Haben die Großbanken auch die "ISDAfix"-Swap-Sätze manipuliert?

Während der "LIBOR"-Skandal um manipulierte Referenz-Zinssätze noch lange nicht aufgearbeitet ist, haben US- und britische Behörden nun Ermittlungen zu den "ISDAfix"-Quoten aufgenommen, anhand derer die Preise von hunderten Billionen Dollar an Zins-Swaps berechnet werden

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Für Matt Taibbi vom Rolling Stone Magazin, der schon den LIBOR-Skandal maßgeblich vorangetrieben hatte, bringt der jüngste Skandal um den Referenz-Satz ISDAfix nun den ultimativen Beweis, dass die Finanzmarkt-Verschwörungstheoretiker im Grunde allesamt Recht hätten und die Wall Street bzw. die Großbanken tatsächlich "schlicht alles" manipulieren könnten und würden.

So weit bislang durchgesickert ist, untersuchen die US-Behörden schon längere Zeit, ob die rund 15 großen Banken, die die Zahlen für die Zins-Swap-Referenzsätze ISDAfix bereitstellen, diese ebenso manipuliert hätten wie die LIBOR-Referenzzinssätze. Im Zentrum der Ermittlungen steht dabei aktuell der weltweit größte Inter-Dealer-Broker ICAP, bei dem neben mehreren Großbanken bereits Hausdurchsuchungen vorgenommen worden wären. So bestehe seitens der der US-Finanzaufsichtsbehörde Commodity Futures Trading Commission (CFTC) der Verdacht, dass ICAP die Übermittelung eigener Preisveränderungen so lange zurückgehalten hätte, bis bestimmte eigene Geschäfte, die von diesen Quoten abhingen, abgewickelt waren.

Organisiert werden diese Quoten von der in New York angesiedelten "International Swaps and Derivatives Association" (ISDA), der alle internationalen Großbanken und die wichtigsten Broker/Dealer angehören und die die Regeln und Standards im privaten Derivatenhandel festlegt.

Die ISTAfix-Quoten bieten dabei Referenzwerte zur Berechnung der Preise von so genannten Over-the-Counter (nicht über öffentliche Börsen gehandelten) Derivaten, die vor allem bei der vorzeitigen Auflösung und beim Cash-Settlement von Kontrakten sowie bei der Bewertung von Portfolios genutzt werden. Benötigt werden sie bei Zins-Swaps, bei denen im einfachsten Fall fixe gegen variable Zinszahlungen getauscht werden ("to swap" engl. für "tauschen"), wobei sich der Wert der Kontrakte mit jeder Marktbewegung verändert, was tagesaktuell anhand der von ISDAfix quotierten Preise verfolgt werden kann.

Um diese Referenzpreise festzulegen sind die wichtigsten Marktteilnehmer (und jeweils mindestens acht) eingeladen, täglich den Mittelwert der von ihnen selbst real gestellten Kauf- und Verkaufspreise (für einen Deal mit 50 Mio. USD Nominale) bekannt zu geben, wobei die Extremwerte wie bei LIBOR ausgeschieden werden und aus dem Rest ein Mittelwert ermittelt wird, der für die wichtigsten Währungen und eine Reihe von Laufzeiten die Referenz Swap-Sätze fixiert. Pünktlich um 11:30 und um 3:30 New Yorker erscheinen die neuen Referenzwerte auf den Terminals der Finanzinformationsdienste Thomson Reuters, Bloomberg and Telekurs in den Handelsräumen, was dann erhebliche Bedeutung für die Profitabilität eines Geschäft oder den "Wert" eines täglich zu bewertenden Portfolios haben kann.

