Die Rückkehr von Echelon oder dem Projekt Total Information Awareness

Schon vor 9/11 war klar, dass die NSA im Verbund mit anderen Geheimdiensten weltweit abhört, daran hat sich nichts geändert, nur die Dimensionen wurden größer

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Was war es für eine Erregung in der Welt vor 11/9, als sich herausstellte, dass der US-Geheimdienst NSA zusammen mit Geheimdiensten anderer Länder wie denen Großbritanniens, Australiens. Kanadas oder Neuseelands, ein globales Überwachungssystem namens Echelon aufgebaut hatten. Abgehört wurden alle über Satellitenverbindungen laufenden Telefongespräche, Fax-Sendungen und Internetverbindungen. Auch in Deutschland hatte die NSA in Bad Aibling eine Lauschstation.

Damals schien sich ein Konflikt zwischen Europa und den angelsächsischen Ländern zu entwickeln, weil das Lauschsystem, das während des Kalten Kriegs aufgebaut wurde, angeblich nicht nur alle zugängliche Kommunikation durchforstete, sondern auch der Wirtschaftsspionage gedient haben soll. Das EU-Parlament richtete einen Echelon-Ausschuss ein, der aber 2001 zu dem Schluss kam, dass es zwar ein solches globales Lauschsystem gab, man aber nicht genau wisse, welchen Zweck es habe, und dass vor allem dessen Kapazitäten weit übertrieben dargestellt worden seien. Empfohlen wurde Selbstschutz durch Verschlüssselung (Telepolis-Special Echelon). Parallel wurde aber in der EU ebenfalls an der Überwachung gearbeitet, damals bekannt geworden unter dem Titel Enfopol (siehe Telepolis-Special Enfopol-Papiere).

Es war sicherlich Zufall, dass kurz nach dem Vorlegen des Abschlussberichts des Echelon-Ausschusses die Terroranschläge vom 11.9. folgten. Danach war Echelon kein Thema mehr, sondern ganz im Gegenteil suchte jede Regierung die Überwachungsmöglichkeiten technisch und gesetzlich möglichst weit auszubauen. In den USA folgte nicht nur in rasanter Geschwindigkeit die Ausrufung des Kriegs gegen den Terror mit dem Blick auf den Irak, sondern auch der Patriot Act - und bald danach das Lauschprojekt mit dem vielsagenden Namen: Total Information Awareness (TIA).

Das ging den Amerikanern dann doch zu weit, weswegen der Kongress 2003 die Gelder strich. Es war aber klar, dass nicht nur die NSA die Lauschkapazitäten weiter ausbaute, sondern auch die Politik daran interessiert und bereit war, dafür auch Gesetze zu umgehen. So stellte sich schon 2005 und bestätigt 2006 heraus, dass die NSA auch US-Bürger und die CIA die Finanztransaktionen ausspäht - alles natürlich im Kampf gegen den Terrorismus (Umfassender Lauschangriff auf US-Bürger, Lauschangriff auf die Finanzen). Schon 2008 wurde vermutet, dass die NSA mit der Nutzung von schwarzen Kassen, über die die Geheidienste reichlich verfügen, eine Fortsetzung des TIA vorangetrieben haben (NSA erweiterte heimlich die Überwachung der US-Bürger. Dazu wird für zwei Milliarden US-Dollar ein Datenzentrum für die NSA gebaut, das im Laufe des Jahres den Betrieb aufnehmen soll. Die Anlage gilt als letztes Teil für ein umfassendes System zum Abhören, Speichern und Analysieren jeder Kommunikation, die über Satellit, Kabel oder die Switches in den USA läuft (George Orwell wird von der Realität überholt). Den US-Konzernen wurde Immunität zugesichert.

Neu ist also keineswegs, wenn gerade aufgekommen ist, dass die NSA nicht nur massiv Telefondaten von US-Amerikanern über das Telekomunternehmen Verizon sammelt (Der Datenkrake NSA Tür und Tor öffnen), sondern mit einem angeblich noch unter George Bush 2007 eingerichteten Programm auf der Grundlage des vom Kongress verabschiedeten Protect America Act (PAA) direkt auf die Nutzerdaten amerikanischer Konzerne zugreift. Zugriff für das bislang geheime, jetzt von der Regierung bestätigte Prism-Programm sollen nach der Washington Post die Konzerne Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, AOL, Skype, YouTube und Apple gewährt haben. Google und Apple dies, wie glaubhaft auch immer, abgestritten.

