Geschichten aus Kuba

Institutsdirektorin Cristina Conde de Beroldingen, Yoani Sánchez und taz-Redakteur Bernd Pickert. Bild: H. Neuber

Die kubanische Bloggerin und Aktivistin Yoani Sánchez: Authentische Stimme aus Kuba oder eine gewiefte Medienaktivistin?

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Yoani Sánchez hat sich viel vorgenommen. In achtzig Tagen wolle die kubanische Bloggerin und Politaktivistin um die Welt reisen, sagte ihr Ehemann Reinaldo Escobar, selbst Aktivist gegen die sozialistische Regierung des Karibikstaates. Andernorts heißt es, die Regierungskritikerin werde bei ihrer Welttournee, die am 17. Februar begann und Ende Mai enden soll, 80 Länder besuchen.

Wirft man einen zweiten Blick auf solche Angaben über die 37-Jährige, entpuppen sie sich rasch als Floskeln. Das ist bezeichnend für die Bloggerin, die in den vergangenen Jahren dank eines internationalen Netzwerks zu einer der bekanntesten Stimmen aus und über Kuba geworden ist. Wie kaum einem anderen Meinungsmacher gelingt es ihr, Medienrealitäten zu schaffen. Dass diese oft nichts mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun haben, ist genauso wahr wie der Umstand, dass ihre Strategie die kubanische Führung und ihre Sympathisanten lange überfordert hat.

Generación Y heißt der Blog von Yoani Sánchez, der inzwischen in mehr als 16 Sprachen übersetzt wird. In mehr Sprachen also als die Internetseiten des US-Präsidenten Barack Obama, wie Kritiker der Politaktivistin mitunter anmerken. Tatsächlich ist es Sánchez in den vergangenen Jahren gelungen, enge internationale Kontakte aufzubauen, die erheblich zu ihrem Renommee beigetragen haben.

Sánchez wird als authentische Stimme aus Kuba gewürdigt. Als Aktivistin, die schreibt, was die offiziellen Medien verschweigen. Sie legt großen Wert auf dieses Bild. Immer wieder betont sie, dass sie im Wohnviertel "Plaza de la Revolución" von Havanna wohnt und keine Privilegien genießt.

Die andere Seite der Realität ist, dass Sánchez zwischen 2002 und 2004 in der Schweiz lebte und nach ihrer Rückkehr nach Kuba mit politischer und logistischer Unterstützung aus Europa erfolgreiche Medienprojekte startete: zunächst das Online-Portal Consenso und später, ab 2007, ihren Blog. Ist sie also eine authentische Stimme aus Kuba oder eine gewiefte Medienaktivistin?

Das Medienphänomen Sánchez

Auf jeden Fall ist sie rhetorisch geschickt, wie der jüngste Auftritt in der Berliner Niederlassung des spanischen Kulturkollegs Instituto Cervantes zeigte. Yoani Sánchez behauptete sich als gekonnte Rednerin, die mit ihren Kritikern beinahe kokettiert.

Während mancher Kontrahent im Saal im Laufe der Debatte die Fasson verlor, blieb die 37-Jährige ruhig und umschiffte kritische Fragen, indem sie das Thema umkehrte. Ob sie sich gegen den Terror des kubanischen Exils ausspreche? Sie sprach über Gewalt gegen Systemgegner in Kuba. Ob sie die Armenviertel in Lateinamerika kenne? Es gebe auch in Kuba Armut. Warum sie sich mit Rechtsextremen in den USA und Lateinamerika getroffen habe? Sie sei ja auch mit Linken zusammengekommen. Ihre dokumentierte Aussage, unter der blutigen Diktatur von Fulgencio Batista sei Kuba freier gewesen als heute, leugnete sie. Auf die Schnelle kann es niemand nachprüfen.

Sánchez’ politisch rechtsgerichteten Positionen zum Trotz versucht sie, sich als unparteiische Beobachterin zu präsentieren. Sie schreibe "sehr hübsche Kolumnen jenseits aller Ideologie", sekundierte in Berlin der Moderator und Auslandsredakteur der Berliner "tageszeitung", Bernd Pickert, während sie in der Veranstaltungsankündigung als "führende Dissidentin" beworben wurde. Die Inszenierung der Regierungsgegnerin Sánchez als unabhängige, fast progressive Akteurin erinnert an die Strategie der venezolanischen Opposition, der zuletzt nicht die Chuzpe fehlte, zehn Regierungsanhänger zu ermorden, um sich zugleich als fortschrittliche Alternative zu präsentieren.

Sánchez ist für ihre Kritiker kaum greifbar, weil sie keine Fakten präsentiert, sondern Anekdoten und Metaphern. Das sozialistische Kuba sei wie ein baufälliges Haus, das Wind und Wetter trotzt. Eines Tages wolle der Besitzer die klemmende Tür auswechseln - und das ganze Gebäude bricht zusammen. Den anschaulichen Vergleich führt Sánchez drei Mal an: in Genf, gegenüber brasilianischen Journalisten und in Berlin. Dreimal wird er von der Presse aufgegriffen.

