Es knirscht im Gebälk des griechischen Regierungsgebildes

Präsidentengarde vor dem Parlament. Bild: W. Aswestopoulos

Helfen Gesetze gegen den Extremismus?

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Während die aus drei Parteien bestehende Regierungskoalition in Athen bislang sämtliche von der Troika vorgeschriebenen Sparmaßnahmen und Strukturreformen durch das Parlament peitschen konnte, droht nun der Eklat wegen des strittigen Antirassismusgesetzes. Mit Ursachen von Problemen oder gar einer Lösung dieser beschäftigt sich niemand.

Bis vor wenigen Tagen erklärte die griechische Regierung jedem interessierten Investor, dass es mit der Wirtschaft des Landes aufwärts gehen würde. Dass dem nicht so ist, zeigen neueste Daten der OSZE, aber auch der Griechischen Staatsbank. Kurz, sowohl die Staatsbank als auch die OSZE sehen voraus, dass der griechische Patient allen Sparprogrammen und Reformen zum Trotz 2014 ins siebente Jahr der Rezession schlittern wird. Die Arbeitslosigkeit wird, glaubt man beiden Prophezeiungen, weiter steigen. Interessant für europäische Steuerzahler ist ein Satz des Berichts:

Wenn das Wachstum schwächer als die Vorhersagen ausfällt, dann müssen die automatischen Stabilisierungsmechanismen aktiviert werden. Das bedeutet eventuell eine weitere Finanzierung aus dem Programm der EU und des IWF.

Die Wirtschaftsexperten, deren Vorhersagen bisher immer eher zu optimistisch waren, sagen klipp und klar, dass weiter gezahlt werden muss. Die Staatsverschuldungsquote wird unter diesen Vorraussetzungen weiter steigen, da bei sinkendem BIP der Quotient von Wirtschaftsleistung zu Schuldenstand immer größer wird.

Finanzminister Yannis Stournaras möchte von all dem nichts hören. Er besteht darauf, dass es 2014 ein positives Wachstum geben wird. Zusätzlich sagt er für 2013 mehr als 17 Millionen Touristen voraus. Das wäre eine Rekordzahl, wenn man die 11,5 Millionen Touristen aus dem vergangenen Jahr im Hinterkopf hat.

Überprüfen ließe sich eine solche Vorhersage selbst für Minister sehr einfach. Ein Anruf bei Hotels auf den griechischen Inseln wäre ein guter Indikator. Dass die Hoteliers meist klagen, ist typisch griechisch. Dass sie aber offen zugeben, "im letzten Jahr hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits Buchungen für August, in diesem nicht einmal für den Juli", wie ein auf Wunsch anonym bleibender Hotelier von einer populären Kykladeninsel meldete, sieht nicht nach dem prognostizierten Wachstum um knapp dreißig Prozent aus.

Wohin geht die Reise?

Ohne den Tourismus, der mit knapp einem Zehntel Anteil am BIP zur Hauptindustrie des Landes wurde, kann es keinen Aufschwung geben. Vierzig Prozent weniger Verkehr auf den griechischen Autobahnen lassen aber nicht vermuten, dass den Griechen angesichts der immer weiter steigenden Maut- und Spritpreise nach inländischem Tourismus zu Mute ist.

Bleiben als Hoffnungsträger nur die Touristen aus dem Ausland. Um die sorgt sich offenbar Bürgerschutzminister Nikos Dendias. Zumindest begründet er damit seinen Gesetzesvorstoß, das Demonstrationsrecht massiv einzuschränken. Dendias übersieht bei seiner Sorge um den Tourismus, dass dunkelhäutige Touristen Griechenland weniger wegen der Demonstrationen als vielmehr wegen rassistischer Übergriffe auch der ihm untergeordneten Polizeibehörden meiden.

Die Polizei des Landes reagiert immer öfter ebenso fremdenfeindlich wie eine Minderheit der Bevölkerung. Aufgestachelt werden sie mit den immer radikaleren rassistischen Parolen, die das griechische Politikgeschehen bestimmen. Studien, die belegen, dass verarmte Menschen eher zu Rassismus neigen, gibt es bereits zu Genüge. Ebenso lässt sich ein Zusammenhang zwischen Bildungsstand und Rassismus wissenschaftlich begründen. Trotzdem schloss die griechische Regierung aus Kostengründen im vergangenen Jahr alle Schulbibliotheken. In diesem Jahr sind die städtischen Büchereien an der Reihe.

