"Dann ist die Kultur der Verlierer"

Versuchslabor Frankreich: Hat das Three-Strikes-Modell versagt?

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Frankreich steckt in der Rezession, die Jugendarbeitslosigkeit ist mit 27 Prozent bei den Unter-25-Jährigen erschreckend hoch. Die Regierung hat derzeit andere Prioritäten als das unlizenzierte Kopieren von urheberrechtlich geschützten Werken im Internet. Die Aufsichtsbehörde Hadopi und das Three-Strikes-Modell ist längst nicht mehr in den Schlagzeilen. Doch ist der Streit darüber nicht beendet.

Das liegt daran, dass Hollande einen Zick-Zack-Kurs in der Sache fährt. Zwar hat er sich während des Wahlkampfs zunächst dafür ausgesprochen, Hadopi abzuschaffen; er ruderte aber später wieder zurück: Man müsse die Sache neu überdenken. Das Zwischenresultat lautet: Die Aufsichtsbehörde wird durch eine andere ersetzt, das Verfahren modifiziert und es wird keine Netzsperren mehr geben. Zum Präsidenten gewählt beauftragte Hollande den früheren Canal+-Chef Pierre Lescure mit einer Mission, welche die Kulturpolitik an die digitale Ära anpassen soll.

Mittlerweile hat Lescure die ersten Empfehlungen vorgelegt (vgl. Frankreich: Mehr Geld für Kultur durch Steuern auf Smartphones und Tablets). Dazu gehört die Übertragung der Internet-Aufsicht über Verstöße gegen Immaterialrechte an den Conseil supérieur de l'audiovisuel (CSA), der Regulierungsbehörde für Fernsehen und Rundfunk, deren Kompetenzen erweitert werden. Die Behörde selbst will mit der Aufsicht und Verwaltung in Sachen abgestufte Erwiderung (riposte graduée) "lieber nichts zu tun haben" und nicht zur neuen Hadopi werden.

Lescure hält sich einerseits an die große Vorgabe Hollandes: Internetsperren werden abgeschafft. Allerdings soll das Three-Strikes-Modell in noch nicht genau geklärter modifizierter Form beibehalten werden, laut Kritiker könnte die "abgestufte Erwiderung Marke CSA" noch mehr zum Fürchten sein.

Auch Geldbußen sollen nach Plänen Lescures beibehalten werden. War die Rede zunächst von 140 Euro, so gab sich Lescure in seinen Vorschlägen milder, er fordert ein Bußgeld von 60 Euro, ohne Strafverfahren, die Angelegenheit würde als reine Ordnungswidrigkeit begriffen. Bislang waren 1.500 Euro als Höchstrafe möglich, ausgesprochen wurde in dem einzigen Hadopi-Verfahren, das bis vor Gericht ging, 150 Euro (abgesehen von diesen pauschalen Verfahren ungeachtet bleibt freilich weiterhin die rechtliche Möglichkeit im Einzelfall vorbehalten, Verstöße gegen das Urheberrecht vor Gericht zu bringen und eine weitaus höhere Sanktion zu erstreiten).

"Katastrophale Bilanz"

Lescures Vorschläge sollen zunächst diskutiert werden, ein neues, konkretes Gesetz ist noch nicht ausgearbeitet, das Terrain wird gerade im Schatten der medialen Aufmerksamkeit sondiert bzw. ausgefochten. Industrie und Lobbyvereinigungen melden Ansprüche an, Kritiker schärfen die Gegenargumente. So fordert nun die Interessenorganisation der Musikindustrie, der SNEP (Syndicat national de l'édition phonographique), dass die Regierung mindestens das Doppelte an Bußgeld verlange; 1.500 Euro Strafe sei effektiv zuviel, aber die User müssten begreifen, dass es legale Angebote gebe und dass sie "ausreichend attraktiv" seien.

Die SNEP versuche seit jeher mit Strafen zu arbeiten, schon seit 2004 setze sie auf Einschüchterung, aber Hadopi habe vorgeführt, dass solche Wege scheitern, argumentiert dagegen das Netzmagazin Numérama. Wenn die angebotenen legalen Angebote tatsächlich so attraktiv wären, müsste sich das auch im Konsumverhalten spiegeln. Zut es aber nicht, so das Magazin, tatsächlich verzeichne der digitale Markt in Franbkreich, anders als in anderen Ländern, einen Rückgang um 5,2 Prozent im ersten Drittel dieses Jahres. Zwar habe Frankreich in den letzten Jahren in diesem Segment etwas aufgeholt und auch Wachstumsraten erzielt, allerdings im Vergleich zu weltweiten Wachstumsraten von 25 Prozent nur um bescheidene 12 Prozent, aber nun sei auch der Aufholeffekt weg.

Die "katastrophale Bilanz" zeige sich auch in den Verkäufen von Musikproduktionen insgesamt, nachdem sie schon 2012 um 4,4 Prozent zurückgegangen sind, sind sie nach Informationen des Magazins auch Anfang 2013 erneut um 6,5 Prozent gesunken. Für Skeptiker mögen diese Zahlen zu pauschal, zu undifferenziert sein, für Numérama sind sie ein eindeutiger und starker Hinweis darauf, dass Hadopi ein völlig gescheitertes Projekt ist, das man möglichst ganz bleiben lässt.

Denn, so die These des Magazins: Es gehe ja letztlich nicht darum, dass die abgestufte Erwiderung eine Auswirkung auf den Austausch von Werken habe, sondern das Interesse bestehe ja darin, dass dies begleitet wird von höheren Verkaufszahlen von Musik und Filmen - die sollten doch dann höher sein als in Ländern, die kein mit Hadopi vergleichbares Gesetz haben. Das ist nach den vorliegenden Zahlen aber nicht der Fall. So bleibe ein trauriges Fazit:

Wenn die User weniger auf illegale Weise kopieren, aber die Schöpfer der Werke nicht mehr verdienen, dann ist es die Kultur, die zum Verlierer wird.