Das drohende Ende der europäischen Kleinbauern

Neue Studie: Landgrabbing gibt es auch in Europa. Außerdem nimmt die Landkonzentration besorgniserregende Ausmaße an. Deutschland und Bulgarien als Beispiel

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Bei Landgrabbing denkt man eigentlich an Afrika, vielleicht auch an Südamerika. Eine Studie zeigt jedoch, dass es auch in Europa zu zweifelhaften Landaneignungen kommt. Die Autoren haben die Besitzverhältnisse europäischen Bodens untersucht. Dabei stellen sie eine zunehmende Konzentration fest – auch in Deutschland –, die u.a. auf eine falsche EU-Agrarpolitik sowie die Privatisierung ehemaligen Staatsbesitzes zurückgeht. Zudem erwerben internationale Investoren zunehmend europäisches Land.

Bei den Römern zeugte es von guter Erziehung, wenn jemand, der sich in der Hauptstadt verdient gemacht hatte, seinen Alterssitz aufs Land verlegte, um sich der Landwirtschaft und Muße zu widmen. Im heutigen Europa muss man sich dafür schon sehr verdient gemacht haben. Der Zugang zur Landwirtschaft, so eine Studie des Transnational Institute, war im Europa der Nachkriegszeit noch nie so schwer wie heute. Die 25 Autoren des Berichts "Land concentration, land grabbing and people's struggle in Europe" stellen fest, dass wenige große Unternehmen immer mehr Land kontrollieren. Der Prozess ist bereits weit fortgeschritten. Von den 12 Millionen europäischen Bauernhöfen sind nur drei Prozent größere als 100 Hektar, beanspruchen aber 50 Prozent des Bodens.

Während die Konzentration von Land ein statistischer Fakt ist, ist der Begriff "Land-Grab" schwerer zu fassen. Er bezeichnet eher eine moralische als eine rechtliche Kategorie, die vor allem dann verwendet wird, wenn ausländische Großinvestoren massenweise Land in einem Drittweltland kaufen, einen Zaun darum ziehen und dahinter Getreide für die eigene Bevölkerung anbauen. Oft verbindet man Landgrabbing mit Korruption in der Aneignung und Gewalt in der Durchsetzung, etwa durch Zwangsumsiedlungen. All dies haben die Autoren der Studie in Europa entdeckt.

In Osteuropa sind Landkonzentration und Landgrabbing besonders extrem, dort herrschen zum Teil ähnliche Besitzverhältnisse wie in Brasilien oder Kolumbien. In Osteuropa kommt es auch dazu, dass Investoren aus Asien oder dem mittleren Osten ausgedehnte Agrarflächen erwerben. Die Studie untersucht zehn europäische Länder. Zwei Beispiele, Deutschland und Bulgarien, von Westen nach Osten, werden im Folgenden vorgestellt:

Bauer sucht Land

Deutschland also. Wie bei fast allem unterliegen die Besitzverhältnisse des Bodens einer schleichenden Umverteilung von unten nach oben. Teilweise spitzt sich die Konzentration von Land auf wenige große Betriebe so sehr zu, dass die Kleinbauern um ihre Existenz fürchten müssen. Die Tendenz, dass große Höfe größer und kleine kleiner werden, besteht schon länger, hat sich aber im vergangenen Jahrzehnt nochmals deutlich beschleunigt. 1996/67 gab es 1.246.000 Bauernhöfe, 2010 nur noch 299.100. Zwischen 2007 und 2012 haben 34.100 weitere Höfe geschlossen.

Die Kleinstbauern – weniger als 2 Hektar – sind am Verschwinden. Sie hatten 1991 noch 123.670 Hektar Land, 2007 gerade mal 20.110. Das Problem ist nicht, dass es der Landwirtschaft an sich schlecht geht. Das verhindern die EU-Subventionen. Eines der Probleme ist aber, dass die Subventionen die Landkonzentration verstärken. Sie werden pauschal je Hektar ausbezahlt, man muss nicht viel rechnen, um zu sehen, dass diejenigen klar im Vorteil sind, die große Flächen mit wenig Arbeitskraft bewirtschaften. Große Höfe mit mehr als 100 Hektar besitzen mittlerweile 55,9 Prozent des verfügbaren Landes, machen zahlenmäßig aber nur 11 Prozent aller Höfe aus.

Merkwürdig ist, dass sich die Landkonzentration seit 1991 beschleunigt. Eigentlich wäre das Gegenteil zu erwarten gewesen, nachdem die großen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) nach der Wende zerschlagen worden sind. Doch gerade in Ostdeutschland spitzt sich die Situation am stärksten zu.

Kleinbauern kämpfen dort mit explodierenden Preisen für Nutzland. Was Münchner Mieter erleben, ist nichts dagegen. Seit 2003 seien die Preise teilweise um 500 Prozent gestiegen, klagt die Kampagne Bauer sucht Land, zu der sich Jungbauern sowie landwirtschaftliche Studenten und Auszubildende verbunden haben.

Die Schuld an der starken Konzentration sehen die Jungbauern in der Bodenverwertungs- und verwaltungs GmbH (BVVG), die die ehemaligen LPGs abwickelte. Die BVVG verpachtete und verkaufte bevorzugt an Nachfolgebetriebe von ähnlicher Größe, um "eine geordnete und rechtmäßige Flächenbewirtschaftung" zu gewährleisten. Bis 2010 waren 75% der Pachtflächen der BVVG an Betriebe über 500 Hektar vergeben worden, dagegen nur 2 % an Kleinbauern mit einer Fläche unter 100 Hektar.

