Wolfgang Grams, Terrorist an der Seite der Stasi

Personenfahndungskarte Wolfgang Werner Grams, herausgegeben vom deutschen Bundeskriminalamt im März 1985.

Aktenfunde und andere Anhaltspunkte sprechen dafür, dass der RAF-Terrorist für den DDR-Geheimdienst tätig war und in Ostdeutschland eine paramilitärische Ausbildung erhielt

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Am 27. Juni 1993 wurde das RAF-Mitglied Wolfgang Grams (*6.3.1953 in Wiesbaden) auf dem Bahnhof in Bad Kleinen erschossen. Gleich schon stand im Raum die Anklage: Tötung über einen angesetzten Schuss durch ein Mitglied der GSG 9, Elitetruppe und Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei. Doch die genauen Todesumstände des Terroristen Grams sind nie geklärt worden.

Die hinterbliebenen Angehörigen, beunruhigt darüber, wie mit diesem Fall umgegangen wurde, kämpften bis in hohe Instanzen vergebens um Aufklärung. Insbesondere ging es auch um den in Bad Kleinen an der Seite von Grams und seiner Lebensgefährtin Birgit Hogefeld anwesenden Klaus Steinmetz. Seine Identität als V-Mann - und Verräter - wurde erst nach einer Woche öffentlich bekannt gemacht.

Zahlreich die Dokumentar-Filme, Bücher und Artikel, die seither zu dem für die Beteiligung an den terroristischen Anschlägen auf Anschlägen auf Gerold von Braunmühl (1986), Alfred Herrhausen (1989) und Detlev Rohwedder (1991) verdächtigten Grams erschienen sind.

Dieser Tage wurden zum 20. Jahrestag gleich zwei ausgestrahlt: Endstation Bad Kleinen - vom Versagen deutscher Sicherheitsorgane (Arte) und Zugriff im Tunnel - Das tödliche Drama von Bad Kleinen (ARD). Beide Dokus begründen ihre Skepsis gegenüber der offiziellen Version staatlicher Stellen.

Nach der hätte sich Grams, der bereits durch einen Schuss getroffen reglos auf den Schienen lag, selbst getötet. Von den vielen vor Ort anwesenden Polizisten hat dies allerdings unmittelbar keiner zu Protokoll gegeben. Auch die folgenden kriminalistischen Untersuchungen wurden nicht beweiskräftiger.

In der Terrorismus-Geschichte z.B. Italiens sind aufgesetzte Todesschüsse, in denen Mitwisser von kriminellem Geschehen ausgeschaltet werden sollten(dirty actions), sehr wohl bekannt geworden. Doch da die Vorstellung, dass ein GSG 9-Schütze den wehrlos am Boden liegenden Grams mit einem Nahschuss hinrichtet, tatsächlich so unerträglich und scheinbar auch unerklärbar ist, haben die Behörden sich für die Selbstmordversion entschieden.

Doch es gab die eine, mutige Zeugin, die einen Nahschuss durch einen GSG-9-Beamten aus dem Inneren ihres Zeitungskiosks beobachtet hatte und dazu aussagte. Nur - bei den Ermittlern ignorierte man sie und erklärte sie für unglaubwürdig. Erst das Fernsehmagazin Monitor machte ihre Aussage öffentlich und erschütterte damit die offizielle Version.1 Heute schilt das Blatt Cicero - und auch andere Zeitungen - tatsächlich "die Medien", sie seien es, die den ganzen Fall Bad Kleinen fehlgeleitet hätten.

Die Stasi und die so genannte Dritte RAF-Generation

Von den Terroristen der »Dritten Generation« hat Wolfgang Grams am meisten Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlich­keit erhalten. Schon im September 1993 hatte der Spiegel aus Stasi-Akten offen gelegt, dass Wolfgang Grams wie viele andere der "Dritten Generation" bei der Stasi mit einem Decknamen und einer Registriernummer geführt wurde.

Die Stasi führe ihn unter dem Decknamen »Gerhard Klausen« mit der Nummer XV 1008/85. Doch auch 1979 war ihm schon eine Registriernummer, die XV 6054/79, zugeordnet. Wer sich mit Stasi-Akten eingehender befasst hat, kann feststellen, dass bei veränderten organisatorischen Zusammenhängen einzelner Terroristen, Neuregistrierungen und Neuzuordnungen geschaffen wurden. Grams und die anderen der "Familie Klausen" - alle mit dem gleichen Decknachnamen - waren in der BRD zur Fahndung ausgeschrieben, als sie um 1984 verschwanden.

Es ist anzunehmen, dass auch sie, wie die so genannten zehn Aussteiger, immer wieder länger oder zeitweilig in der DDR Schutz und Unterschlupf fanden. Von einigen ist bekannt, dass sie sich vorübergehend auch im Nahen Osten aufhielten.

Aus allem, was inzwischen über die enge Zusammenarbeit von RAF-Terroristen und der Stasi bekannt geworden ist, ist nicht davon auszugehen, wie es der Spiegel von 1993 sehen will, dass die Stasi Grams und die anderen Mitglieder der so genannten Dritten Generation registriert hatte, um diese lediglich zu beobachten. Vielmehr weist die Indizienlage auf eine enge IM-Verbindung und Zusammenarbeit.

