Später heuerten die frischen Regierungen sehr oft ihre eigenen Wahlhelfer an, damit in den Behörden eine Überzahl an hörigen Beamten vorherrschte. An die heilige Kuh, überzählige, unfähige oder gar korrupte Beamte zu entlassen, traute sich aus wahltaktischen Gründen keine Partei heran. Stattdessen finden sich bei griechischen Behörden in der Regel die regierungsnahen Beamten auf geruhsamen Chefposten, während das Fußvolk zum Rackern verdonnert wird und dabei oft die unsinnigen Befehle der Oberen zu erledigen hat.

Premierminister Antonis Samaras entdeckte nun, dass eine Beamtenentlassung keineswegs gegen die Verfassung verstoßen würde. Tatsächlich konnten auch bisher der Korruption oder des Eidbruchs schuldige Beamte aus dem Dienst entfernt werden. Es geschah jedoch in den seltensten Fällen. Die aktuelle Entscheidung wurde von Seiten der Regierung zunächst auf den Druck der Kreditgebertroika geschoben. Diese, so hieß es tagelang, würde auf die Entlassungen bestehen und ansonsten die Freigabe der erneut überfälligen Kredittranche verweigern. Ein ums andere Mal verließ Finanzminister Yannis Stournaras nach den Diskussionen mit der Troika sein Ministerium und verwies darauf, harte Verhandlungen geführt zu haben.

Die Beamtenentlassung sollte, wurde behauptet, zur Gesundung des Staatshaushalts beitragen. Wie viel Geld tatsächlich gespart werden soll, wurde nicht gesagt. Aus gutem Grund, wie sich direkt nach Abreise der Troika zeigte. Premier Samaras verkündete in einer Ansprache die Einzelheiten der neuen Politik. Für jeden entlassenen Beamten wird nämlich ein neuer eingestellt. Das klingt schon fast wieder, wie der Usus, welcher vor der verfassungsmäßigen Regelung zum Beamtenrecht herrschte.

Bestechung unter gewissen Voraussetzungen wieder legal

Zurückversetzt in die eigentlich bewältigt erschienene Vergangenheit des "Fakelaki", also der Beamtenbestechung, muss sich jeder fühlen, der in der neuesten Gesetzesregelung zur Bestechung blättert. Künftig sind "aus Dankbarkeit" gegebene Sachgeschenke an Staatsbedienstete nicht mehr strafbar.

Dass Sachgeschenke auch versilbert werden können, liegt auf der Hand. Offensichtlich hat der Gesetzgeber aus diesem Grund auch vermieden, eine Wertgrenze für die nun legalen Bestechungen einzuführen. Denn anfänglich sollten auch Geldbeträge als "Dankbarkeitsbekundung" wieder erlaubt werden. Es ist nicht anzunehmen. dass sich dieses Gesetz lange halten wird, allerdings wird allein durch den Erlass eine Straffreiheit für bislang bestochene Beamte generiert. Ein Schelm, wer dabei an die Auswahlkriterien für die 15.000 zu entlassenen Beamten denkt. Über deren Wohl haben schließlich die jeweiligen Vorgesetzten zu entscheiden.

Amnestien wie bei Berlusconi

Wie nahe solche Gedankengänge den griechischen Gesetzesmachern sind, zeigen die jüngsten Äußerungen des Parteichefs der PASOK. Evangelos Venizelos gab unumwunden zu, dass ein Gesetz zur Strafbefreiung für an faulen Parteikrediten beteiligte Personen der Amnestie der eigenen Kaste, respektive der bisherigen Parteivorsitzenden der PASOK, dient. PASOK und Nea Dimokratia schulden den Banken zusammen mehr als 250 Millionen Euro.

Die Kredite wurden einst hauptsächlich über die staatlichen Banken vergeben, wobei die künftige staatliche Parteienfinanzierung als "Sicherheit" präsentiert wurde. Trotz der üppigen Gelder, die griechische Parteien immer noch erhalten, sind die Kredite nicht mehr bedienbar. Denn Nea Dimokratia und PASOK sackten in der Wählergunst zusammen auf einen so niedrigen Wert ab, dass sie nun gemeinsam weniger Zuschüsse erhalten werden, als früher einzeln.

