Der Rundfunk als Zankapfel

Fotis Kouvelis von der DIMAR bei seiner Erklaerung in Sachen ERT. Bild: W. Aswetsopoulos

Regierungskrise in Griechenland, Goldene Morgenröte wird immer stärker

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Die von Premier Samaras per Ministerialdekret erlassene Schließung der staatlichen Rundfunkanstalt wurde vorläufig per Beschluss des Staatsrats (oberstes Verwaltungsgericht) teilweise zurück genommen. Derweil hat die Regierungskrise eine weitere Verschärfung erreicht. Mit versteinerter Miene verließen Evangelos Venizelos und Fotis Kouvelis am Montag kurz nach 22 Uhr nach einer mehr als dreistündigen Sitzung dem Amtssitz von Antonis Samaras. Am Mittwoch sollen die Verhandlungen fortgesetzt werden. Es geht um eine Neuaushandlung des Koalitionsvertrags sowie um eine Kabinettsumbildung.

Im Prinzip befindet sich Griechenland genau am gleichen Punkt wie vor einem Jahr (Athener Regierungssuche gescheitert). Neuwahlen sind immer noch nicht ausgeschlossen. Bislang fürchten sich die Regierungsparteien davor weil die Goldene Morgenröte immer stärker wird. Im ersten Wahlbezirk der Hauptstadt ist sie Umfragen gemäß stimmstärkste Partei. Landesweit liegt sie gemäß der gleichen, nur in Parteibüros kursierenden so genannten "geheimen" Umfragen auf Platz 2 hinter SYRIZA.

Kouvelis und Samaras verlassen den Premierminister-Amtssitz. Bild: W. Aswestopoulos

Ein Gericht spielt Salomon

Die Entscheidung des Staatsrats wurde zunächst sowohl von der Regierung, respektive der Nea Dimokratia als auch von den ERT-Mitarbeitern und den beiden Koalitionspartners PASOK und DIMAR begrüßt. Finanzminister Yannis Stournaras meint, die ERT sei nun endgültig geschlossen. Die Pressesprecher des Premiers Samaras teilten in "Off the record"-Erklärungen den Journalisten mit, dass nun alles klar sei. Erst Rückfragen der Journalisten ließen die Sprecher wieder in den Amtssitz laufen. Nach einer Rückbestätigung sahen auch sie ein, dass das Urteil Fallen hat.

Seit Tagen harren Menschenmassen vor dem Hauptgebäude der ERT aus. Bild: W. Aswestopoulos

Denn der Staatsrat erklärte die Abschaffung der staatlichen Rundfunkanstalt ERT für rechtens. Dies jedoch könne nicht, wie von Regierungssprecher Simos Kedikoglou angeordnet, durch ein einfaches Abschalten des Senders geschehen. Bis zur Schaffung eines neuen öffentlich rechtlichen Rundfunks müssen alle Rundfunkstationen weiter laufen, um die Grundversorgung der Bevölkerung sicher zu stellen. Geschlossen bleiben die von der ERT herausgegebenen Programmzeitung, Radiotileorasi, sowie die beiden Symphonieorchester. Das Gericht forderte die Regierung auf, einen Abwicklungsverwalter zu bestellen. Dieser soll entscheiden, wer vom Personal für den weiteren Ablauf des Sendebetriebs erforderlich ist. Ohne ÖR-Rundfunk darf das Land, so das Gericht, nicht bleiben.

Leben ohne ÖR-Rundfunk, geht das?

Millionen Deutsche ärgern sich über die GEZ-Haushaltsgebühr. Sie wünschen sich sehnlichst, nicht für etwas zahlen zu müssen, was sie nicht bestellt haben. Knapp 7,5 Milliarden Euro zahlen die Bundesbürger jährlich an ihre GEZ. Im bevölkerungsmäßig achtmal kleineren Hellas sind es bei vergleichbaren Lebenshaltungskosten 300 Millionen pro Jahr. Von diesen Geldern werden zahlreiche Mittel zweckentfremdet. Sei es, um davon die Entschädigung für die Erzeuger alternativer Energien zu bezahlen, oder um Regierungsnahe Parteigänger zu versorgen.