Darauf weisen auch die Stasi-Akten zur RAF, die noch vorhanden sind. Auch wenn sie mit vielen Schwärzungen versehen und nur Seitenreduziert von der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) herausgegeben werden. Die Zeitgeschichtsschreibung zeigt sich bis heute erstaunlich wenig an den Stasi-Akten interessiert und stellt auch Wolfgang Grams beharrlich als Stasi-unge­bundenen, "reinen" RAF-Terroristen dar.

Doch schon Grams politische Biographie zeigt seine Nähe zu Ostberlin.

Wer eigentlich war Wolfgang Grams?

Grams begann mit Gefangenenbetreuung in der Roten Hilfe, enga­gierte sich dann in Wiesbaden in einer der DKP- und SED-nahen Antifa-Gruppen und arbeitete in den Anwaltsbüros Weidenhammer2 und Croissant, erster war mit hoher Wahrscheinlichkeit, letzterer gesichert Stasi-Agent.

Seit 1982 war er mit Birgit Hogefeld liiert, die später über ihn sagen sollte, dass er es war, der die RAF wieder aufgebaut habe. Zur Zielfahndung ausgeschrieben, ging Grams 1984 in den Untergrund, war also in der BRD nicht mehr zu finden.

Eine Stasi-Akte enthüllt ein aussagekräftiges Detail seines Terroris­tendaseins in den 1980er-Jahren: Am 8. März 1988 wurde Grams mit einer Gruppe weiterer Terroristen im an Libyen angrenzenden afrikanischen Tschad von der dortigen Polizei festgehalten. Der gegenüber führte Grams aus, "Terrorist zu sein und zu einer Gruppe von ungefähr 20 Personen verschiede­ner Nationalitäten zu gehören, darunter vor allem Neuseeländer, Kanadier, Australier, BRD-Bürger und Araber. Diese Gruppe sei mit zwei Leyland-Lastern über Mobaye nach Zaire eingereist. Ziel sei Goma, eine Stadt an der Grenze zu Ruanda gewesen."3

Das deutet auf die international zusammengesetzte Terror­gruppe AIIB (Anti-Imperialistische Internationale Brigaden) unter der Führung der Japanischen Roten Armee4, die in Europa ab Mitte der 1980er Jahre Anschläge auch zusammen - wie von der Justiz aufgedeckt - mit deutschen Terroristen unternommen hatte. Grams war im Tschad an Malaria erkrankt, musste die Gruppe verlassen und weigerte sich, etwas über den Inhalt der Ladung zu offenbaren.

Da er seinerzeit der BRD-Botschaft übergeben wurde, ist zu folgern, dass dieses Vorkommnis im Zusammenhang des libysch-tschadischen Grenzkrieges den deutschen Behörden bekannt wurde. Wo er von der BRD-Botschaft dann anschließend sich hinbewegte, ist nicht bekannt.

Seit vielen Jahren bringt der in die USA ausgewanderte, ehemalige DDR-Bürger Wolfhart Willimczik Grams’ Leben in der DDR ins Gespräch. Er wüsste sicher, dass Grams für die Stasi tätig war und in der DDR eine paramilitärische Ausbildung erhalten habe. Dass Grams von der DDR "adopiert" wurde, dafür sprechen auch seine Registrierungen im Informationssystem (INPOL) der BRD-Polizei, die sich in den Stasi-Akten wieder finden. Diese Dokumente liegen für zahlreiche der in den 80er Jahren vom bundesrepublikanischen Erdboden verschwundenen Terroristen vor.

Es ist anzunehmen, dass sie in der BRD mit Decknamen reisten. Im Folgenden sind Grams BRD-Aufenthalte, bzw. Grenzübertritte mit Datum und Ort der Erfassung in der BRD aufgelistet. Putt bedeutet Puttgarden, seinerzeit deutsch-deutsch-dänischer Grenzübergang.

1985: 18.3.85 Putt, 2.4.85 Putt, 14.5.85 Putt, 27.5.85 Putt, 24.10.1985 Putt

1986: 26.11.86 1:41 o.O.

1987: 10.10.87 17:12 München, 1.1.87 20:10 West-Berlin, 2.12.87 10:17 Stuttgart, 14.12.87 2:43

1988: 17.5.88 8:26 o.O., 24.5.88 21:26 Wackersdorf, 22.8.88 22:28 Bebra (mit Viett), 23.8.88 8:00 BaWü, 24.8.88 22:57 Wackersdorf, 7.8.88 3:31 Kehl

1989: 28.2.89 14:44 Wackersdorf, 10.3.89 15:34 Bebra, 31.3.89 9:34 o.O., 7.4.89 19:35 Frankfurt/Main, 7.6.89 11:25 Buechen, 10.6.89 14:51 Wolfsburg (mit Hogefeld, Callsen, Lotze), 6.7.89 0:07 Mainz, (auch: Friderichs Hans), 10.7.89 11:57 Emmerich Kleve, 7.8.89 14:57 Nürnberg (auch: Ernesto Thorsten), 19.8.89 17:08 Helmstedt, 17.9.89 2:36, Frankfurt/Main, 4.10.89 14:09 Buechen, 24.10.89 0:59 BaWü, 26.10.89 20:21 BaWü, 12.11.89 15:54 Kehl.5

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