Selbst mit den früheren Wahlergebnissen wären die üppig erteilten Kredite jedoch kaum zu bezahlen gewesen. 2010 erhielt die PASOK vom Staat 19,8 Millionen Euro, bei der Nea Dimokratia waren es immerhin noch knapp 15 Millionen Euro. Griechenland zählt immer noch zu den Ländern, welche pro Wahlstimme das meiste Geld an die Parteien zahlen.

Der überwiegende Teil der Kredite, 67 Millionen Euro bei der PASOK und 77,3 Millionen Euro bei der Nea Dimokratia, wurde zwischen 2006 und 2010 aufgenommen. Dies wiederum hatte die Finanzstaatsanwälte auf den Plan gerufen. Sie ermittelten bereits, ob die Kreditvergabe mit Recht und Gesetz vereinbar war und luden deshalb die Parteivorsitzenden vor. Kurz vor einer Anklageerhebung wurden die Ermittlungen durch die nun geltende Amnestie ad absurdum geführt. Straffrei bleiben nämlich sämtliche Kreditvergaben an Parteien, die in Einklang mit Beschlüssen der Zentralbank erteilt wurden.

HIV-Patienten - obdachlos und ohne Zugang zur Medizin. Bild: W. Aswestopoulos

Wackere Staatsanwälte

Trotzdem wird es für einige Beteiligte doch noch unangenehm. Die Finanzstaatsanwaltschaft erhielt vom früheren Parteisekretär der PASOK, Michalis Karchimakis, eine Anzeige. Der Zentralbankchef Giorgos Provopoulos höchstpersönlich soll bei einem dubiosen Bankendeal die Finger im Spiel gehabt haben.

Seinerzeit kaufte der nun wegen mutmaßlichen fortgesetzten Betrugs in U-Haft sitzende Unternehmer Lavrentis Lavrentiadis die Proton Bank mit den Geldern der gekauften Bank. Die griechische Zentralbank erteilte dazu ebenso ihren Segen wie für die Zypernabenteuer des Unternehmers Vgenopoulos. Dass Karchimakis seine Anzeige just jetzt platzierte, ist alles andere als ein Zufall. Der nun aus dem Nähkästchen plaudernde Kreter gehört zu den schärfsten Kritikern von Parteichef Venizelos.

Tatsächlich versuchen die griechischen Strafverfolger so weit möglich im Dickicht der dubiosen Politik aufzuräumen. Mit dem ehemaligen Finanzminister Yannos Papantoniou steht erneut einer der Euroarchitekten des Landes vor dem Kadi. Papantoniou hatte eine fehlerhafte Vermögenserklärung abgegeben, weil er beim zu deklarierenden Familieneinkommen die Gelder seiner Gattin vergaß.

Finanzminister Stournaras beim Verlassen des Ministeriums nach den Verhandlungen mit der Troika. Bild: W. Aswestopoulos

Wohin steuert das Land?

Premier Samaras [http://www.real.gr/DefaultArthro.aspx?page=arthro&id=225986&catID=1 betonte] in seiner Rede beim Forum des Economist in Athen, dass er eine "Rückkehr des Landes zum Gestern nicht zulassen" werde. Er bezeichnete ebenso wie viele seiner Amtsvorgänger die Zweifler an seinem Kurs als Kassandren. Dass die werte Priamostochter das Unheil vollkommen korrekt kommen sah, ihr aber niemand Glauben schenkte, steht jedoch bereits in Homers Werken, aber auch in einem Gedicht Friedrich Schillers. Der von Antonis Samaras herbeizitierte Wachstumsschub scheint ferner denn je. Täglich ziehen sich Unternehmen aus Griechenland zurück. Eines der jüngsten Opfer der taumelnden Wirtschaft ist Sony Music.

