Schweiz ist wichtigster Standort für Rohstoffhandel

Grundlagenbericht Rohstoffe: Schweizer Regierung ist bestrebt, den Rohstoffhandel fairer zu gestalten - setzt aber weiter auf die freiwillige Einsicht der Unternehmen

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Bei keinem anderen Handelsgut zeigt der Kapitalismus seine ungerechte Bauart so ungeschminkt wie bei Rohstoffen. Seit die Schweiz der wichtigste Standort des globalen Rohstoffhandels, mehrt sich die Kritik an den Praktiken der Konzerne. Die Regierung erkennt ihre globale Verantwortung an und ist bereit, dazu beizutragen, den "Rohstofffluch" zu bekämpfen. Allerdings darf dies nicht zu Lasten des Standorts gehen. Das legt der Grundlagenbericht Rohstoffe nahe, den die Regierung auf Druck der Öffentlichkeit nun vorgelegt hat.

Rohkaffee-Bohnen. Bild: Hannes Endreß/CC-BY-SA-2.5

Am Handel profitieren meist beide Seiten, und man macht es sich zu einfach, den Reichtum des einen pauschal durch die Armut des anderen zu begründen. Trotzdem lässt sich nicht übersehen, dass zuweilen etwas Grundsätzliches schief läuft, wenn Arm und Reich miteinander Handel treiben.

Ein außergewöhnlich reiches Land, die Schweiz, beschäftigt sich derzeit kritisch mit dem eigenen Erfolg. Denn der Schweiz sind im vergangenen Jahrzehnt so viele Rohstoffkonzerne zugelaufen, dass das Land zum wichtigsten Handelsplatz der Welt für Rohstoffe geworden ist. Vom global gehandelten Metall und Kaffee laufen 60 Prozent über die Schweiz, vom Zucker 50 und 35 vom Rohöl und Getreide.

Das ist erfreulich, weil der Rohstoffbereich, anders als der Bankensektor, weiterhin boomt. Es ist aber auch unangenehm, weil die Branche zum Teil noch anrüchiger wirkt als die Banken. Zum einen gibt es grundsätzliche Zweifel, ob es richtig sein kann, dass Firmen in der Schweiz den Großteil des Ertrags einstreichen, während die meisten Länder, in denen die Bodenschätze liegen und abgebaut werden, weiterhin arm bleiben. Dazu kommen die vielen Details, die Schweizer NGOs in den letzten Jahren wieder und wieder ans Licht gebracht haben: Kinderarbeit, Zwangsumsiedlungen, Flussvergiftungen und mehr.

Weil all dies dem moralischen Kompass der meisten Eidgenossenschaft widerspricht, mehrt sich der Unmut der Zivilgesellschaft über die Branche, die mittlerweile das Bankenwesen als umsatzstärksten Sektor abgelöst hat ("Ich habe das Gefühl, wir sitzen auf einer Zeitbombe"). Nun hat die Regierung einen "Grundlagenbericht Rohstoffe" vorgelegt. Der soll ausloten, wie die Schweiz mit den Rohstoffhändlern umgeht.

Bekenntnis zur globalen Verantwortung

Das Echo fällt unterschiedlich aus. Während Rohstoffhändler den Bericht als ausgewogen, angemessen und gut überlegt loben, kritisieren NGOs das Papier als ungenügend und mutlos. "Statt im eigenen Land aus dem Grundlagenbericht die notwendigen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen, will die Schweiz freiwillige Standards entwickeln und damit gesetzgeberisches Handeln ersetzen", so etwa die Erklärung von Bern.

Tatsächlich entbehrt der Grundlagenbericht nicht einer gewissen Bigotterie, die wohl darauf zurückzuführen ist, dass die Schweiz es ungern sehen würde, dass sich die Konzerne anderswo niederlassen. Der Bericht stellt einerseits fest, dass das Land als wichtigste Heimstätte des weltweiten Rohstoffhandels eine globale Verantwortung trägt, und er nennt die Probleme überraschend klar beim Namen – Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung, Korruption, Intransparenz, Steuervermeidung. Allerdings warnt er ebenso deutlich davor, Lösungen auf Kosten der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts, namentlich der günstigen Steuer-, Transparenz- und Regulierungsbestimmungen, zu erkaufen.

