Luftröhre aus eigenen Stammzellen?

Eine geschickte Pressearbeit macht aus einem Experiment eine medizinische Sensation

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Ein zweijähriges Mädchen - geboren ohne Luftröhre - erhält ein Implantat, das mit ihren eigenen Stammzellen besiedelt wurde; die Ärzte versprechen ihr ein normales Leben. Was wie eine sensationelle Erfolgsmeldung daherkommt, erweist sich bei näherer Betrachtung als ehrgeiziges Experiment. Denn obwohl diese Methode bereits erfolgreich war, ist sie nicht ohne Komplikationen - zwei ungeklärte Todesfälle inklusive.

Das Leben der kleinen Hannah Warren war bislang eine Qual: Sie wurde ohne Luftröhre geboren - und konnte nicht selbständig essen, trinken, atmen. Ein Großteil ihrer Zeit hat sie in einem Krankenhaus in Seoul verbracht (die Mutter ist Koreanerin, der Vater Amerikaner). Ohne Transplantation hatte sie keine Überlebenschance. Der Wechsel an ein Krankenhaus in Chicago sollte die Wende bringen. Ärzte haben ihr dort Stammzellen aus der Hüfte entnommen, diese auf eine Plastikröhre beschichtet und das Konstrukt eine Woche später (am 9. April dieses Jahres) in Hannahs Hals eingepflanzt. Dem Mädchen geht es jetzt besser, und die Ärzte versprechen ihr ein normales Leben.

Soweit die Pressemitteilung des Krankenhauses, und die wurde von den meisten Medien kritiklos übernommen. Doch die Realität ist eine andere.

Erst einmal die kleinere Korrektur: Dem Kind wurde eine Röhre aus Kunstfasern eingepflanzt, auf der sich Blut-Stammzellen aus dem Knochenmark befinden. Diese Stammzellen werden vermutlich bald absterben und - hoffentlich - Platz machen für andere Zellen, die dann ein halbwegs normales Gewebe aufbauen. In den Medien wird dieses künstliche Implantat als aus "Stammzellen gewachsene neue Luftröhre" bezeichnet - eine Sicht, für die es schon sehr viel guten Willen braucht.

Nun zu dem eigentlichen Problem: Ob das Kind jemals ein normales Leben führen wird, steht in den Sternen. Ein Artikel im Magazin Science ließ vor kurzem Kritiker dieser Therapie zu Wort kommen, und die zeichnen ein differenzierteres Bild. Denn es gibt bereits eine etablierte Behandlung: Die Transplantation von Luftröhren aus verstorbenen Spendern. Dass die Implantation von künstlichen Röhren besser ist oder auch nur annähernd das hält, was ihre Entwickler versprechen - dafür gibt es keine Beweise.

Die erste Patientin, die eine vergleichbare Luftröhre erhielt, wurde im Dezember 2008 operiert: Sie lebt noch und es geht ihr wesentlich besser als vor der Operation. Doch ihr Implantat neigt zum Kollabieren, sie muss sich in unregelmäßigen Abständen neuen Eingriffen unterziehen.

Von den folgenden 14 Patienten starben bereits vier. Zwei davon an dem Krebs, der ihre eigentliche Luftröhre zerstört hatte, einer an plötzlichen massiven Blutungen im Brustbereich und bei dem vierten ist die Ursache unklar. Niemand kann ausschließen, dass die letzten beiden Todesfälle etwas mit der künstlichen Luftröhre zu tun haben.

Trotz der Probleme - keiner der Patienten hatte eine große Wahl, ihr Leben war akut in Gefahr. Die Operation stellt einen großen Fortschritt dar: Dem zweijährigen Mädchen geht es besser und jeder wünscht ihr, dass es noch lange so bleibt. Doch vorzeitige Jubelarien helfen keinem - nicht der kleinen Hannah und auch nicht dem Ruf der Stammzell-Medizin.