"Austeritätspolitik ist unwissenschaftlich und gefährlich"

Wissenschaftler aus Griechenland und den USA zeigen in einer Studie die nachteiligen Folgen der Sparmaßnahmen im Gesundheitssektor in Griechenland auf

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Wissenschaftler von der Aristoteles-Universität in Thessaloniki und der University of New Mexico haben die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und der verordneten Sparmaßnahmen auf die medizinische Versorgung der Menschen untersucht. Das Ergebnis ihrer Forschung bezeichnen sie als "weitaus schlimmer, als wir uns dies vorgestellt haben". Und sie sehen Griechenland nur als Beispiel für das, was als Folge der Austeritätspolitik auch in anderen Ländern droht oder schon der Fall ist.

Für ihre Studie über den Zusammenhang von sozioökonomischen Bedingungen und Gesundheit, die im American Journal of Public Health erschienen ist, haben die Wissenschaftler Daten über die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen zusammen mit solchen über die Nutzung der medizinischen Dienste und der Krankenstatistiken zwischen 2008 und 2012 herangezogen.

In den Jahren von 2008 und bis Anfang 2012 ist das BIP um 20,8 Prozent eingebrochen, während die Arbeitslosenrate von 7,2 auf 22,6 Prozent angestiegen ist. Im Juni wurde die Zahl der Arbeitslosen auf 1,2 Millionen geschätzt - bei einer Gesamtbevölkerung von 11,3 Millionen. Schon 2010 standen 27,7 Prozent oder 3 Millionen Griechen unter einem Armutsrisiko. Die Zahl der Obdachlosen ist gestiegen, 2011 erhielten bereits mehr als 20.000 Menschen in Athen und Thessaloniki Lebensmittelhilfen. Mit den Krediten der Troika wurde als Auflage eine Reihe von Sparmaßnahmen verhängt, u.a. wurde begonnen, das Gesundheitssystem marktorientiert zu "reformieren", also zu privatisieren und zu deregulieren, wie das Weltbank und IWF bereits in vielen Ländern durchexerziert haben. Und das ausgerechnet dann, wenn die Krise und die Armut den Bedarf ansteigen lassen, weil bekanntlich körperliche Krankheiten, psychische Störungen, Alkoholmissbrauch oder Suizide zunehmen.

Nach den Vorgaben kürzte das griechische Gesundheitsministerium die Ausgaben, die zwischen 2009 und 2011 um 23, 7 Prozent oder 1,8 Milliarden Euro zurückgingen. Es wurden keine neuen Beschäftigten mehr eingestellt, die Gehälter gekürzt und ältere Mitarbeiter entlassen. Die Ausgaben für öffentliche Krankenhäuser wurden um mehr als 12 Prozent gekürzt. Während die Regierung beteuert, die geringeren Ausgaben würden vor allem aus einer Verbesserung des Finanzmanagements resultieren, weisen die Wissenschaftler darauf, dass dies größtenteils, nämlich 75 Prozent, auf Kürzungen der Gehälter zurückzuführen sei. Es wurden staatliche Krankenhäuser geschlossen oder zusammengelegt, Kosten für Patienten erhöht und Verträge mit privaten Versicherungen für Dienste geschlossen, die Krankenhäuser anbieten. Auch die Zuzahlungen für Medikamente und Tests gingen in die Höhe. 2011 zahlten griechische Patienten für ambulante Behandlungen, die bislang kostenlos waren, mehr als 25 Millionen Euro. Im selben Jahr wurden 1,6 Prozent der Krankenhausbetten für Privatversicherte reserviert und im Zuge der Deregulierung alle Einschränkungen für private Krankenhäuser und Labors gestrichen.

Für die Wissenschaftler sagt die Unwahrheit, wer immer noch behauptet, es gebe keine Beweise dafür, dass die Austeritätspolitik zu einem Gesundheitsproblem, wenn nicht zu einem Desaster beiträgt. Zwar ist die allgemeine Mortalität in den fünf Krisenjahren der Krise weiter gesunken, aber die Suizidrate ist um 16,2 Prozent, die Mordrate um 25,5 Prozent und die Todesfälle aufgrund von Infektionskrankheiten wie bei Tubrkulose, Malaria, HIV oder Westnilvirus um 13,2 Prozent gestiegen. Bei den Männern unter 65 Jahren, die stärker von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, waren die Werte mit 22,7, 25 und 27,6 Prozent noch höher. Dass keine Auswirkungen auf die allgemeine Mortalität zu konstatieren sind, führen die Wissenschaftler entweder darauf zurück, dass die meisten Todesfälle (noch) nicht von der Rezession betroffen sind, oder darauf, dass sich die schlechtere Versorgung chronischer Kranker erst nach einer gewissen Zeit in der Mortalität niederschlägt.

Insgesamt sind die privaten Ausgaben für medizinische Versorgung um 3,6 Prozent zurückgegangen. Besonders auffällig ist, dass nur in der einkommensschwächsten Schicht die Ausgaben relativ zu den Gesamtausgaben deutlich angestiegen sind. Das bedeutet, so die Wissenschaftler, dass diese wohl die Ausgaben nicht weiter wie die anderen sozialen Schichten zurückfahren können und die Gesundheitskosten sogar in der Krise weiter steigen. Deutlich sind auch die ambulanten und stationären Behandlungen in den öffentlichen Krankenhäusern angestiegen, obgleich diese personell und finanziell gekürzt wurden, während deutlich weniger Menschen private ambulante Dienste in Privatkrankenhäusern in Anspruch nahmen.

Dr. Elias Kondilis, Erstautor der Studie, erklärte, dass man zwar negative Auswirkungen der Austeritätspolitik auf das Gesundheitssystem und die Gesundheitsversorgung erwartet habe, "aber die Ergebnisse waren weitaus schlimmer, als wir dies uns vorgestellt haben". Sparmaßnahmen beschneiden nicht einen überbordenden Wohlfahrtsstaat, wie die neoliberale Ideologie verkündet, sondern gefährden die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, hingegen wäre eher in Krisen ein Ausbau des öffentlichen Gesundheitssystems erforderlich, so die Autoren. Staaten in Lateinamerika wie Argentinien, Venezuela oder Bolivien hätten den Zwängen widerstanden, die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems zu reduzieren, wodurch sich wirtschaftliche und gesundheitliche Faktoren verbessert hätten. Diese Verbesserungen hätten gezeigt, sagen sie mit Verweis auf andere Studie, "dass die Austeritätspolitik unwissenschaftlich, gefährlich und widerstehbar ist".