Für nahezu die gesamte einheimische Politik gilt derweil, dass die Schuld am Dilemma des Landes sehr oft auf das Ausland zurückgeführt wird. Ebenso wie zu Zeiten der Weimarer Republik, verrohen die Sitten nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch im Parlament selbst.

Mit der Waffe ins Parlament

51 Parlamentarier Griechenlands, darunter 15 Abgeordnete der Chryssi Avgi, haben einen Waffenschein. Sie lassen es sich nicht nehmen, ihre Waffen auch zu den Parlamentssitzungen mit zu nehmen. Zumindest sickerte durch, dass ein Abgeordneter der Chryssi Avgi gegenüber einem Polizisten des Parlaments bemerkte, "besser ich erschieße jemanden, als dass ich gekillt werde". Dem Polizisten war die Waffe des ins Parlamentsgebäude eilenden Mandatsträgers aufgefallen. Diese Praxis verunsichert zahlreiche der übrigen Abgeordneten. Per Gesetz dürfen die Polizisten Griechenlands jedoch keinen Parlamentarier durchsuchen. Schlimmer noch, wenn ein Polizist diesen "Frevel" begeht, dann droht ihm zumindest die Strafversetzung.

Die Waffen werden von den Parlamentariern vollkommen legal geführt. Wer in Griechenland eine Schusswaffe mitführen möchte, muss zwar einige Vorraussetzungen erfüllen. Wie üblich jedoch wird nicht alles dabei sehr genau genommen (Ist die EU eine "Hochsicherheitszone"?). So kursieren in der griechischen Presse bereits Berichte darüber, dass die Waffenscheine der Ultrarechten eventuell auf Grundlage von Gefälligkeitsgutachten eines Psychiaters, der "rein zufällig" Kandidat der Partei war, erteilt wurden.

Tatsächlich erscheint es für einen Parlamentarier nicht angemessen und nicht unbedingt für einen dem Waffenbesitz angemessenen Grad der Besonnenheit zu zeugen, wenn er, wie Ilias Panagiotaros, ausländische Trucker anhält, kontrolliert, bedroht, schikaniert und mit Farbe besprüht. So erging es einem LKW-Fahrer aus der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, als er von Panagiotaros mit einem "MK" Nationalitätskennzeichen aufgegriffen wurde. Mit dem nördlichen Nachbarstaat herrscht seit Jahren ein Streit um den verfassungsmäßigen Namen des Staats. Offiziell muss er als EJR Mazedonien betitelt werden. Die dortige Regierung besteht auf die einfache Erwähnung des Namens "Mazedonien", verbindet damit jedoch Gelüste auf die Einverleibung der gleichnamigen griechischen Provinz Makedonien. Selbst ein ultrafanatischer Nationalist müsste als Parlamentarier aber erkennen und differenzieren können, dass der LKW-Fahrer als Bürger des umstrittenen Staats keinen oder zumindest keinen wesentlichen Einfluss auf die Straßenverkehrsvorschriften des eigenen Landes hat.

Bereits hinlänglich bekannt ist, dass Abgeordnete der Chryssi Avgi immer dann, wenn sie auf Widerworte stoßen, gern zur "aufgrund der Erregung verständlichen" handgreiflichen Argumentationsmethode greifen (Griechenland: Mit Tempo in Richtung Weimarer Verhältnisse). Die Partei kontrolliert als selbsternannte Polizeimacht Marktstände. Trifft sie dabei auf illegale Immigranten, dann nehmen die Truppmitglieder die Funktion eines Staatsanwalts und Richters wahr und zertrümmern das Hab und Gut des Unglücklichen (Griechenland: Vorsicht Polizei!). Auf ähnliche Art und Weise werden öffentliche Krankenhäuser inspiziert. Wehe dem, der dunkelhäutig ist und nicht sofort beweisen kann, dass er ein Tourist ist. Diese, seit mehr als zwei Jahren .anhaltenden Zustände verschärfen sich immer mehr. Bislang blieb die überaus langsam arbeitende griechische Justiz machtlos gegen die Gewaltwelle.