Inkonsequent

Besonders eklatant wird diese Quadratur des Kreises beim Thema Kapitalflucht. Der Bericht erkennt klar den gewaltigen Schaden, den der legale, halblegale oder illegale Ausfluss des Kapitals anrichtet. Der geschätzte Umfang der Kapitalflucht übersteigt die globale Entwicklungshilfe bei weitem und gilt als größtes Hindernis für die Entwicklung der Dritten Welt. Zu einem wichtigen Teil entsteht die Kapitalflucht durch "Steuervermeidung", oft durch die Praxis von Unternehmen, "die Besteuerung von Gewinnen dort anfallen zu lassen, wo die Steuersätze besonders niedrig oder null sind". Dazu, so der Bericht weiter, "neigen namentlich auch im Rohstoffsektor tätige Unternehmungen stark."

Nun sitzen die Rohstoffhändler aber zu einem großen Teil in der Schweiz, und das Schweizer Steuersystem macht diesen Steuerkniff möglich. Der Bericht weist jedoch nicht auf den großen Beitrag hin, den die Schweizer Steuerumgebung dazu leistet, dass Drittweltstaaten finanziell austrocknen. Stattdessen behauptet der Bericht allen Ernstes, das Land trage bereits dazu bei, Kapitalflucht zu bekämpfen, indem es sich an internationalen Debatten beteilige und Entwicklungspolitik betreibe.

Gute Erfahrungen mit freiwilliger Selbstkontrolle

Dahinter steht klar die Sorge um den Standort. Die Schweiz sei zwar nach wie vor der attraktivste Platz für Rohstoffhändler, doch Konkurrenten, insbesondere Singapur und Dubai, würden bereits aktiv um die Konzerne werben. Auch wenn derzeit keine Abwanderungstendenzen auszumachen sind, stelle es eine große Herausforderung für die Schweiz dar, "auch in Zukunft einen konkurrenzfähigen rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmen bereitzusutellen". Insbesondere gegenüber Singapur soll die Schweiz um keinen Zoll an Attraktivität verlieren, weshalb weitergehende Regulierungen, wie sie international bereits erlassen wurden, zu vermeiden sind. Wenn sich schon nicht verhindern lässt, dass die Rohstoffhändler von irgendeinem Ort der Welt aus ihre unfairen Geschäfte betreiben – warum dann nicht von der Schweiz aus?

Konsequenzen meidet der Bericht auch dann, wenn es um das Verhalten der Konzerne geht, das, wie einmal mehr freimütig vermerkt wird, oft den Werten entgegenläuft, die die Schweiz "im Bereich der Entwicklungspolitik, Friedensförderung, Menschenrechte sowie Sozial- und Umweltstandards" vertritt. Konkreter: Durch die ansässigen Unternehmen werden Böden und Gewässer vergiftet, es kommt zu Korruption und Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsumsiedlungen oder prekären Arbeitsbedingungen.

Das sieht der Bericht ebenso wie die "besondere Verantwortung", die für alle am Rohstoffhandel beteiligten Akteure besteht. Er setzt jedoch weiterhin auf die Freiwilligkeit der Unternehmen, und vermerkt, dass die Schweiz damit gute Erfahrungen gemacht habe – was freilich die zuvor festgestellten Missstände energisch ausblendet. Etwas ziellos erscheint in diesem Zusammenhang auch die Feststellung, es sei "für die Wirkung der freiwilligen Massnahmen allerdings entscheidend, dass diese von den Unternehmen konsequent umgesetzt werden".

Letztendlich steuert der Bericht auf 17 Empfehlungen zu, die zum größten Teil darin bestehen, Überlegungen in Angriff zu nehmen, wie die bisherige freiwillige Selbstkontrolle der Unternehmen weiter zu vertiefen sei. Ernsthafte Verantwortung könnte anders aussehen.