Die EZB öffnet die Geldschleuse weiter

Neuer EZB-Doppelturm, Foto vom 10. 2.2013. Bild: Epizentrum/CC-BY-SA-3.0

Der Leitzins wurde nun sogar mit 0,5% auf das historische Rekordtief gesenkt, die Konjunktur stimulieren wird dies voraussichtlich nicht

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Der italienische Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) wird allen Befürchtungen aus Deutschland gerecht. Seit Mario Draghi das Amt im November 2011 übernahm, macht er über die EZB Konjunkturpolitik und dreht an der Zinsschraube (Geldwertstabilität ade?). Seinen Posten hatte er mit einem niedrigen Zinssatz von 1,5% übernommen und nun am Donnerstag auf das neue historische Rekordtief von 0,5% gesenkt. Dass damit die Kreditklemme in den Krisenländern aufgebrochen und die dortige Konjunktur stimuliert wird, darf bezweifelt werden. Auch der bisherige niedrige Zinssatz von 0,75% führte nicht einmal dazu, dass die Vergünstigungen in Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal in Form von günstigeren Krediten an Unternehmen und Verbraucher weitergegeben wurden.

Es war klar, dass Draghi die Zinsen weiter absenken würde, um vor allem dem politischen Druck nachzugeben. Die EZB wird immer stärker wie in den USA als Instrument zur Konjunkturförderung eingesetzt. Er stellte sogar weitere Zinssenkungen nach US-Vorbild in Aussicht. "Wir sind zum Handeln bereit, wir werden uns sicher alle neuen Daten anschauen", sagte Draghi. Ausnahmsweise kann man ihm derzeit wegen einer niedrigen Inflationsrate von 1,2% nicht den Vorwurf machen, die Geldwertstabilität direkt zu gefährden.

Dass die Konjunktur über niedrige Zinsen im Euroraum angekurbelt werden kann, wie gerne als Erwartung angeführt wird, ist mehr als fraglich. Draghi hofft, dass die Zinssenkung die schlechte Lage am Arbeitsmarkt beeinflusst. Man muss sich nur die Entwicklung anschauen, seit am 5. Juli 2012 der Leitzins erstmals seit Einführung des Euro unter die Marke von einem Prozent gesenkt wurde. Tatsächlich ist die Eurozone im dritten Quartal 2012 in die Rezession abgerutscht. Trotz des billigen Geldes hat sich die Rezession im vierten Quartal sogar deutlich verstärkt und das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte in der Eurozone sogar um 0,6%. Die Arbeitslosenquote erklimmt im Euroraum ebenfalls ständig neue Rekorde und ist mit 12,1% so hoch wie nie zuvor.

Der Konsum schwächelt sogar im scheinbar glücksseligen Deutschland. Das zeigt sich auch an den Einzelhandelsumsätzen. Im März sanken sie im Vergleich zum Vormonat sogar um 0,5% und im Jahresvergleich macht das Minus sogar schon 2,8% aus. Sogar der Bierkonsum ist im ersten Quartal um 4,3% gesunken und auch der Export schwächelt.

Ersparnisse werden weiter entwertet

"Vom konjunkturellen Frühling ist im Außenhandel noch nichts zu spüren", sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). "Die weltwirtschaftliche Erholung lässt auf sich warten und fällt wohl auch weniger dynamisch aus, als bisher angenommen", schaut Anton Börner sorgenvoll auf einen Sektor, der fast zur Hälfte zur deutschen Wirtschaftsleistung beiträgt. Nur noch "moderat" werde das Handelsvolumen im Export 2013 wachsen. Denn die internationale Konkurrenz wachse und nehme Deutschland Marktanteile ab. Er hofft auf ein kräftiges "wirtschaftliches Comeback der USA", befürchtet aber, dass der Exportweltmeister China seine Position ausbauen werde. Wegen der Rezession im Euroraum stehe Deutschland zunehmend auf einem Bein.

In Ländern mit höherer Sparquote wie in Deutschland hat der Zinsentscheid der EZB aber die Wirkung, dass die Ersparnisse weiter entwertet werden. Denn die Sparzinsen auf Sparbüchern oder Tagesgeldkonto sind längst niedriger als die Inflation und dürften weiter sinken. In einer gemeinsamen Stellungnahme warnten die Verbände der Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken vor der Sitzung des EZB-Rats: "Jeder Zinsschritt nach unten lässt die Sparguthaben schmelzen. Sinkende Zinsen bedeuten einen sinkenden Anreiz für das Sparen und Vorsorgen. Dabei müssen die Menschen heute mehr als bisher vorsorgen, um ihren Lebensstandard im Alter zu sichern." Die Versicherungswirtschaft stöhnt ebenfalls, weil sie garantierte Zinsen für Lebensversicherungen kaum noch aufbringen können.

