NSA und der europäische Sturm im Wasserglas

Nach Bekanntwerden der exzessiven amerikanischen und britischen Lauschprogramme gibt es große Empörung in der Politik, das war schon mal bei Echelon so

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Die Bundesanwaltschaft will immerhin prüfen, ob die NSA-Lauschaktivitäten in Deutschland mit dem Recht vereinbar sind. Man darf vermuten, dass es zu keiner Vermittlung kommen wird. Die Bundesregierung übt sich noch im Schweigen oder in vorsichtigen Anfragen und wähnt sich im "Neuland", einzig die liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert - ebenso wie Politiker der Oppositionsparteien - laut und deutlich die sich gegen Deutschland richtenden Lauschangriffe der NSA. Die würden nach Angaben des Spiegel monatlich 500 Millionen Kommunikationsverbindungen in Deutschland überwachen, täglich bis zu 20 Millionen Telefonate. Auch Botschaften und die Bundesregierung seien das Ziel von Lauschangriffen - mit Terrorismusabwehr, so viel ist klar, kann hier nicht mehr hantiert werden.

Die Echelon-Länder Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland werden angeblich nicht ausgehorcht, Deutschland ist, wie andere EU-Länder, nur Partner dritter Klasse, wenn auch insofern herausgehoben aus der Masse der anderen, weil am stärksten im Visier der amerikanischen Geheimdienste. Großbritannien ist zwar sprödes Mitglied der EU, aber auch die EU-Vertretungen in New York und Washington sowie Botschaften anderer EU-Länder wie die von Frankreich, Italien oder Griechenland sind nach den von NSA-Whistleblower Snowden geleakten Dokumenten Ziel der Lauschangriffe, bei denen auch direkt Daten etwa durch Wanzen abgezapft werden. Beliebt macht sich die US-Regierung auch bei anderen befreundeten Staaten wie Japan, Südkorea, Indien oder der Türkei.

Die US-Regierung will offenbar noch den Sturm im deutschen und europäischen Wasserglas aussitzen, während sich die britische Regierung immerhin genötigt sieht, im Rahmen einer Videokonferenz am Montagnachmittag Fragen aus deutschen Ministerien über die umfassenden Lauschaktivitäten des Geheimdienstes CGHQ mit seinem Tempora-Programm wohl weniger zu beantworten, als mit dem Gesprächsangebot die Wogen zu glätten.

Man kennt die Aufregung noch aus den neunziger Jahren, als noch vor dem alle Überwachungsschleusen öffnenden 11/9 bekannt wurde, dass mit dem damals noch bescheidenen Echelon-System weltweit Kommunikation, auch die von befreundeten Nationen, abgehört wurde (Die Rückkehr von Echelon oder dem Projekt Total Information Awareness), siehe auch das Telepolis-Special zu Echelon).

Zwar fordert auch die EU-Kommission Aufklärung von den USA, durch die praktischerweise die meisten globalen Kommunikationsdaten fließen, aber was soll herauskommen, wenn EU-Mitgliedsland Großbritannien fleißiger Mitarbeiter des großen Bruders ist? Das Freihandelsabkommen platzen zu lassen, dürfte nicht mehr als eine Drohung sein. Wenn auch jetzt wieder ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments von den Grünen Katrin Göring-Eckardt oder Christian Ströbele gefordert wird, dann könnte das Thema damit eine Weile lang am Kochen gehalten werden. Dass dabei etwas herauskommt oder wirkliche Konsequenzen folgen, ist aber illusorisch.

Es müssten dann auch die Regierungen mitziehen, was ebenso wenig zu erwarten ist, wie dies im Rahmen des Echelon-Untersuchungsausschusses geschehen ist - als übrigens Rotgrün in Deutschland an der Macht war. Dort kam nach langem Tauziehen ein nahezu nichtssagender Abschlussbericht zustande. Was sollte man auch erwarten, schließlich lauschen alle Geheimdienste nach ihren Möglichkeiten und bauen europäische Staaten und die EU auch ihre Lauschaktivitäten aus. Zu Zeiten von Echelon wurde auch das europäische Enfopol-Programm bekannt, mit dem Abhörstandards durchgesetzt wurden (siehe Telepolis-Special Enfopol).

Man ist halt unter Freunden - und auf der Ebene der großen Politik wird mit noch härteren Mitteln als in der Lokalpolitik gekämpft, zumal es keine gemeinsamen gesetzlichen Regelungen gibt, die das Lauschen im Ausland verbieten, wobei in den USA für die Beteiligung eines ausländischen Kommunikationspartners nur eine gewisse, vom Geheimdienst selbst beurteilte Glaubwürdigkeit von mehr als 51 Prozent verlangt wird - eine scheinlegale Beschränkung oder Symbolpolitik. Es gibt allerdings das Cybercrime-Gesetz, nach dem die Regierungen national regeln, was illegales Abhören ist. Und wie sollte Bundeskanzlerin Merkel auch gegen das NSA-Lauschen protestieren wollen, wie das Oppositionspolitiker im Wahlkampfmodus einfordern, wenn der Bundesnachrichtendienst gerade seine Lauschaktivitäten ausweiten und sich deswegen - politisch gewollt - technisch und personell aufrüstet?

Man schätzt das Budget des BND bislang auf um die 400 Millionen Euro, jetzt werden es also mehr werden. Der Direktor der US-Geheimdienste (DNI) hat gerade seine Forderungen für das Haushaltsjahr 2014 bekannt gemacht: schlappe 52 Milliarden US-Dollar. 2012 waren 53 Milliarden bewilligt worden, die Gesamthöhe betrug allerdings mehr als 75 Milliarden US-Dollar. Dazu kommen aber noch weitere Gelder in unbekannter Höhe. Wofür die Gelder verwendet werden, wird nicht gesagt, es geht schließlich um Geheimdienste. Bis vor kurzem war auch das Budget geheim - der Feind hört mit. Und der besteht nicht nur aus feindlichen ausländischen Mächten und befreundeten Regierungen, sondern auch aus den eigenen Bürgern.

Vermutlich haben fast 5 Millionen US-Amerikaner Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen, so dass sie auf geheime Daten zugreifen können. Das wird immerhin dafür sorgen, dass es noch mehr Snowdens geben wird.