Familienministerin Kristina Schröder will Geschlechterpolitik auch für Jungen

Jungen wollen gern aus ihren typischen Geschlechterrollen ausbrechen, wissen aber oft nicht wie

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Jahrelang wurde beim Thema Gleichstellung vor allem auf die Situation von Mädchen und Frauen geschaut - denn vor allem das weibliche Geschlecht leide unter Diskriminierung und Ungleichbehandlungung. Doch seit einigen Jahren wandelt sich dieses Bild. Immerhin kommen Studien zu dem Ergebnis, dass auch Jungen benachteiligt werden, vor allem in der Schule.

Da die festen Rollenzuschreibungen, mit denen Jungen und Mädchen konfrontiert sind, ohnehin immer mehr aufweichen und sich wandeln, hat Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) 2011 einen Jungenbeirat berufen. Kurz vor Ende der Legislaturperiode legt dieser nun seinen Abschlussbericht zur Situation der Jungen in Deutschland vor.

Das Besondere am Jungenbeirat ist dabei seine Zusammensetzung. Denn Familienministerin Schröder hat dabei nicht ausschließlich auf die Expertise von Wissenschaftlern und Experten gesetzt: Zur Hälfte besteht er aus männlichen Jugendlichen, die zum Zeitpunkt der Konstituierung des Beirats zwischen 15 und 17 Jahren alt waren. So konnten die Jungen selbst Einfluss auf die Themen nehmen, mit denen sich der Beirat beschäftigt, und ihre ganz persönlichen Erfahrungen einbringen.

Dass es durch den größer gewordenen Einfluss des Feminismus zu einer Krise des Mannes gekommen ist, kann der Jungenbeirat nicht bestätigen. So begreifen die sechs Jungen im Beirat ihre Geschlechtszugehörigkeit als Selbstverständlichkeit, was die Wissenschaftler im Beirat auch allgemein so bestätigen können.

Das klassische Bild vom Mann als Familienernährer nach wie vor präsent

Allerdings ist der Wandel der Rollenbilder, der sich auch in Wirtschaft und Gesellschaft niedergeschlagen hat, nicht folgenlos geblieben: Die Jungen können sich nicht mehr ohne weiteres an den Leitbildern ihrer Väter und Großväter orientieren, sondern müssen mit widersprüchlichen Bildern von Männlichkeit umgehen. Das klassische Bild vom Mann als Familienernährer ist bei den meisten Jungen nach wie vor präsent. Gleichzeitig rückt das Bild eines fürsorglichen Familienvaters aber immer mehr in den Fokus der Jungen.

Doch das Ideal des beruflich erfolgreichen vollzeiterwerbstätigen Familienernährers und des fürsorglichen Familienvaters, der sich für Frau und Kinder Zeit nimmt ist widersprüchlich und nur schwer bis gar nicht zu vereinbaren. Dass beide Ziele nicht miteinander vereinbar sind, ist vielen Jungen dem Abschlussbericht zufolge jedoch nicht bewusst, sie denken nur wenig bis gar nicht über den Zusammenhang zwischen Berufswahl und Familienplanung nach. Die Fürsorge für die nächste Generation haben die Jungen - im Gegensatz zu den gleichaltrigen Mädchen - noch nicht im Blick, was der Jungenbeirat auf die noch immer vorhandenen traditionellen Rollenbilder sieht.

Eine unterschiedliche Machtverteilung zwischen den Geschlechtern lehnen die Jungen im Jungenbeirat unisono ab. Auch in einer Untersuchung des Sinus-Instituts, die Teil des Berichts des Beirates ist, zeigt sich, dass derartige Vorstellungen nahezu nicht mehr verbreitet sind. Gleichzeitig zeigt sich jedoch auch, dass den Jungen oft nicht bewusst ist, dass ein Lebensmodell wie das des Mannes als Haupternährer schon ein Machtungleichgewicht zu Gunsten des Mannes bedeutet. Die Abhängigkeit, in die sich eine Frau begibt, die sich auf das Einkommen des Mannes verlassen muss, wird nicht gesehen. Zudem fehlt es den Jungen oft an Vorstellungen, wie sich ein Leben jenseits der traditionellen Bilder von Mann und Frau führen lässt.

Nachteile bei der Notenvergabe

Deutlich wird auch, dass sich Jungen häufig bewusst darüber sind, in welchen Bereichen sie gegenüber Mädchen Vorzüge genießen, zugleich wissen sie aber auch um Bereiche, in denen sie benachteiligt werden. Dabei sehen sie ihre eigene Bevorzugung überwiegend nicht als positiv, sondern als kritisch an. Als Bevorzugung erkennen sie, dass Jungen oftmals mehr Freiheiten zugestanden werden als Mädchen. Auch die medial immer wieder diskutierte schlechtere Bezahlung in typischen Frauenberufen ist ihnen bekannt.