Mit der Abschaltung und Schließung löste die Nea Dimokratia ihrer Meinung nach das selbst erschaffene Problem auf elegante Weise. In abgelegenen Regionen des Landes bleiben die Bürger jedoch nun bis auf Weiteres ahnungs- und nachrichtenlos. Kein privater Sender investierte dort. Während der turbulenten letzten Tage wurde Kreta von Erdbeben erschüttert. Informationen für die Bürger gab es jedoch nur im Internet. Eine ernsthafte Naturkatastrophe würde in diesen Tagen zu erheblichen Kommunikationsproblemen führen.

Tatsächlich jedoch hatte Samaras wegen eines anderen, gelungenen Coups vor knapp einem halben Jahr geglaubt, dass die Schließung der ERT ohne Folgen bleiben würde. Er hatte den europaweit verbreiteten Sender Euronews abschalten lassen. Der Premierminister goutierte nicht, dass Euronews mit einem griechischsprachigen Programm unabhängig vom Einfluss der Regierung Nachrichten verbreiten wollte. Die inländischen privaten Rundfunkanstalten sind hoch verschuldet. Sie gehören fast ausschließlich Bauunternehmern, die mit öffentlichen Bauaufträgen ihr Vermögen vermehren. Als Druckmittel gegen unliebsame Berichterstattung hat die Regierung die staatlichen Werbetöpfe als Trumpf.

Solidaritätskonzert vor dem Hauptgebäude der ERT. Bild: W. Aswestopoulos

Was die Griechen nun nicht erfahren haben

Außer der gescheiterten Privatisierung der staatlichen Gasunternehmen DEPA und DESFA zeigen sich bei einem weiteren Prestigeobjekt der Regierung Samaras dunkle Wolken. Die bereits als geglückt gemeldete Privatisierung des staatlichen Lotteriemonopolisten scheint zu scheitern. Einerseits gibt es Zweifel, ob das Bieterkonsortium die vereinbarten 652 Millionen Euro Kaufpreis rechtzeitig einzahlen kann. Andererseits haben die Käufer entdeckt, dass das Unternehmen kurz vor dem Kauf rechtlich bindende Verträge mit Zulieferern abschloss. Diese Verträge mindern die Gewinnträchtigkeit von OPAP erheblich.

Es dürfte Samaras freuen, dass solche Meldungen im aktuellen Zank um die ERT untergehen.

Eleni Louka, eine christliche Aktivistin, protestiert gegen Samaras als Satansjünger. Bild: W. Aswestopoulos

Was meint die Troika?

Die im Land befindlichen Prüfer der Troika haben die Auszahlung der eigentlich bereits freigegebenen Kredittranche von 5,94 Milliarden Euro aus "technischen Gründen" zunächst eingefroren. Als wahren Grund vermuten griechische Journalisten jedoch, dass die Troika mit diesem Druckmittel Neuwahlen verhindern möchte. Zudem muss die Regierung bis Ende Juni mindestens 2000 Angestellte des öffentlichen Dienstes entlassen. Die knapp 2700 fest angestellten Mitarbeiter der ERT passten da gut ins Konzept.

Letztendlich deutet in Athen alles darauf hin, dass die kleineren Koalitionspartner ihren kurzfristigen Aufstand heute beenden werden. Im Gespräch ist eine Regierungsumbildung. Damit könnten Kouvelis und Venizelos Ministerposten erhalten. Stimmen die Gerüchte, die derzeit die Runde machen, dann haben die Koalitionspartner statt über die ERT eher über die von ihnen ersehnte Kabinettsreform palavert (). Gibt es diesem Punkt eine Einigung, dann wird die ERT-Krise ebenso klein geredet werden, wie zahlreiche andere Probleme zuvor. Das Staatsratsurteil könnte dann, wie das Orakel von Delphi zum Nutzen der Koalition ausgelegt werden. Als einziger Unsicherheitsfaktor dieser Rechnung gilt eine zufällige Eskalation oder Ausweitung der Proteste. Danach jedoch sieht es momentan nicht aus. Die Gewerkschaften des Landes zeigen wenig Streikbereitschaft. Die Bevölkerung selbst ist gespalten. Nicht wenige freuen sich darüber, dass die ihrer Meinung nach gut verdienenden Journalisten der ERT nun auf der Straße stehen.