Kontroverse ist Teil der Medienstrategie

Der Auftritt in Berlin hat vor allem unter Beweis gestellt, dass eine Debatte zwischen der Aktivistin Yoani Sánchez und Befürwortern Kubas nicht möglich ist. Das liegt nicht nur an den Kuba-Sympathisanten. Eine Demonstration vor der Tür des Instituto Cervantes bezeichnete die Bloggerin als "acto de repudio", als Einschüchterungsversuch. "Sie müssen verstehen, dass diese Aktion nicht für mich oder sie organisiert wurde, sondern für die Kameras in Kuba", sagte sie. Es sei bedauerlich, dass die Teilnehmer wieder abgezogen seien, weil sie sich einer Debatte nicht stellen würden, fügt sie an, obgleich sich beide Lager im Saal die Waage hielten. Es scheint, dass solche Sätze nicht für die Debatte gedacht sind, sondern für die Kameras, die auch die Berliner Veranstaltung live streamten.

Proteste vor dem Instituto Cervantes in Berlin. Bild: H. Neuber

Kritiker lockt Yoani Sánchez damit immer wieder aus der Reserve. Ihre Auftritte in Lateinamerika wurden fast ausnahmslos von Protesten begleitet. Auch in Berlin kommt es zu lautstarken Interventionen. "Sie haben gesagt, dass die Mehrheit der Kubaner Opportunisten sind und sich nicht trauen zu sagen, was sie denken. Aber das entspricht doch nicht der Wahrheit", rief einer der Teilnehmer sichtlich erbost. Der Mann redet sich in Rage, reiht einen Punkt nach dem anderen auf. Es kommt zum Tumult im Saal. Sánchez bleibt ruhig, blickt auf den Mann und die Webcam hinter ihm. Sie lächelt. Die Szene wird einige Tage später in deutschen und lateinamerikanischen Medien wiedergegeben werden. Das Bild ist nicht zu ihrem Nachteil: Eine junge Frau wird von einem Mann attackiert. Er schreit, sie bleibt ruhig. Und alles live übertragen.

Dennoch zeichnet sich ein Wandel um Umgang mit der bekannten Bloggerin ab. In Kuba wurde Sánchez lange ignoriert, inzwischen widmete ihr das Staatsfernsehen Beiträge - wenn auch kritische. In Berlin sagte eine Protestteilnehmerin: "Ich beanstande hier vor allem, dass Yoani Sánchez als unabhängige Journalistin präsentiert wird und nicht als politische Aktivistin." Ein Flugblatt hob die Verbindungen zu ultrarechten Politkern in den USA und Lateinamerika hervor.

Haltung zu Sánchez ist Glaubenssache

Mit Kubas Revolutionsführer Fidel Castro verbindet Yoani Sánchez immerhin eines: Schon in der Anrede wird die Positionierung deutlich. Während Kritiker die 37-Jährige siezen, wird sie von Anhängerin mit "Yoani" angeredet. In diesem Lager ist die 37-jährige so etwas wie die Madonna der Kuba-Gegner.

Schon vor dem Auftritt der Bloggerin in Berlin kam es zu hitzigen Wortgefechten zwischen ihnen und Sánchez-Kritikern. "Ihr habt doch keine Ahnung, was in Kuba los ist", schrie Barbara Dröscher, eine ehemalige Vertreterin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Havanna, den Demonstranten entgegen. Die Stimmung war aufgeheizt, als die kubanische Rednerin wenig später den Saal betrat. Zu einem Austausch und einer fairen Debatte, die Moderator Pickert forderte, kam es nicht. "Pfui", rief ein Fan der Bloggerin aus der ersten Reihe, als kritisch Fragen kamen. Eine andere Fürsprecherin der Bloggerin rief: "Dreht ihm doch das Mikro aus", als ein Kubaner Sánchez Aussagen entgegentrat. Bei der Demonstration hatte sie von innen ein Pappschild gegen die Tür gehalten. "Danke, Gracias, Yoani", war darauf zu lesen.

In den wenigen Gesprächen, die sich zwischen den Lagern am Rande solcher Auftritte entwickeln, wird schnell deutlich, dass die Haltung gegenüber Sánchez’ und ihren Kolumnen eine Glaubensfrage ist. Und Sánchez profitiert von der Polarisierung in gewisser Weise, weil sie ihre mediale Bedeutung befördert. Einen der wenigen Versuche einer direkten kritischen Auseinandersetzung - ein Interview mit dem französischen Essayisten und Kuba-Forscher Salim Lamrani - tat Yoani Sánchez in Berlin recht dünnhäutig ab. In Frankreich habe einmal jemand, an dessen Namen sie sich nicht erinnere, ein Interview mit ihr geführt, das später manipuliert wurde. Der Vorwurf ist nicht neu. Lamrani hat das Gespräch deswegen im Netz dokumentiert. Sánchez’ umstrittene Aussage zur Batista-Diktatur inklusive.

Medien mangelt es an Distanz

In der Berichterstattung sind solche Beispiele rar gesät. Die Tour der kubanischen Bloggerin wird von tendenziell konservativen Medien eng verfolgt. Die rechtsgerichtete chilenische Tageszeitung La Tercera berichtete von dem Berlin-Aufenthalt gleich auf mehreren Seiten, im Netz finden sich Dutzende Homestories über Sánchez. Kaum ein Beitrag wahrt die gebotene distanzierte Berichterstattung über die Aktivistin.

