"Und plötzlich schlugen sie zu!"

Rassistisch motivierte Polizeigewalt wird zunehmend zum Problem in Deutschland. Anklagen gegen Polizisten führen selten zum Erfolg

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Erst kürzlich wieder ermittelte eine Studie der Universität Leipzig, wie erschreckend hoch ausländerfeindliche Einstellungen in der deutschen Bevölkerung sind (Ausländerfeindlichkeit ist bei Deutschen weit verbreitet), das Innenministerium sieht einen besorgniserregenden Anstieg rechtsextremer Gewalttaten, und der NSU-Prozess verdeutlicht das Versagen deutscher Behörden und Geheimdienste in Bezug auf Rechtsradikalismus. Dass rechte bzw. ausländerfeindliche Haltungen aber auch bei der deutschen Polizei verbreitet sind, steht kaum im Fokus, dabei häufen sich die Fälle von Rassismus und offenbar rassistisch motivierter Gewalt durch Polizeibeamte. Zu Verurteilungen kommt es nur selten, in der Regel werden Anklagen schnell fallengelassen, auch Amnesty International sieht hier Handlungsbedarf, und die Anti-Folter-Kommission der UNO rügt Deutschland dafür, dass wichtige Maßnahmen nicht umgesetzt werden.

Frankfurt, Station Bornheim-Mitte, Oktober 2012. Derege Wevelsiep, afrikanische Abstammung, deutscher Pass, ist mit seiner Familie auf dem Heimweg. Wenig später wird er von Polizisten brutal verprügelt, er muss für mehrere Tage ins Krankenhaus und wird sogar dort noch von Beamten bedroht. Wie kam es dazu? Das ist die Frage, die sich viele Opfer derartiger Fälle stellen. Offensichtlich ist, das geht aus der Berichterstattung der Frankfurter Rundschau hervor , dass die Prügelattacke keinerlei Grundlage hatte außer den rassistischen Ansichten der beteiligten Beamten.

Die Refugee Bus Tour will bundesweit auf die Situation von Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam machen. Am 10. März verteilten Aktivisten, großteils Studenten, Flyer an Einwohner eines Asylbewerberheims in Köln-Ehrenfeld, um sie über eine geplante Demonstration am Kölner Hauptbahnhof zu informieren. Eine Journalistin filmte das Geschehen und lud es auf die Videoplattform Vimeo, doch dort sind die Aufnahmen inzwischen nicht mehr verfügbar. Zu sehen ist auf ihnen, wie zahllose Polizisten rabiat gegen die Aktivisten vorgehen, sie mit Pfefferspray und Schlagstöcken attackieren, ohne dass es dafür ersichtliche Gründe gäbe. Als eine Aktivistin offenbar verletzt am Boden liegt, nachdem sie mehrfach geschlagen wurde, baut sich ein Beamter über ihr auf und sagt abschätzig: "Little black man!"

Ein dunkelhäutiger Demonstrant wird von einer Gruppe Polizisten regelrecht überfallen, während sie auf ihn einschlagen versuchen andere, die Kamera abzudrängen, bis aus dem Off jemand ruft: "Merkt ihr denn nicht, dass der gar nicht mehr bei Bewusstsein ist?" Erst jetzt ruft einer der Polizisten, der sich mit seinen Kollegen müht, den leblosen Körper aus dem Sichtfeld der Kamera zu schleifen, nach einem Arzt, doch es klingt reichlich halbherzig.

So kenne er die Kölner Polizisten nicht, wird Bezirksbürgermeister Josef Wirges vom ZEIT-Blog zitiert. Diese Aussage muss verwundern, wenn man die Häufung der Fälle betrachtet, die hier ausschnittsweise widergegeben werden sollen. Eins jedenfalls wird dabei klar: Es handelt sich keineswegs um Einzelfälle. Das dokumentiert ein weiteres, noch verfügbares Video, das ein Spiegel-Mitarbeiter mit seinem Handy filmte. Eine offensichtlich verzweifelte Frau wird, panisch um Hilfe rufend, von mehreren Polizisten aus einem ICE entführt, es geht um eine Pass-Angelegenheit. Ein weiterer Polizist behindert den Journalisten aktiv. Hintergrund: Die Bahn wollte den russischen Pass der jungen Frau nicht akzeptieren, beharrte auf einem deutschen. Sie konnte sich ausweisen, gab sogar ihre Wohnadresse an. Die rabiate Behandlung konnte sie damit nicht verhindern.

