"Mit eiserner Zunge gepredigt"

Gerd Althoff über kirchliche Gewalt im Mittelalter

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In seinem Buch Selig sind, die Verfolgung ausüben - Päpste und Gewalt im Hochmittelalter rekonstruiert der Historiker Gerd Althoff die Rechtfertigungsmuster christlicher Brutalität unter Papst Gregor VII. dem "Heiligen Satan" der katholischen Kirche.

Bischoff Bonizo von Sutri, seinerzeit enger Vertrauter von Papst Gregor VII schreibt, dass der selig zu preisen sei, der um der Gerechtigkeit willen Gewalt ausübe. Dies ist eine Botschaft, die in der Bergpredigt nicht vorkommt. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Gerd Althoff: Bischof Bonizo beschäftigte sich in dem Werk, aus dem das Zitat stammt, zentral mit der Frage: Ist es dem Christen erlaubt, für die Wahrheit (das heißt die christliche Lehre) Gewalt anzuwenden? Er sammelte hierzu Beispiele aus der Geschichte sowie Zeugnisse der Bibel und der Kirchenväter, mit denen er die gestellte Frage nachdrücklich bejahte: Wenn es jemals für Christen erlaubt war, Gewalt für den Glauben anzuwenden, dann jetzt im Kampf gegen die Anhänger des häretischen und tyrannischen Königs Heinrich IV. Und deshalb stellte er die, die für den Glauben Gewalt anwendeten, denen gleich, die in der Bergpredigt seliggepriesen werden, weil sie um der Gerechtigkeit willen Gewalt erleiden.

Nicht nur Bonizo sondern auch andere Unterstützer Papst Gregors VII. haben diesen Widerspruch zur Bergpredigt bewusst in Kauf genommen, weil sie mit anderen Bibelstellen belegen konnten, dass der Gott des Alten Testaments selbst Vernichtungsbefehle gegen die gab, die ihn nicht verehrten, und dass er überdies diejenigen belohnte, die sich für seine Sache ereiferten und ihn mit Gewalt unterstützten. Man hat mit anderen Worten im endenden 11. Jahrhundert von Seiten der päpstlichen Partei die Friedens- und Liebesgebote des Neuen Testaments außer Acht gelassen und versucht, mit Hilfe von Geschichten des Alten Testaments eine Theorie zu fundieren, die Gewaltanwendung im Auftrage und Dienste der Kirche für legitim erklärte.

Gerd Althoff. Foto © WBG Wissen verbindet

Gegen wen durfte sich diese Gewalt richten?

Gerd Althoff: Diese Gewalt richtete sich zunächst einmal nur gegen Häretiker und Schismatiker, also gegen solche Christen, die vom wahren Glauben abwichen oder Kirchenspaltungen hervorriefen. Gregor VII. hat aber dem Alten Testament (1 Sam. 15, 22 und folgende) zudem entnommen, dass Gott Ungehorsam gegenüber seinen Befehlen wie Häresie bewertete. Damit konnte Gregor auch alle die zu Häretikern erklären, die ungehorsam gegenüber päpstlichen Geboten waren. Darunter fielen dann auch König Heinrich IV. und seine Anhänger. In den Kreuzzügen ist die erlaubte Gewaltanwendung dann auch auf Ungläubige erweitert worden.

Dies ebenfalls mit einer Begründung aus dem Alten Testament, dass nämlich die Ungläubigen, die heilige Stätten des Christentums mit ihren Riten entweihten und besudelten, diesen Gottesfrevel mit ihrem Blut sühnen müssten. Diese Botschaft entnahm man dem Psalm 79, der immer wieder in der päpstlichen Kreuzzugspropaganda aufgerufen wurde. Als die ersten Kreuzfahrer 1099 dann die heiligste Stätte des Christentums, Jerusalem, erobert hatten, kam es zum Massaker an der muslimischen und jüdischen Bevölkerung, was zeitgenössische Beobachter damit rechtfertigten, dass diese Ungläubigen ja mit Ihrer Verunreinigung Jerusalems Gott beleidigt hätten.

Hatte diese Einstellung Konsequenzen auf das Handeln von Papst Gregor VII.?

Gerd Althoff: Papst Gregor VII. hat in der Tat versucht, die christlichen Krieger Europas zur Gewaltanwendung im Auftrage des Papsttums zu verpflichten. Diesem Ziel diente sein Aufbau einer militia Sancti Petri, die unter dem Oberkommando des Papstes stehen sollte. Angehörige dieser Miliz waren etwa die Normannen in Süditalien, die den Papst denn auch vor Heinrich IV. schützten beziehungsweise den Kaiser aus Rom vertrieben.

Danach plünderten sie allerdings Rom so brutal, dass Gregor in der Stadt nicht mehr sicher war und mit ihnen nach Süditalien abziehen musste. Gregor scheute bei seiner zweiten Exkommunikation Heinrichs IV. auch nicht davor zurück, die Apostelfürsten Petrus und Paulus in einem öffentlichen Gebet aufzufordern, durch ihr Eingreifen dafür zu sorgen, dass Heinrich zuschanden wird. Er setzte sogar einen Termin, bis zu dem die Apostel tätig werden sollten, damit jeder sähe, dass sie es auf Gregors Bitte hin täten.

Gregors Gegner haben verbittert gegen diese päpstliche Politik argumentiert und ihm vorgeworfen, dass er Laien zum Töten von Christen auffordere, die doch nur einen Anlass zur Sünde suchten. Er habe versprochen, die Schuld auf sich zu nehmen und beim Jüngsten Gericht für sie einzutreten. Man hat in der modernen Forschung zu Recht betont, dass Gregor VII. der "kriegerischste Papst" gewesen sei, der je auf dem Stuhle Petri gesessen hätte.