Spiegel Online widmete der Berliner Veranstaltung einen Autorenbeitrag, in dem Sánchez’ Vorwürfe gegen die Gegendemonstranten übernommen werden. "Nicht wenige glauben, dass solche Aktionen vom offiziellen Kuba gesteuert werden", heißt es in dem Text über eine Handvoll lokaler Kuba-Fans. "Kommunisten gegen Yoani Sánchez", ist das Video eines spanischsprachigen Users auf YouTube übertitelt. Der Auslandsender Deutsche Welle, der Sánchez einen Online-Preis verliehen hat, veröffentlichte mehrere Beiträge. Die Polizei habe sie mehrmals verschleppt und geschlagen, heißt es darin: "Das gehört zum Alltag der Menschen auf Kuba, die sich nicht den Mund verbieten lassen."

Wahr ist aber auch, dass das weitgehende Versagen der internationalen Medien im journalistischen Umgang mit der Bloggerin Yoani Sánchez ein Resultat des Unvermögens kubanischer Medien und Funktionäre ist. Über Jahre hinweg wurde das politische Medienprojekt der 37-Jährigen offenbar in dem Glauben ignoriert, dass man über die geschlossene mediale Sphäre Kubas auch die Öffentlichkeit gegen die Inhalte abschirmen kann. Angesichts der wachsenden Transnationalität der kubanischen Gesellschaft war das natürlich ein Irrglaube. In den letzten zwei Jahren dann änderte sich die Strategie. Staatliche Medien und regierungsnahe Blogs setzen sich zunehmend mit Sánchez und anderen international vernetzten Aktivisten auseinander. Was die Bloggerin als Erfolg verbuchen könnte, scheint ihr aber mehr zu schaden. Das Paradoxon der Geschichte ist, dass die Medienfigur Sánchez davon lebt, in Kuba ignoriert zu werden.

Kein Teil der innerkubanischen Debatte

Die von Sánchez problematisierten Zugänge zu den Medien und der Stellenwert politischer gegenüber sozialer Menschenrechte aber wird zunehmend auch in Kuba diskutiert.

Eine der in diesem Zusammenhang auch international beachteten Kontroversen war der als "Kleiner Krieg der E-Mails" bekannte Streit um die repressive Kulturpolitik Kubas Anfang der siebziger Jahre. 2007 hatten dabei hunderte Künstler, Intellektuelle und Journalisten gegen den Auftritt damaliger Kulturfunktionäre protestiert. Die Entrüstung über eine vermeintliche Rehabilitierung dieser Funktionäre war derart groß, dass der damalige Kultusminister Abel Prieto provisorische Versammlungen anberaumen ließ.

Ähnliche Charakteristika weist eine derzeit laufende Debatte um Rassismus im sozialistischen Kuba auf. Diese Auseinandersetzung dreht sich maßgeblich um einen Kurzessay des Schriftstellers und schwarzen Bürgerrechtsaktivisten Roberto Zurbano in der New York Times. Und schließlich wurde dem durchaus regierungskritischen Schriftsteller Leonardo Padura Kubas Nationaler Literaturpreis zugesprochen.

All das passt freilich nicht zu dem Bild, das Yoani Sánchez von Kuba zeichnet. Zudem ist sie nicht Teil der innerkubanischen Debatte. Und dies nicht etwa, weil der Staat diese Debatte unterdrücken würde, sondern weil ihr Blog Generación Y in erster Linie das internationale Medieninteresse bedient. In gewisser Weise spiegelt sich in Yoani Sánchez eine verhängnisvolle Entwicklung, die zu Beginn der kubanischen Notwirtschaft der neunziger Jahre als Krisenliteratur Einzug in die Belletristik nahm. Vertreter wie Zoe Valdéz brachten damals Schilderungen eines immer grotesker anmutenden Alltags auf den Literaturmarkt. Während diese Werke in Kuba als "literatura callejera", als Straßenliteratur, schnell verpönt waren, blieb die viel spannendere experimentelle junge Literatur mit ihrer Hinwendung zur neuen kubanischen Subalternität international unbeachtet.

Ähnliches wiederholt sich nun in der politischen Blogsphäre, die gegenüber der Literatur zudem stärker unter der politischen Vereinnahmung leidet. Selbst bei dem Exilmagazin Cuba Entcuentro problematisierte unlängst ein Autor Sánchez’ Kontakte zum rechten kubanischen Exil in den USA. Ihr politischer Diskurs habe sich in dem Maße radikalisiert wie sie sich in eine finanzielle Abhängigkeit zu US-Akteuren begeben habe, konstatiert Domingo Amuchástegui Álvarez. Diese Erkenntnis hat sich noch nicht überall durchgesetzt. In Deutschland etwa werden die Kolumnen der Bloggerin in der linksliberalen "tageszeitung" abgedruckt. Unverändert und nicht überprüft, wie Redakteur Pickert bestätigte.