Banken legen das billige Geld in Staatsanleihen an

Die Geschäftsbanken im Euroraum kommen dagegen nun so günstig wie nie zuvor an Zentralbankgeld. Sie können sich auch mindestens noch ein weiteres Jahr unbegrenzt bei der Europäischen Zentralbank mit Geld versorgen. Der Geldhahn bleibt also weiter voll geöffnet, denn eigentlich sollte diese Regelung im Juli auslaufen. Geändert hat sich auch nichts daran, dass die Banken das günstige EZB-Geld weiter gratis bei der Zentralbank parken können. Der Zinssatz für Geld, das Banken über Nacht bei der EZB parken, bleibt unverändert bei 0,0%.

Die EZB räumt inzwischen sogar ein, dass das günstige Zentralbankgeld nicht bei Unternehmen und Konsumenten in den Krisenländern ankommt. Vermutlich ist das bisher auch gar nicht sonderlich gewollt. Schließlich werden die Banken mit dem billigen Geld weiter animiert, es in Staatsanleihen von Krisenländern anzulegen. Das ist ein gutes Geschäft, mit dem die Geschäftsbanken massiv subventioniert werden. Sie bekommen es nun noch billiger geliehen und erhalten dafür weiter hohe Zinsen, wenn sie Italien, Spanien, Portugal oder Irland leihen.

Die Geldschwemme hat dazu geführt, dass die Zinsen für Krisenländer wieder deutlich gesunken sind. Spanien hat die Schwelle von 300 Basispunkten gegenüber zehnjährigen Bundesanleihen wieder unterschritten. Als Risikoaufschlag werden nur noch knapp drei Prozentpunkte verlangt. Obwohl die wirtschaftliche Lage Portugal mehr als finster ist , sind auch dort die Zinsen gefallen. Das ist ein zentrales Ziel. Denn mit allen Mitteln wird daran gearbeitet, dass Irland und Portugal anders als Griechenland im Laufe des Jahres wieder an die Kapitalmärkte zurückkehren. Damit soll so getan werden, als seien die Rettungsbemühungen erfolgreich, obwohl deren Verschuldung auf immer gefährlichere Höhen steigt. Doch um sie nicht zu stark mit dem Schuldendienst zu belasten, wurde beiden Ländern - anders als ursprünglich vereinbart - die Rückzahlung der Notkredite auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben.

So auch nicht verwunderlich, dass Draghi eine Art Strafgebühr bisher nur in Aussicht stellte, mit der die Banken zu einer stärkeren Kreditvergabe an Unternehmer und Konsumenten animiert werden könnten. Die EZB könnte einen negativen Zins verlangen, wenn Geschäftsbanken ihr Geld bei der EZB parken. "Wir sind technisch darauf vorbereitet", sagte der Notenbankchef. Er sprach aber auch "einige ungewollte Nebenwirkungen" an, die man noch meistern müsse, wenn man eine solche Strafgebühr tatsächlich einführen wolle. Damit könnten Erfahrungen in Dänemark gemeint sein. Denn als Reaktion auf die Zusatzkosten haben die Banken die Kreditzinsen sogar erhöht.

US-Notenbank als Vorbild

Letztlich schwenkt Draghi mit seinem Kurs weiter auf den Kurs der US-Notenbank FED ein. Er hofft aber vor allem darauf, dass ein Aufschwung in den USA positive Effekte in Europa zeitigt. Der FED-Chef Ben Bernanke hält ein Wachstum von 2,5% im ersten Quartal und einer Arbeitslosenquote von 7,6% (wovon man in beiden Fällen in Europa nicht einmal zu träumen wagt) jedenfalls für keinen Anlass, um den Leitzins zu erhöhen. Der steht seit 2008 auf dem historischen Tiefstand mit einem Zielband zwischen 0 und 0,25% (Die FED legt Grundstein für den Dollar-Crash).

Auch die Notenpresse wird in den USA nicht gedrosselt, wie eigentlich schon längst angekündigt worden war. Weiterhin kauft die FED monatlich Staatsanleihen und Hypothekenpapiere in einem Umfang von 85 Milliarden Dollar auf. Man sei sogar bereit, das Anleihekaufprogramm noch auszuweiten, schreibt die FED in einer Mitteilung am Mittwoch. Sie kritisierte sogar die Sparprogramme der US-Regierung. "Die Haushaltspolitik hemmt das Wirtschaftswachstum, meint die FED. Man kann sich ausmalen, was sie über die harten Sparkursen denkt, über die in Europa sogar große Länder wie Spanien und Italien tief in die Rezession gedrückt werden, während Portugal auf Weg in die Depression ist, in der Griechenland längst steckt.