Die Folge ist nach Ansicht der Jungen, dass Berufe beispielsweise im Erziehungs- und Pflegebereich auch weiterhin kaum von Männern ausgeübt werden, selbst wenn diese Interesse an dem Beruf haben. Zugleich kritisieren die Jungen auch aus ihrer Perspektive das Fehlen männlicher Bezugspersonen in vielen Lebensbereichen - beispielsweise in Kindergärten und Schulen. Pauschale Urteile, ob es besser ist von Männern oder von Frauen umgeben zu sein, vermeiden die Jungen jedoch.

Dass die hohe Anzahl an weiblichen Lehrern nachteilig für den schulischen Erfolg von Jungen ist, wie immer wieder vermutet wird, kann der Bericht des Jungenbeirates nicht bestätigen. Die Benachteiligung sieht der Bericht eher darin, dass sowohl Lehrerinnen als auch Lehrer eher jenen Schülern gute Noten geben, die sie als unauffällig oder positiv wahrnehmen. Da sich Jungen häufiger auffällig und undiszipliniert verhalten würden als Mädchen, bekämen sie auch die schlechteren Noten.

Jüngere Lehrer gefragt

Die Ursache für das andere Verhalten der Jungen sieht der Bericht vor allem in den Peer-Groups der Jungen. In den Cliquen gibt es demnach einen geschlechtsspezifischen Erwartungsdruck, sich der Schule gegenüber eher ablehnend zu verhalten. Wie stark die jeweilige Gruppe sich gegen die Schule und ihre Anforderungen stellt, ist jedoch abhängig von der Schulform, dem sozialen Milieu und der ethnischen Zugehörigkeit. Für beide Geschlechter als problematisch erkennt der Bericht jedoch die Überalterung der Lehrerschaft und den daraus folgenden immer größer werdenden Abstand der Lebenswirklichkeit von Schülern und Lehrern.

Die einzige Lösung sei hier, bis 2020 jährlich mindestens 25.000 Lehrer neu einzustellen. Ob dies gelingt, sei jedoch fraglich. Tatsächlich zeigen sich viele Bundesländer derzeit bei Neueinstellungen nicht sonderlich motiviert, da Haushaltskonsolidierung spätestens seit der Einführung der Schuldenbremse in den Ländern oberstes Gebot ist und Neueinstellungen da nur stören würden; auch wenn dies stärker zu Lasten der jungen Generationen gehen dürfte, als die öffentlichen Ausgaben in diesem Bereich zu erhöhen.

Sexismus

Ebenso fehlen den Jungen unkommerzielle Orte, an denen sie ihre Freizeit verbringen können. Bestehende Jugendclubs sind teils unattraktiv, weil schlecht erreichbar und nicht gut ausgestattet, teilweise gelten sie sogar als „Angstorte“, die von bestimmten Jugendgruppen „besetzt“ sind.

Sexismus wird von den Jungen als Problem weithin erkannt und abgelehnt – gleichzeitig sind viele Jungen jedoch nicht bereit, sich von derartigen Frauenbildern zu verabschieden, während gleichzeitig die Mädchen nach wie vor oft bestrebt sind, diese Bilder zu erfüllen. Entgegen der verbreiteten Annahme, dass Jungen mit Migrationshintergründ besonders zu Sexismus neigen, zeigt der Bericht des Jungenbeirates gestützt auf die Sinus-Untersuchung geradezu das Gegenteil. Warum gerade junge Männer mit Migrationshintergrund besonders häufig kritisch zu Sexismus stehen, können jedoch auch die Experten nicht erklären.

Das Fazit des Jungenbeirats ist, dass es künftig einer Gleichstellungspolitik für beide Geschlechter bedarf. Diese müsse auch unterschiedliche geschlechtliche und sexuelle Orientierung berücksichtigen. Zudem müsse bei der Darstellung von Geschlechterrollen in Schulbüchern darauf geachtet werden, Geschlechterklischees zu vermeiden. Um dies auch außerhalb der Schulbücher zu erreichen, wird empfohlen, über den Werberat und den Rundfunkrat auch Einfluss auf die Medien zu nehmen. In der Berufsberatung sollten Jungen künftig auch Berufe, die nicht als typisch männlich gelten, vorgeschlagen werden.

Familienministerin Schröder betonte bei der Vorstellung des Berichts, dass die Politik die Geschlechter nicht gegeneinander ausspielen dürfe. Stattdessen sollten Wege gefunden werden, die Männern und Frauen helfen. So könnte ein besseres Einkommen in den frauentypischen Berufen in der Erziehung und Pflege einerseits den Frauen helfen, andererseits aber auch den Anreiz für Männer erhöhen, einen solchen Beruf zu ergreifen.