Welche Rolle spielte die Gewalt bei der Ausbreitung des Christentums und wie wird sie begründet?

Gerd Althoff: Bei der christlichen Mission sollte die Gewalt gar keine Rolle spielen. Der Übertritt zum Christentum sollte grundsätzlich freiwillig und eben nicht unter Zwang geschehen. Zwang war aber dann erlaubt, wenn einmal Getaufte wieder vom christlichen Glauben abfielen, zu sogenannten Apostaten wurden. Das war naturgemäß dann häufiger der Fall, wenn es Massentaufen ohne vorherige gründliche Unterweisung in den christlichen Glauben gegeben hatte.

Die theoretische Position der christlichen Kirche zur Gewaltfreiheit von Mission schloss allerdings nicht aus, dass auch einmal "mit eiserner Zunge gepredigt wurde", wie man die Sachsenmission Karls des Großen charakterisierte. In aller Regel vollzog sich Mission aber von oben nach unten: Die Könige oder Führer von Völkern wurden zuerst gewonnen, dann bekehrte sich ihr ganzes Volk mit ihnen.

Wie war die gesellschaftliche Situation dieser Zeit und wiefern ist die christliche Gewaltdoktrin eine Reaktion darauf?

Gerd Althoff: Die gesellschaftliche Situation liefert wohl weniger die Begründung für die plötzliche Veränderung der päpstlichen Geltungsansprüche in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Wichtiger scheint vielmehr das Verhältnis der Päpste und der Kirche zu den höchsten weltlichen Gewalten, den Königen und vor allem den Kaisern. Gerade die römisch-deutschen Kaiser hatten sich ja in der sogenannten ottonisch-salischen Reichskirche nicht nur den entscheidenden Einfluss auf die Investitur der Bischöfe gesichert.

Sie zogen die Kirche auch zu einer Fülle ‚staatlicher‘ Aufgaben heran: Die Kirchenleute stellten den größten Teil des Heeres, die Bischofssitze beherbergten und beköstigten den Hof den Herrschers, was mit immensen Ausgaben verbunden war. Sozusagen dramatisch wurde es, als 1046 Kaiser Heinrich III. auch die Einsetzung der Päpste in dominanter Weise bestimmte und immer wieder Vertraute auf den Stuhl Petri erheben ließ. Die Kirche drohte damit zu einem Herrschaftsinstrument der Kaiser zu werden.

Hiergegen wandte sich das sogenannte Reformpapsttum, dass die Freiheit der Kirche vom Einfluss aller Laien auf seine Fahnen schrieb. Unter Gregor VII. ging es dann aber weit über die Freiheitsforderung hinaus und strebte selbst die Suprematie, die Oberherrschaft in Kirche und Welt an. Angesichts der Tatsache, dass man nun Gehorsam von allen Gläubigen gegenüber allen päpstlichen Geboten forderte, stellte sich nachhaltig die Frage, was man mit Ungehorsamen machen sollte, die sich durch Exkommunikation allein nicht schrecken ließen. Diese Problematik führte wohl auf den Weg der Legitimation von Gewalt im Auftrage der Kirche.

Gab es auch theologische Gegendiskurse im Sinne der Bergpredigt?

Gerd Althoff: Wie gesagt haben viele Gegner der Gregorianer vor allem mit Belegen des Neuen Testaments die päpstlichen Positionen bekämpft. Sie haben die vielen Herrenworte, die Gewaltlosigkeit und Frieden predigen, zitiert und die Beispiele für Nächsten- und sogar Feindesliebe als christliche Tugenden in die Waagschale geworfen. Man hat in diesen Diskursen aber konsequent aneinander vorbeigeredet, weil es außerhalb des Denkens war, dass sich Aussagen heiliger Texte auch widersprechen konnten. Auf diese Widersprüche ist erst später Abälard eingegangen. Deswegen hat man die Interpretationen der anderen Seite auch nicht zu widerlegen versucht, sondern einfach immer neue Beweise für die eigenen Positionen vorgetragen, wobei die Gregorianer vorrangig das Alte Testament, ihre Gegner vorrangig das Neue Testament nutzten.

Lässt diese Gewaltaffinität generelle Rückschlüsse auf das Christentum zu?

Gerd Althoff: Generelle Rückschlüsse würde ich nicht ziehen wollen. Das, was die päpstliche Seite im 11. Jahrhundert praktizierte, waren Neuerungen der Interpretation, die in unerhörter Weise die bisherige Tradition veränderten. Damit gab es nicht mehr das Christentum, grundgelegt war vielmehr eine Variante des Christentums, die auch nicht unverändert Bestand hatte. Die geradezu fanatische Entschlossenheit, die neuen Geltungsansprüche gegenüber der Welt notfalls mit Gewalt durchzusetzen, hat bald nachgelassen - eigentlich ist sie nur für die Zeit Gregors VII. zu konstatieren.

Dennoch haben sich durchaus Neuerungen gehalten, die gleichfalls in dieser Zeit entstanden: der sogenannte römische Zentralismus, die hierarchische Kirchenstruktur mit Jurisdiktionsprimat und päpstlicher Unfehlbarkeit, auch die rigide Haltung in der Zölibatsfrage. Man kann sagen, dass die katholische Kirche eine kritische Aufarbeitung der "gregorianischen Revolution" bisher versäumt hat, dass in ihr daher noch mehr Gregorianismus weiterlebt, als angesichts der spezifischen Entstehungsgeschichte dieser Bewegung und ihrer Widersprüche angemessen erscheint.

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