Die Studie des Transnational Institute führt die Explosion der Bodenpreise seit 2003 auf einen Wandel der Landnutzung zurück. So belohnt das Erneuerbare-Energien-Gesetz die großflächige Produktion von Biogas, was landwirtschaftlichen Boden auch für Investoren attraktiv macht, die eigentlich nichts oder wenig mit Landwirtschaft zu tun haben. Neben einigen westdeutschen Fonds und Firmen haben auch internationale Konzerne wie der Möbelhersteller Steinhoff Holding ostdeutsches Land in ihr Portfolio aufgenommen, um dort Biogas zu produzieren.

Für die Jungbauern der Kampagne "Bauer sucht Land" kommt diese Entwicklung einer Katastrophe gleich: "Unsere Agrarkultur geht den Bach runter!" Ländliche Regionen bluten aus, Arbeitsplätze gehen verloren, die Arten- und Sortenvielfalt sinkt, es kommt zu Massentierhaltung, Agrarwüsten entstehen – so die Prognose des landwirtschaftlichen Nachwuchs.

Arendatori und internationale Investoren

In Bulgarien sieht die Sache etwas anders aus. Von allen EU-Staaten ist das Land, vielleicht zusammen mit Rumänien, am stärksten von internationalen Landgrabs betroffen. Viele Investoren, etwa aus China, Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und anderen Ländern, besitzen ausgedehnte Felder in Bulgarien.

Die starke Konzentration der Landfläche geht auch hier darauf zurück, dass die Abwicklung der landwirtschaftlichen Staatsunternehmen nach der Wende schieflief. Bulgarien versuchte zunächst, die Besitzverhältnisse von 1946 wiederherzustellen. Allerdings waren die Höfe damals im Durchschnitt 6,7 Hektar winzig, weshalb die Restitution ein bürokratisches Chaos auslöste, sich stockend dahinschleppte und extrem fragmentierte Besitzverhältnisse schuf.

Schneller, beinah überstürzt, hat die Regierung dagegen die Staatsbetriebe liquidiert. Sie verkaufte vor allem Maschinen, Gebäude und Viehbestände. Den bulgarischen Bauern mangelte es in der Folge nicht an Land, sondern an Kapital und Ausrüstung. Sie waren wenig konkurrenzfähig, als Bulgarien 1997 der WTO und 2007 der EU beitrat, woraufhin die subventionierten Großbauern aus der EU den Markt fluteten.

Um die Restitution einerseits zu beschleunigen und zugleich die Arrondierung – also Abrundung bzw. Vervollständigung – der noch fragmentierten Landflächen zu unterstützen, führte die Regierung "Landswaps", Landtäusche, ein. Jeder konnte ein Grundstück gegen eines aus dem Staatsbesitz tauschen, sofern er dadurch sein Gebiet arrondierte. Was natürlich zum Missbrauch einlud.

Die "Arendatori", bulgarische Großgrundbesitzer, kauften günstige Grundstücke und tauschten diese gegen gleich große, aber deutlich wertvollere öffentliche Grundstücke. Anders als die Kleinbauern profitierten die Arendatori von EU-Subventionen. Es gibt auch Berichte, dass Subventionen kassiert werden, während Felder brach liegen.

Weil die Kleinbauern bereitwillig ihre Hufen verkauften, konzentrierte sich der Landbesitz rasch. Bereits 2010 gehörten 82,4 Prozent des Bodens zu Besitztümern von mehr als 100 Hektar Größe. Als die bulgarischen Arendatori das Land weitgehend arrondiert hatten, kam die Stunde ausländischer Investoren, für die zuvor der Markt zu unübersichtlich und fragmentiert gewesen war. Seit der globalen Welternährungskrise 2007 steigt das internationale Interesse an bulgarischem Land. Es gibt Investitionen aus China, Kuwait, Katar, Saudi-Araben, den arabischen Emiraten und Israel, aber auch globale Fonds, etwa die Allianz-Gruppe, haben ausgedehnte Ländereien gekauft oder gepachtet.

Vor allem die Nutzung des Landes schürt immer wieder Konflikte. Die in Bulgarien sehr starke Umweltbewegung stoppte mehrfach die Teilprivatisierung von Nationalparks, wo Touristik-Ressorts entstehen sollten. Ein typisches Beispiel ist Irikli an der Schwarzmeerküste, wo ein beliebter Badestrand und ein kostenloser Campingplatz liegen. Ebenso erfolgreich haben Aktivisten Versuche verhindert, auf den privatisierten Gebieten Gold abzubauen oder Gas zu fracken. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landete sogar ein Fall, in dem Menschen umgesiedelt werden sollten, um Stadtgebiete zu gentrifizieren.

Durch die Arendatori kommt es auch zur gewaltsamen und illegalen Aneignung von Land. Ausländische Investoren, etwa aus China, genießen einen minimal besseren Ruf – immerhin bezahlen sie die Pacht zuverlässig. Einen Nutzen von den Großgrundbesitzern, ob inländischen oder ausländischen, haben die wenigsten Bulgaren. Gerade die landwirtschaftlich geprägten armen Gebiete leiden darunter, dass die großen Felder maschinell bewirtschaftet werden und die Landkonzentration die Arbeitslosigkeit steigert.