Abmahnungen statt Argumente

Wie Politiker im Wahlkampf 2013 Auseinandersetzungen führen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Betrachtet man die Abmahnungen, die grüne Politiker in letzter Zeit versandten, dann gewinnt man nicht unbedingt den Eindruck, dass die Meinungs- und Pressefreiheit zu den Kernanliegen der Partei zählt. Das Landgericht Berlin erteilte der Öko-Abmahneuphorie jetzt allerdings einem empfindlichen Dämpfer und erlaubte dem CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt die Meinung, dass eine vierköpfige Familie mit einem berufstätigen Elternteil, das 3000 Euro brutto verdient, "durch die [von den Grünen] geplante Abschaffung des Ehegattensplittings um mehr als ein Monatsgehalt - nämlich über 3500 Euro - belastet" werde.

Im aktuellen Wahlprogramm der Grünen steht, dass das Ehegattensplitting erst auf Haushaltseinkommen unter 60 000 Euro begrenzt und "dieser Splittingdeckel schrittweise innerhalb von zehn Jahren ab[ge]bau[t]" werden soll. Die Ökopartei machte deshalb in ihrer Abmahnung geltend, dass der CSU-Generalsekretär eine "falsche Tatsache" behauptet habe, weil sie das Ehegattensplitting nicht sofort vollständig abschaffen würde, weshalb die geschilderte Durchschnittsfamilie zuerst nicht be-, sondern um 728 Euro entlastet werde.

Steffi Lemke, Bundesgeschäftsführerin der Grünen. Foto: Ingo Kuzia. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Dem wollte das sonst für eine recht abmahnfreundliche Rechtsprechung bekannte Berliner Landgericht allerdings nicht folgen und lehnte einen Antrag auf einstweilige Verfügung mit der Begründung ab, ein "Zusammenspiel von Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen" könne durchaus noch unter den Schutzbereich des Artikels 5 des Grundgesetzes fallen. Außerdem beruhe Dobrindts Kritik auf der wahren Tatsache, dass die Grünen das Ehegattensplitting langfristig abschaffen wollen.

Die daraus resultierende "Belastung für eine Ehe mit einem Alleinverdiener und einem monatlichen Einkommen von 3000 Euro" erreicht dem Gericht zufolge "jedenfalls annähernd" die im Artikel für die CSU-Parteizeitung Bayernkurier angegebene Größenordnung von 3500 Euro im Jahr. Dass diese Belastung nicht sofort eintritt und möglicherweise durch Vergünstigungen an anderer Stelle kompensiert wird, reicht nach Ansicht der Richter nicht aus, um die Äußerung zu verbieten. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Versprechen im Wahlprogramm der Grünen "eher vage formuliert sind".

Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke teilte der Presse nach der Verkündung des Urteils mit, ihre Partei teile "die Rechtsauffassung des Gerichtes in dieser Frage nicht" und werde den Instanzenweg beschreiten. Der CSU-Generalsekretär meinte dagegen, das vorläufige Scheitern des "juristischen Einschüchterungsversuchs" sollte die Grünen lehren, "dass politische Diskussionen in die Parlamente gehören und nicht vor Gericht".

In dieser Hinsicht besteht allerdings auch in Dobrindts eigener Partei offenbar noch gehörig Aufklärungsbedarf: In Augsburg, wo die CSU-Kommunalpolitik bereits 2009 durch fragwürdige Abmahnungen auffiel, machen nämlich gerade der CSU-Landtagsabgeordnete Bernd Kränzle und der CSU-Kreisvorsitzende Rolf von Hohenhau Schlagzeilen, weil sie eine 68-Jährige mit monatlich 1100 Euro Witwenrente abmahnen ließen und dafür nicht nur 808,25 Euro in Rechnung stellten, sondern zusätzlich 10.000 Euro Strafe androhten.

Die aus der Partei ausgetretene ehemalige CSU-Kreisvorsitzende hatte in einem Leserbrief Kritik am aktuellen Personal der Partei geäußert und gemutmaßt, dass "verdiente Männer" das Feld räumen mussten, damit andere freie Bahn haben. Solche Äußerungen über die Motivation von Menschen und Organisationen sind ihrer Natur nach Meinungen. Teile der deutschen Rechtsprechung kamen trotzdem zu einer anderen Ansicht und erfanden die so genannte "innere Tatsachenbehauptung" die man abmahnen und verbieten kann. Die Witwe hofft trotzdem auf einen Sieg vor Gericht und hat sich dazu einen Anwalt genommen.

Auch bei anderen Parteien scheint der Einsatz von Abmahnungen immer beliebter zu werden: So erzwang beispielsweise der Linken-Spitzenkandidat Gregor Gysi vor dem Landgericht Hamburg einen Maulkorb für den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, der nun (einer aktuellen Verlautbarung der Linksfraktion nach) "nicht einmal den Verdacht erwecken" darf, dass das Vermögen eines der Mandanten des ostdeutschen Rechtsanwalts aus SED-Beständen stammen könnte.

Selbst bei den Piraten, bei denen ein Ende des "Abmahnwahns" einmal zu den präsentesten Forderungen zählte, macht man von dem Instrument Gebrauch. So ließ beispielsweise Mareike Peter, die Ex-Angestellte und Geliebte des (am Dienstag von 10 der 15 Piraten-Abgeordneten neu gewählten) Berliner Fraktionschefs Oliver Höfinghoff Ende letzten Jahres den Axel-Springer-Verlag wegen eines kritischen Berichts abmahnen. Grundlage des Artikels war ein von ihr versandter Tweet gegen den Berliner Polizeipräsidenten Klaus Kandt, in dem es hieß: "zünd den an, solange er noch da ist1!!!!". Der Axel-Springer-Verlag unterzeichnete die gewünschte Unterlassungserklärung nach eigenen Angaben jedoch nicht und wartet bis heute auf eine Klage.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.