Was sagen die EU-Partner?

Diese Verhältnisse konnten auf Dauer nicht vor der EU verborgen bleiben. EU-Kommissarin Cecilia Malmström verließ das Land Mitte Mai im festen Glauben, dass Griechenland endlich einen gesetzlichen Rahmen zur Eindämmung des Rassismus schaffen würde. Justizminister Antonis Roubakiotis von der DIMAR hatte einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, welcher eine griechische Verpflichtung gegenüber der EU erfüllen sollte. Spätestens zum 28.11.2010 hätte das Land ein Antidiskriminierungs- und Antirassismusgesetz verabschieden müssen.

Auch die geistige Elite des Landes, wie der greise Dichter Nanos Valaoritis versuchen mit offenen Briefen Premierminister Antonis Samaras zum beherzten Einschreiten gegen die Ultrarechten aufzurufen. Dieser jedoch sieht sich in einer Zwickmühle. Würde er dem Gesetz seinen Segen geben, dann würde die fast automatisch sämtliche Aktivitäten der Chryssi Avgi in die Illegalität und als Folge, die Partei selbst zum Verbot führen.

Antirassismus-Demo am 1. Mai. Bild: W. Aswestopoulos

Die ausmanövrierten Koalitionäre

Samaras fürchtet, dass er damit die Umfragen gemäß knapp eine Million Anhänger der Partei vor den Kopf stoßen würde. Teile seiner Partei, betrachten die Ultras als natürliche Verwandte.

In einer ähnlichen, wenn auch schlimmeren Zwickmühle steckt PASOK Chef Evangelos Venizelos. Sein Noch-Parteifreund und Amtsvorgänger im Finanzministerium, Giorgos Papakonstantiou, hat sich, so befindet der parlamentarische Untersuchungsausschuss, der verbrecherischen Untreue zu Lasten des griechischen Staats schuldig gemacht. Ihm wurde nachgewiesen, dass er seine Verwandten von der so genannten Lagarde-Liste mit potentiellen Steuersündern verschwinden ließ (Der Sündenbock freut sich). Die überprüften Kusinen des Mannes, der gemeinsam mit Giorgos Papandreou den IWF ins Land holte, haben, so sickerte das Ergebnis einer Steuerprüfung durch, mehr als 151.000 Euro hinterzogen. Damit droht dem ehemaligen Minister wegen im Amt begangener Begünstigung von Steuerhinterziehung im Ernstfall sogar die lebenslange Freiheitsstrafe.

Gleichzeitig glänzt die Aufarbeitung von Papandreous' Amtszeit als Vorgänger von Venizelos im Parteivorsitz mit Finanzskandalen. Die Partei wurde systematisch in die Überschuldung getrieben. Den einstigen Anhängern der PASOK gefällt das gar nicht. In Scharen entziehen sie der einstigen Volkspartei ihre Zustimmung. Gefährlich nah im Bereich von fünf Prozent, somit bei knapp der Hälfte im Vergleich zur Chryssi Avgi, pendelten sich die Umfrageergebnisse für die PASOK ein. Geht die Entwicklung so weiter, dann fliegt die PASOK wegen der Sperrklausel von drei Prozent aus dem Parlament.

Andererseits belastet der offensichtlich fruchtlose Sparkurs die PASOK und die DIMAR ungleich mehr als die Nea Dimokratia. Während Samaras in Umfragen kaum noch Verluste gegenüber den Wahlen vom letzten Jahr hinnehmen muss, strafen die Griechen ihre beiden linken Regierungsparteien umso stärker ab. Die neoliberalen Sparpläne sind sozialdemokratischen Wählern ideologisch schlicht ferner als den konservativen Anhängern der Nea Dimokratia.

Die PASOK hatte sich zudem im vergangenen Jahr geweigert, eigene Parteimitglieder in die Regierung zu entsenden. Ausgerechnet der im Land unbeliebte Finanzminister Yannis Stournaras war eine Wahl von Venizelos. Stournaras entwickelte sich vom ehemaligen Mitarbeiter des PASOK-Premiers Costas Simitis bei der Euroeinführung zum treuen Weggefährten Samaras. Das Verhältnis von Venizelos zu seinem Favoriten ist deshalb überaus angespannt. Undiplomatische Töne bei Koalitionssitzungen sind deswegen eher die Ausnahme als die Regel. Dem wuchtigen Parteichef bleibt als letzte Bastion sozialdemokratischer Identität nur noch der Kampf für Menschenrechte.

