Überraschung am Rand des Sonnensystems

Künstlerische Darstellung der Übergangszone. Bild: NASA,JPL

Wissenschaftler hatten Voyager 1 längst im interstellaren Medium gewähnt - stattdessen entdeckt die Sonde, was noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat

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Wer die NASA-Raumsonde Voyager 1 auf einen Tee treffen will, orientiert sich im Universum am besten folgendermaßen: Beim Virgo-Superhaufen von der intergalaktischen Autobahn abbiegen. Passanten nach der 47 Galaxien umfassenden Lokalen Gruppe fragen. Dort eine Milchstraße mit balkenförmigem Kern und zwei dominierenden Spiralarmen suchen. Etwa 15.000 Lichtjahre nördlich ihrer Symmetrieachse der Galaxis befindet sich der Orion-Arm, ein sekundärer Spiralarm zwischen Perseus-Arm und Scutum-Centaurus-Arm.

Sobald Ihnen hier eine etwa 2.000 Lichtjahre große, elliptische Häufung von jungen Sternen und Sternentstehungsgebieten ins Auge fällt, der Gouldsche Gürtel, bitte etwas näher heranfliegen. Mitten darin werden Sie eine einige Hundert Lichtjahre große, sanduhrförmige und besonders materiearme Blase im interstellaren Medium bemerken, die von einer Supernova verursacht wurde.

Jetzt aufpassen und genauer hinsehen, dann sollte Ihnen die Lokale Flocke auffallen, die etwa 30 Lichtjahre groß ist und deutlich mehr kosmische Materie (vor allem Wasserstoffgas) als die Umgebung enthält. Am besten suchen Sie nun nach einem Dreifachstern, den die Menschlinge Alpha Centauri nennen. Nur 4,4 Lichtjahre weiter funkelt ein mittelgroßer, gelber Stern im besten Alter.

Wenn Sie sich dem Ziel nähern, bremsen Sie Ihr Raumfahrzeug bitte allmählich ab. Sie riskieren sonst Kollisionen mit den Milliarden Objekten, die die Oortsche Wolke bilden. Diese formt eine Kugelschale mit einem Durchmesser von zwei bis vier Lichtjahren um den Zentralstern. Das nächste Hindernis auf dem Weg zur Erde ist die sogenannte Scattered Disc (SD). Sie weisen Ihren Piloten besser rechtzeitig darauf hin, denn die SD enthält gewissermaßen alle Falschfahrer auf der Himmelsautobahn: Die Objekte (SDOs), aus denen sie besteht, bewegen sich nicht in der Ebene der Planeten um die Sonne, sondern in stark exzentrischen Bahnen.

An der Grenze

Jetzt heißt es, die Augen offen zu halten. Irgendwo hier draußen, in 122-facher Erdentfernung von der Sonne, muss Voyager 1 unterwegs sein. Nach den Vermutungen seiner Erbauer sollte es den Einflussbereich der Sonne eigentlich gerade hinter sich gelassen haben, die Heliosphäre, die vom 1,5 Millionen Kilometer pro Stunde schnellen Sonnenwind bestimmt wird ((Hat Voyager 1 bereits die Heliosphäre verlassen?). Wo genau sich Voyager 1 befindet, verraten seine Instrumente, die auch 35 Jahre nach dem Start noch immer funktionieren und Daten zur Erde senden - von welchem ähnlich alten Auto kann man das schon behaupten?

Der Sonnenwind besteht nämlich vor allem aus geladenen Teilchen, Elektronen, Protonen und Heliumkernen, während das interstellare Medium zu 90 Prozent aus neutralem Wasserstoffgas zusammengesetzt ist. Ein weiteres Kennzeichen der Heliosphäre ist das Magnetfeld, dessen Ursprung die Sonne ist und das Voyager 1 ebenfalls messen kann. Theoretisch (denn bisher hat noch niemand diesen Bereich durchquert) befindet sich an der Grenze ein besonders turbulenter Bereich, ähnlich der Bugwelle eines Schiffes, in dem Sonnenwind und interstellares Medium aufeinandertreffen.

Neu entdeckte Übergangsregion

Die Weltraumforscher waren sehr gespannt, endlich Daten von hier zu erhalten - und mussten dann feststellen, dass die Struktur dieser Grenze wohl komplizierter ist als gedacht. Voyager 1 durchquerte nämlich im vergangenen Jahr fünf Mal eine Art Grenze, bei der sich die Umgebungseigenschaften jeweils deutlich veränderten.

Wie in drei Papers auf der Website des Wissenschaftsmagazins Science nachzulesen ist ( hier, hier und hier), stiegen jedes Mal die Messwerte seiner Magnetfeld-Sensoren deutlich an. Gleichzeitig sank die Anzahl geladener Teilchen, teilweise um den Faktor 1000. Parallel dazu stieg der Anteil niedrigenergetischer, neutraler Teilchen, die dem interstellaren Medium zuzuordnen sind, um jeweils etwa zehn Prozent.

Offensichtlich befindet sich Voyager noch immer im vom Magnetfeld der Sonne kontrollierten Raum - doch diese Zone ist, wie die Forscher es nennen, "abgereichert", das heißt der Strom geladener Teilchen von der Sonne ist versiegt. Die neu entdeckte Übergangsregion müssen die Wissenschaftler nun erst in ihre Modelle integrieren, dazu unterbreiten sie in Science auch Vorschläge. Doch schon jetzt zeigen sie sich sehr gespannt, was Voyager 1 auf seiner Reise wohl noch entdecken wird.

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