Grundloser Gewaltausbruch

Noch ein Fall ereignete sich am 16. März 2013 auf den Kölner Ringen vor einer Disco. Dort wurde ein junger Mann mit ausländischem Aussehen von Polizisten verprügelt und von einem Polizeihund gebissen. "Plötzlich schlugen sie zu", erinnert sich die Studentin Selin Ö., die den Vorfall fassungslos beobachtete. Gemeinsam mit sechs weiteren Zeugen der Tat hat sie inzwischen Anzeige erstattet, auch das Opfer, das im Krankenhaus behandelt werden musste, hat einen Anwalt eingeschaltet.

Zeugin Ö. sagt, sie hätte keinen ersichtlichen Grund für den Gewaltausbruch beobachten können, im Gegenteil. Das Opfer habe wohl lediglich einen Streit schlichten, zwischen den Polizisten und Discobesuchern sowie einem Türsteher vermitteln wollen. "Der Mann war weder aggressiv noch offensiv", beschrieb Ö. auf Facebook die Ereignisse, was eine Welle der Solidarität in dem sozialen Netzwerk auslöste. Und weiter:

Plötzlich, ohne dass der Mann jegliche, angreifende Bewegung gemacht hat, schlug der Beamte auf ihn ein, prügelte ihn zu Boden, jetzt kommen die anderen Beamten mit ins Spiel. Während der sich nicht wehrende Mann sich fesseln ließ, wurde er auf dem Boden von anderen Beamten weiter getreten. Seine Hose war gerissen, er lag immer noch sich nicht wehrend am Boden, aber da das scheinbar nicht ausreichend war, ging der Hund auf ihn los und biss ihm ins Handgelenk. Wir und alle anderen schockierten Partygänger auf der Straße haben spätestens jetzt die Polizei angeschrien, sie sollen endlich aufhören

Doch sie hörten nicht auf. "Blutend" und "mit zerfetzter Kleidung" sei das Opfer dann im Krankenwagen versorgt worden. Ö. schrieb einen Brief an den Kölner Polizeipräsidenten Albers mit der Bitte um Stellungnahme. Man könne zum laufenden Verfahren nichts sagen, kam als Antwort zurück. Auch der Anwalt des Opfers, Martin Bücher von der Kölner Kanzlei Dr. Birkenstock, gibt sich zum jetzigen Zeitpunkt zurückhaltend. "Es kann Monate dauern, bis alle Zeugen verhört wurden und wir Akteneinsicht erhalten", sagt er.

Bei Selin Ö. meldeten sich zwischenzeitlich weitere Opfer vergleichbarer Vorfälle, darunter auch die dunkelhäutige Studentin Fatou A. (Name geändert). Sie war im Herbst 2012 in Köln mit dem Fahrrad unterwegs, als sie von einem Polizeihund offenbar grundlos angegriffen wurde. Sie erstattete Anzeige gegen den Polizisten. Im April 2013 wurde die Anklage von der Staatsanwaltschaft Köln abgewiesen, obwohl das Opfer nicht einmal angehört worden war. Ein weiterer Polizist machte eine entlastende Aussage zugunsten seines Kollegen, damit war der Fall für die Behörden erledigt.

Damit allerdings fand sich A.s Anwalt Abdou Gabbar nicht hab und erhob einen Widerspruch. Erst dieser Schritt führte zu einer Vernehmung des Opfers, die laut Gabbar nicht erfreulich ablief. "Fragen wurden suggestiv gestellt, meine Mandantin wurde unter Druck gesetzt. Man versuchte, sie unglaubwürdig zu machen. Schlussendlich führte diese Vernehmung aber dazu, dass weitere Ermittlungen aufgenommen wurden und ich Akteneinsicht erhielt", berichtet er. Inzwischen habe er sich mit anderen Anwälten beraten, die mit ähnlichen Fällen befasst sind, darunter auch Martin Bücher. Der Polizist, dessen Hund Fatou A. anfiel und der, dessen Hund auf Büchers wehrlosen Mandanten gehetzt wurde, waren offenbar schon mehrfach auffällig, immer im Zusammenhang mit ihren Hunden. "Ich hatte zuvor einen dunkelhäutigen Mandanten, der einen Konflikt mit seiner Lebensgefährtin hatte, die die Polizei rief", berichtet Gabbar:

Mein Mandant flüchtete, und obwohl seine Lebensgefährtin versuchte, die Situation zu entschärfen, machte die Polizei regelrecht Jagd auf ihn, bis er in einer Sackgasse festsaß. Obwohl er keine Fluchtmöglichkeit hatte und einfach hätte festgenommen werden können, wurden die Hunde losgelassen. Seine zahlreichen Verletzungen sind dokumentiert.