Private Konsumenten von Finanzprodukten finden Verweise auf ISDA-Quoten vor allem in variabel verzinsten Bankanleihen sowie in fast allen komplexer strukturierten Investmentzertifikaten. Professionelle Marktteilnehmer begegnen ihnen bei praktisch allen Zinsderivaten, deren ausstehende Nominale die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zuletzt mit 443,7 Billionen Euro beziffert hat, was die Zinsderivate zu den mit Abstand umsatzstärksten Finanzprodukten überhaupt macht. Darüber hinaus nutzt auch die Federal Reserve die ISDAfix-Quoten für die von ihr täglich veröffentlichten Dollar-Marktzinssätze (H.15) und die Derivatenbörsen LIFFE, Chicago Mercantile Exchange und Chicago Board of Trade nutzen sie für das offizielle Settlement ihrer Swap-Futures-Kontrakte. Folglich dürfte kaum ein Zins-Swap ohne ISDAfix-Referenzen auskommen, so dass das von den Manipulationen betroffene Volumen das auf 300 Billionen Dollar geschätzte Volumen der auf LIBOR/EURIBOR referenzierten Geschäfte also noch um rund die Hälfte übersteigen dürfte.

Schwierigkeiten beim Nachweis der Schäden

Betroffen sind etwa große Städte und Unternehmen, die versucht haben, ihre Zinsrisiken mit Swaps abzusichern; und fast alle Emittenten von Schulden optimieren damit ihre Portfolios. Vermutlich könnte etwa die Stadt Linz, die aufgrund gescheiterter Swap-Geschäfte aktuell nur eine Gerichtsentscheidung von der Pleite entfernt ist, durch die ISDAfix-Manipulationen zusätzliche Verluste in Millionenhöhe erlitten haben - ohne dies aber jemals beweisen oder auch nur feststellen zu können.

Allenfalls könnte ihr Geschäftspartner, die österreichische BAWAG, nachzuweisen versuchen, betroffen zu sein. Die BAWAG hat ihre Linz-Geschäfte sicherlich an den Finanzmärkten abgesichert und wird dabei sicherlich auch mit den großen Dealern ins Geschäft gekommen sein, die an den ISDAfix-Quoten mitwirken. Dann müsste die BAWAG, um Schadenersatz fordern zu können, nur noch feststellen bzw. unmittelbar nachweisen können, dass ein Geschäftspartner genau zu einem der Zeitpunkte, als ein Geschäft mit ihr fällig geworden ist, die ISDAfix-Quote zu ihren Ungunsten manipuliert hätte, was in vergleichbaren Fällen in Zusammenhang mit LIBOR-Manipulationen bislang jedenfalls nicht gelungen ist.

Da die Manipulationen zudem in beide Richtungen erfolgt sind, könnte davon theoretisch jeder Marktteilnehmer zufällig auch profitiert haben, und so bleibt zu erwarten, dass wie beim LIBOR-Skandal die Geschädigten in der Regel viel zu weit von den Profiteuren entfernt sind, als dass Schäden nachgewiesen, zugeordnet und gerichtlich geahndet werden könnten.

Dass die Angelegenheit von den Großbanken wohl dennoch ernst genommen werden wird, ist klar, seit Barclays, UBS und Royal Bank of Scotland zusammen 2,5 Milliarden Dollar für den LIBOR-Skandal haben aufwenden müssen. Dazu kommt der in den letzten Monaten erfolgte Rückzug großer Geldhäuser wie der britischen HSBC Holdings und der japanischen Mizuho Financial Group von der ISDA-Datenbereitstellung. Es verbleibt freilich das Who is Who der internationalen Bankenszene: Bank of America Merrill Lynch, Barclays, BNP Paribas, Citigroup, Credit Suisse, Goldman Sachs, JP Morgan Chase, Morgan Stanley, Nomura, Royal Bank of Scotland, UBS, Wells Fargo und natürlich auch die Deutsche Bank.

Allerdings konnten die Großbanken in der LIBOR-Angelegenheit Anfang April vor einem New Yorker Gericht einen entscheidenden Durchbruch feiern. So wurde eine Reihe von Privatklagen unter anderem des Discount Brokers Charles Schwab wegen verschiedener Betrugsvorfälle mit der Begründung abgewiesen, dass an die zivilen Kläger wesentlich höhere Anforderungen gestellt würden als an die öffentlichen und diese eben nicht erfüllt worden wären. Die Deutsche Bank, von der bislang im Markt angenommen worden war, sie wäre die nächste, die ein Milliarden-Settlement mit den Behörden bekannt geben werde, soll laut dem Informationsdienst Valuewalk hingegen gerade von der deutschen Finanzaufsicht BaFin von jedem LIBOR-Verdacht freigesprochen worden sein.