Sein Kollege Fotis Kouvelis befindet sich in einer ähnlichen Situation. Bei den Sparbeschlüssen taktiert er zwar regelmäßig sehr lange, stimmt jedoch am Ende immer wieder zu. Kouvelis begründet dieses Vorgehen damit, dass er durch sein Eingreifen die Sparpolitik so sozial wie möglich gestalten würde. Als "rote Linie", also als Mindestziel hat seine Partei die Erhaltung des Euro auf ihre Fahnen geschrieben. Daher kann sie ihre prozentualen Verluste noch in Grenzen halten. Im Fall des Antirassismusgesetzes fehlt dieses Alibi. Schließlich ist der eifrigste Verfechter des Gesetzeswerks Justizminister Antonis Roubakiotis Mitglied der DIMAR: Sperrfeuer erhält Kouvelis ausgerechnet aus eigenen Reihen. Sein Protegé, die bildungspolitische Sprecherin, Maria Repoussi teilt einige von Samaras Einwänden.

Repoussi ist eine fanatische Leugnerin des Genozids der Armenier und Pontosgriechen, sowie der im Zusammenhang mit dem Bevölkerungsaustausch 1922 begangenen Kriegsverbrechen. Sie befürchtet, dass ihre geschichtlichen Thesen, welche Kriegsverbrechen weitgehend ins Reich von Fabeln verbannen, künftig illegal sind. Paradoxerweise befindet sie sich ausgerechnet wegen dieser Thesen im Fadenkreuz der Chryssi Avgi, begründet aber mit diesen ihre Haltung gegen ein Verbot des ultrarechten Gedankenguts.

In letzter Verzweiflung wollten Venizelos und Kouvelis ihr Antirassismusgesetz gemeinsam und gegen den Seniorpartner der Regierung einreichen. Sie hofften auf Stimmabweichler aus Reihen der Nea Dimokratia und auf den SYRIZA.

Hier jedoch nutzte Parteichef Alexis Tsipras die Gunst der Stunde. SYRIZA wird am kommenden Montag einen eigenen Gesetzesvorschlag einreichen. Von der Sitzverteilung her ist dieses Unterfangen vollkommen aussichtslos. Die Intention ist eindeutig. Tsipras möchte einen tieferen Graben zwischen die zerstrittenen Koalitionäre ziehen. Es geht allen Beteiligten nicht mehr um die Sache, sondern nur noch um Taktik.

Wie reagieren die vom Rassismus Bedrohten?

Seitens des World Jewish Congress gab es in enger Abstimmung mit dem griechischen Zentralrat der Juden bereits eine geharnischte Stellungnahme zum unsäglichen Geplänkel der Parteien.

Und auch die so oft gehetzten Immigranten möchten nicht weiter untätig bleiben. Es wurde bekannt, dass sich in Athen eine "Black Panther"-Bewegung formiert hat, welche Patrouillen gegen die Patrouillen der Rechtsradikalen aufstellt. Die Black Panther warnen, dass sie einem Angriff von Rassisten nicht ohne Gegenangriff hinnehmen werden.

Im griechischen TV konnten Griechen auch gleich hören, was in der Nea Dimokratia darüber gedacht wird. Rechtsanwalt Thanos Plevris, der im Sommer 2012 vom populistischen Sammelbündnis LAOS zur Nea Dimokratia überlief, äußerte sich in einer Nachrichtensendung bei EXTRA 3 entsetzt. Er befand, dass die aufgrund von Medienveröffentlichungen bekannten Black Panther sofort ausgewiesen werden müssten. Der Jurist befand, dass die von den betreffenden Personen gemachten Äußerungen tief rassistisch seien und den Frieden im Land bedrohen würden. Einer der Black Panther meldete sich kurz nach Mitternacht in der Nacht zum Donnerstag beim Sender SKAI während der Sendung Eftheos zu Wort. Auf die Frage, was mehr wiegen würde, der Koran oder die Demokratie, meinte der Mann "der Koran."