Wie lässt man Menschen verschwinden?

Es gibt Menschen, die wollen nichts dringender, als zu verschwinden. Stalking-Opfer, Mafia-Anwälte oder Top-Informanten wie Edward Snowden. Der US-Amerikaner Frank Ahearn hilft solchen Leuten beim Untertauchen

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Irgendwann im Jahr 2001 stand Frank Ahearn an der Kasse einer Buchhandlung in New Jersey. Vor ihm bezahlte ein Mann zwei Bücher. Eines über Offshore-Banking. Das andere war ein Reiseführer über Costa Rica. Der Mann bezahlte mit seiner Kreditkarte. "Was für ein Leichtsinn", dachte sich Ahearn und sprach ihn an.

Es sei offensichtlich, dass er sich absetzen wolle, sagte er dem Mann. Da sei es sehr leichtsinnig, elektronische Spuren mit seiner Kreditkarte zu hinterlassen. Der Mann war geschockt. Tatsächlich wollte der ehemalige Mitarbeiter eines amerikanischen Rüstungsunternehmens untertauchen. Und er bat Ahearn um Hilfe: "Kannst du mir helfen, zu verschwinden?"

Es war jener Moment in der Buchhandlung, der Frank Ahearn vor über zehn Jahren auf die Idee brachte, ein neues Geschäft aufzuziehen: Menschen verschwinden lassen. Mehr als 20 Jahre machte der gebürtige New Yorker genau das Gegenteil. Ahearn war Profi im Aufspüren von Leuten. Er jagte Verbrecher für die US-Justiz und Prominente für Klatsch-Magazine. Tausende Menschen spürte Frank Ahearn nach eigenen Angaben im Laufe der Jahre auf. Er war ein guter Jäger. Inzwischen aber hilft er Leuten auf der Flucht vor anderen Jägern.

Edward Snowden bräuchte aktuell wohl dringend Ahearns Hilfe. Der 30-jährige IT-Fachmann hat für den US-Nachrichtendienst "National Security Agency" (NSA) gearbeitet. Bis er zum "Whistleblower" wurde. Durch Snowden wurde bekannt, dass US-Geheimdienste massenhaft Daten, E-Mails, Telefonverbindungen von Millionen Menschen weltweit sammeln. Mit Hilfe großer Unternehmen wie Google, Microsoft oder Facebook. "PRISM", so der Name des geheimen Projekts, steht seitdem für das erschreckende Ausmaß, das staatliche Überwachung im Namen der Terrorismus-Bekämpfung angenommen hat.

Auf die andere Seite gewechselt

Seitdem sich Edward Snowden als Quelle der "PRISM"-Enthüllungen geoutet hat, befindet er sich auf der Flucht. Snowden fürchtet, wegen Hochverrats in den USA angeklagt zu werden. Deshalb versteckte er sich zunächst in Hong Kong, beantragte dann Asyl in Ecuador und flog Anfang der Woche nach Russland. Jetzt soll er sich im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo aufhalten. "Der Junge braucht wirklich sehr gute Hilfe", sagt Frank Ahearn. "Und viel Glück."

Schon als Teenager entdeckte Ahearn seine Leidenschaft für die Jagd nach Menschen. Als Hausdetektiv spürte er Kunden und anderen Mitarbeitern nach, die verdächtigt wurden, zu klauen. Später arbeitete er für Anwälte und US-Behörden und machte sehr erfolgreich Jagd auf Prominente, an denen die amerikanische und britische Boulevard-Presse interessiert war. In welchem Hotel wird Madonna in Paris nächtigen? Wo macht Brad Pitt demnächst Urlaub? Wer ist der Junge, der Michael Jackson des sexuellen Missbrauchs beschuldigt?

Ahearns wohl prominentester Fall war Monica Lewinsky. Als die Praktikantin den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton mit ihrer Sex-Affäre in die Schlagzeilen brachte, heftete sich Frank Ahearn an ihre Fersen. Mit Erfolg. Er spürte Monica Lewinskys Adresse auf. "Ich rief an und gab mich als Post-Angestellter aus", erzählt Ahearn. Eine Hausbedienste war am Telefon. "Ich habe ein Paket für Monica Louis", log Ahearn. "Meinen Sie Lewinsky? Sie wird erst um 14 Uhr wieder kommen". Bingo. Ahearn teilte seinem Klienten, einem US-Fernsehsender, mit, wo die Clinton-Gebliebte anzutreffen sei. Wenig später waren Kamerateams vor ihrer Wohnung.

"Heute gibt es andere Gesetze. Der Job ist nicht mehr so leicht", sagt Ahearn. Da kam ihm die Idee, Menschen beim Verschwinden zu helfen. Er, der jahrelang Menschen aufgespürt hatte, wusste schließlich, wie man es den Verfolgern möglichst schwer machen könnte, jemanden zu finden.

Bei Frauen ist es Gewalt, bei Männern Geld

Ahearn schrieb einen Artikel über "Wie man verschwindet" auf einer prominenten US-Webseite. Danach überrollte ihn eine Welle von Kundenanfragen. Die meisten Anfragen kamen von Kriminellen. "Sie haben gegen das Gesetz verstoßen und wurden jetzt von Behörden gejagt", so Ahearn. "Die wollten von mir eine neue Identität und einen gefälschten Pass."