Tatsächlich scheinen die Regierungspolitiker selbst nicht an einen wirklichen Erfolg ihrer Politik zu glauben. Der Fraktionsprecher der Nea Dimokratia, Manolis Kefalogiannis, meinte im Rundfunk, dass seine Regierung das Problem der Arbeitslosigkeit nicht gelöst habe. "Wir arbeiten auf einen neuen Schuldenschnitt zu", gestand er unumwunden ein. Er bestätigte damit Andeutungen, die Finanzminister Yannis Stournaras selbst beim Forum des Economist gemacht hatte.

Er demonstrierte nach Abzug der Gewerkschaftdemo auf dem Klathmonos-Platz weiter gegen die Regierungspolitik. Bild: W. Aswestopoulos

Rückfall in alte Gewohnheiten

Doch nicht nur im Finanzwesen droht dem Land ein Rückfall in alte Gewohnheiten. Kleinlaut gaben Gefängnisbeamte der Haftanstalt Grevena zu, dass trotz Dementis des Bürgerschutzministeriums im Gefängnis am vergangenen Samstag Folterungen stattfanden. So etwas war in den Fünfzigern ebenso gang und gäbe wie die gezielte Anschwärzung von Regierungskritikern. Dass Letzteres auch heute wieder zum politischen Leben gehört, erfuhr der Betreiber des Blogs Pitsirikos am eigenen Leib. Der Chef des persönlichen Pressebüros des Premierministers, Georgios Mouroutis outete einen für das Magazin Unfollow tätigen Journalisten als Betreiber des oft sehr satirischen Blogs. Er berief sich dabei auch auf den Personalausweis, den der Blogbetreiber bei einem Besuch im Parlamentsbüro von SYRIZA-Chef Alexis Tsipras bei der Wache hinterlegt habe.

Wie Mouroutis, der selbst nicht dem Parlament angehört, Einblick in die bei der Wache hinterlegten und gesetzlich unter Datenschutz stehenden Ausweispapiere von Parlamentsbesuchern bekam, wollte er nicht darlegen. Mouroutis blieb auf Anfrage ebenso eine Antwort auf die Frage schuldig, wieso seine Beiträge unter dem Pseudonym factorX auf einem der Nea Dimokratia nahe stehenden Blog erscheinen, auf dem auf eine Quellenangabe von abgebildeten Fotos und auf sonstige Urheberrechte kaum Rücksicht genommen zu werden scheint.

Schrotkugeln statt Lohngelder

Das Recht im heutigen Griechenland ist zu Anbruch des vierten Jahrs unter der Aufsicht des IWF immer mehr das Recht des Stärkeren. Dies bekamen am Mittwoch knapp 200 in Manolada als Erntehelfer tätige Immigranten aus Bangladesh zu spüren. Sie warteten seit nunmehr sechs Monaten auf ihren Lohn und hatten sich zusammengefunden, um gemeinsam beim Arbeitgeber vorstellig zu werden. Dabei soll sich die Gruppe nach Angaben der Polizei "bedrohlich" auf die griechischen Vorarbeiter der Vangelatos AG, einem Zulieferer großer Supermarktketten zubewegt haben. Die Vorarbeiter eröffneten daraufhin das Feuer und verletzten zahlreiche Arbeiter. Insgesamt sollen 28 Personen mit Schussverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden sein, bei vier davon heißt es, dass sie sich in einem kritischen Zustand befänden.

In der griechischen Netzgemeinde führte der Vorfall bereits am späten Mittwochabend zu einem Boykottaufruf von Erdbeeren aus Manolada. Es ist nicht der erste Vorfall in der südlich von Patras gelegenen Agrargegend. Seit 2008 sind die dort herrschenden katastrophalen Arbeitsbedingungen bekannt. EU-Berichte, welche diese Missstände anprangern, liegen ebenfalls vor. Jedoch scheint die Bekämpfung inhumaner Zustände nicht in den Zuständigkeitsbereich der Kreditgebertroika zu fallen, denn alle Warnungen zur weiteren Verrohung der Gesellschaft verhallen von der Regierung ungehört.