Der PAA hatte Datenschutzvorkehrungen und richterliche Genehmigungen ausgehebelt, nun müssen nur noch vernünftige Annahmen vorhanden sein, dass eine Verbindung ins Ausland besteht und dass die primäre Aufgabe die Informationsbeschaffung aus dem Ausland sei. Nach Informationen der Washington Post muss nur eine vermutete Wahrscheinlichkeit von 51 Prozent, also ein bisschen mehr als Zufall, vorliegen, dass das Abhörziel "ausländisch" ist. Das öffnet der Beliebigkeit Tür und Tor.

In den USA liegt der Skandal darin, dass mit PRISM eben auch US-Bürger abgehört werden können, was dem Auslandsgeheimdienst eigentlich untersagt ist. Dass die Kommunikation im Ausland abgehört wird, ist nicht einzigartig, das machen alle Geheimdienste, nur ist die NSA vermutlich der am besten ausgestattete Geheimdienst der Welt. Es hat sich herausgestellt, dass die alte Echelon-Achse auch weiter besteht. So ist auch der britische Geheimdienst GCHQ in PRISM eingebunden und erhält so unter Umgehung der Datenschutzgesetze die Kommunikationsdaten.

Wenn sich Politiker und Datenschützer nun in Deutschland empören, so spielt auch Scheinheiligkeit mit. Auch ohne direktes Anzapfen der Daten von Kunden der US-Internetkonzerne wird die Kommunikation von amerikanischen - siehe Echelon - und europäischen Geheimdiensten belauscht. Wie weit beispielsweise der BND ähnlich wie die NSA verfährt und Daten auch von Deutschen sammelt und analysiert, während man die Kommunikation von Ausländern überwacht, wäre wohl erst wirklich zu prüfen. Dass aber die zirkulierenden Kommunikationsdaten aller Bürger Ziele zumindest von ausländischen Geheimdiensten sind, ist nicht erst seit der Aufdeckung des nur in seiner Dimension einzigartigen NSA-Programms bekannt. Ein Boykott von Google und Co. würde daran nicht viel ändern.

US-Präsident Obama: Alles kein Problem und nur für die Sicherheit

Erschreckend ist aber die Demaskierung des US-Präsidenten, der mit vager Rhetorik den Ausbau der Überwachung unter seiner Ägide verteidigt. Der Kongress habe dies schließlich bewilligt, es gebe doch Vorkehrungen zum Datenschutz. Obgleich der erste Anschlag nach 9/11 in Boston gezeigt hat, dass die Überwachung diesen nicht verhindert hat, beteuert er, das Abhören habe Terroranschläge verhindert. Man höre ja nicht die Gespräche ab und lese nicht die Emails von US-Bürger, erklärte er, man ordne auch keine Namen zu, sondern registriere nur Telefonummern und die Dauer von Gesprächen. Er sei zu Beginn seiner Präsidentschaft skeptisch gegenüber den Lauschprogrammen gewesen, habe aber erkannt, dass sie notwendig seien. Mann könne nicht 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre haben.

Dazu kommt, dass US-Präsident Obama in seiner Presidential Policy Directive 20 vom Oktober 2012 angeordnet hat, eine Liste von möglichen ausländischen Zielen für Cyberangriffe zu erstellen, wie der Guardian berichtet, der die geheime Anordnung erhalten haben will. Geplant sind offenbar "Offensive Cyber Effects Operations (OCEO)", mit denen "nationale Ziele in der Welt mit geringer oder keiner Warnung an den Gegner oder das Ziel und mit potenziellen Wirkungen von leichten bis schweren Schäden" realisieren kann. Die Angriffe sollen aber nationalem und internationalem Recht gehorchen. Bei den Angriffen scheint es nicht um militärische Gegenangriffe zu gehen, die Frage ist, was zur Durchsetzung nationaler Ziele gehört.