Solche Kundenanfragen, etwa Steuerhinterzieher oder Mafia-Gangster, lehne er grundsätzlich ab. Meist geht es bei Ahearns Fällen um Personen, die vor aggressiven Stalkern oder ehemaligen Lebenspartnern fliehen. Wer von staatlichen Geheimdiensten gejagt werde, habe oft einen übermächtigen Verfolger hinter sich. Anders als bei Ahearns regulären Kunden.

"Gewalt ist bei den Frauen das Hauptmotiv zu verschwinden", sagt Ahearn, "Bei Männern ist es Geld." Frauen verstecken sich meist vor gewalttätigen Ex-Freunden oder Ehemännern. Andere Kunden seien plötzlich sehr reich, und haben nun Angst um ihre Sicherheit. "Ich habe auch Anwälten geholfen, deren Mandanten ihnen Gewalt angedroht haben", erzählt Ahearn.

Wie aber lässt man Menschen verschwinden? Noch dazu in einer derart vernetzten und digitalisierten Welt wie heute? "Ich sammele erst einmal alles, was über die Person im Internet und in zugänglichen Dokumenten, Registern und bei Behörden zu finden ist". Sämtliche Online-Informationen zu löschen, sei häufig nicht effektiv.

Desinformation ist besser, als die bestehenden Informationen zu löschen.

"Die Verfolger suchen nicht nach dir. Sie suchen nach Informationen, die du hinterlässt. Und die lassen sich realistisch fälschen." In der Praxis heißt das: Ahearn verändert Facebook-Profile, er richtet Blogs oder Twitter-Accounts ein. Schritt für Schritt beginnt er die verfügbaren Informationen über die Person zu verändern. "Mein Kunde bloggt plötzlich über seine tolle Zeit in Irland oder stellt bei Facebook Fotos von den Stränden in Thailand ein. In Wahrheit lebt der Kunde aber vielleicht in Rom oder Moskau."

Und auch die elektronischen Spuren, die sich vielleicht verfolgen lassen, fälscht Ahearn mit einigem Aufwand. Er richtet Bankkonten in fernen Ländern ein. Ein Mitarbeiter von Ahearn geht dann beispielsweise regelmäßig in Mexico City mit einer Kreditkarte einkaufen. "Wer den elektronischen Spuren nachspürt, der wird denken, die Person lebt in Mexico City."

"Wer untertauchen will, kann dies am besten in der Gesellschaft tun"

Entscheidend sei es, so rät Ahearn, möglichst viele Spuren zu verbreiten. "Mein Ziel ist es, die Jagd für den Verfolger möglichst aufwendig, teuer und zeitraubend zu machen." Nicht in jedem Fall sei der Aufwand gerechtfertigt. Stets müsse hinterfragt werden, was Paranoia und was realistische Angst sei.

Wenn dein Ex-Mann dich jagt. Dann musst du dich fragen: Wie viel Geld hat er? Wie viel Zeit kann er investieren? Kann er Privatdetektive in anderen Ländern anheuern?

Und auch seinen Kunden fühlt Frank auf den Zahn. "Ich frage sie: Wovon willst du Leben? Wo und wie kannst du Geld verdienen? Hast du eine Krankheit? Kannst du in diesem Land die Medikamente dafür bekommen?"

Nicht selten hätten seine Kunden völlig unrealistische Vorstellungen, erzählt Ahearn. Palmen, Strand, Cocktails in der Karibik. Nur sehr wenige Leute seien wohlhabend genug, um sich ein solches Leben leisten zu können. Andere wiederum erweisen sich als flexibel, können als Kellner arbeiten oder über das Internet Geld verdienen.

Es gehe nicht darum, an möglichst entlegene Orte zu fliehen, bekräftigt Ahearn. Wer untertauchen will, könne dies am besten in der Gesellschaft tun. In Großstädten etwa. Dort sei auch nach dem Verschwinden ein halbwegs normales Leben möglich.

Das alte Leben komplett aufzugeben, sei in den meisten Fällen nicht ratsam, sagt Ahearn. "Brich nicht alle Brücken ab. Vielleicht wirst du nach einigen Jahren wieder in dein altes Leben zurückkehren. Dann brauchst du Freunde und Familie". Die Kommunikation einzuschränken, und bestimmte Regeln zu beachten, könne dennoch sinnvoll sein.

Was kostet ein untergetauchtes Leben? Frank Ahearn nimmt für seine Arbeit stattliche Summen. "Es fängt bei etwa 14.000 US-Dollar an. Aber der Preis ist gerechtfertigt. Es ist sehr aufwendig, jemanden virtuell und in der realen Welt verschwinden zu lassen."

Rund einhundert Menschen hat Frank Ahearn nach eigenen Angaben in den vergangenen 12 Jahren geholfen zu verschwinden. "Ich habe noch Kontakt zu einigen. Sie sind ja nicht weg."