Wovon Arbeiterkinder wirklich profitieren würden

Eine Nachlese und ergänzende Gedanken zum Artikel über die Diversitätler

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Vor ein paar Tagen schrieb ich an dieser Stelle über die didaktischen Empfehlungen der FU Berlin hinsichtlich Studierenden aus nicht-akademischem Umfelde, die anscheinend nicht nur in seiner herablassend-paternalistischen Art missfiel. Dieser Artikel führte zu überraschend vielen Reaktionen. Zeit für eine kleine Nachlese und ein paar ergänzende Gedanken.

Die Diversitäts-Website der FU Berlin war kurzfristig offline, ist jetzt aber in altem Glanze und unmodifiziert wieder verfügbar, lediglich ergänzt um die Bitte nach konstruktiver Kritik. Voilà:

  1. "Layer" könnte man hier als "Schicht" übersetzen.
  2. Die Durchkopplung ist im Deutschen verpflichtend (boshafte Zeitgenossen verwenden garstige Ausdrücke für Kopplungsfehler).
  3. Der gesamte Bereich mit den didaktischen Ratschlägen hinsichtlich Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien sollte entfallen, solange kein Grund beigebracht werden kann, wieso hier zwischen Studierenden verschiedener Herkunft zu unterscheiden sei.
  4. Man sollte sich auch überlegen, ob es wirklich der Gender-Gerechtigkeit dient, das Fehlen eines Y-Chromosoms als Behinderung anzusehen (jedenfalls scheint dies der Hinweis zu suggerieren, die Verwendung "gendergerechter Formulierungen" sei Studierenden "mit besonderen Bedarfen" zuträglich).

Frau Urbatsch von Arbeiterkind.de (selbst übrigens kein blue-collar-Arbeiterkind, sondern Tochter zweier Bankangestellter), die anscheinend die Urheberin der problematischen FU-Empfehlungen ist, lässt sich im Stern wie folgt zitieren:

Es gehe vielmehr darum, die Lehrenden dafür zu sensibilisieren, dass nicht jeder unter Akademikern groß geworden ist und die Vorlesung entsprechend zu gestalten. Etwa durch die Vermeidung einer unnötig komplizierten akademischen Sprache. Diese Maßnahme würden mit Sicherheit auch die Akademikerkinder nicht ablehnen.

Ein kleines Gedankenexperiment - wir ersetzen im Geiste "Akademiker" durch "Weiße" und gruseln uns beim Lesen des Resultats - zeigt, dass die bisherige Kritik anscheinend weiterhin unverstanden bleibt (gleichwohl wertschätze ich den Beitrag von Frau Urbatsch - wem dieser Spruch arrogant scheint: sorry, nicht meine Idee, ich folge hier nur einer didaktischen Empfehlung). Es wird munter weiter propagiert, dass der geistig schlichte Proletariernachwuchs von einfacher Sprache profitieren würde, während die klugen und gönnerhaften Akademikerkinder sicher nichts dagegen hätte, das allgemeine Niveau zu Nutzen und Frommen der pittoresken Kommilitonen mit den Schiebermützen ein wenig herunterzuschrauben. Mit solchen Freunden und Unterstützern brauchen wir Arbeiterkinder keine Feinde mehr.

Sind Arbeiterkinder doof?

Überhaupt scheint die Vorstellung, Arbeiterkinder seien automatisch doof, tief bei Arbeiterkind.de verwurzelt zu sein. In einem scharfsinnigen Beitrag hat eine Bloggerin einige der wichtigsten Probleme zusammengefasst, die einem als Kind aus nicht akademischem Haushalte an der Universität begegnen, darunter "Ich wusste nicht, dass man mit exzellenten Noten so bald wie möglich Stipendien beantragen sollte".

Und wie klingt das dann - nicht versteckt, sondern ganz groß als Hauptaussage - im Stipendienbereich von Arbeiterkind.de?

Wenn Deine Noten nun noch mindestens im Zweier-Bereich liegen, lohnt eine Bewerbung auf jeden Fall. Mach Dir keinen Kopf, wenn auf deinem Zeugnis mal Notenausrutscher dabei ist, darauf kommt es nicht an. Einige Stipendiaten haben sogar einen Abi-Schnitt mit einer Drei vor dem Komma.

Anscheinend glaubt man bei Arbeiterkind.de, der wichtigste Tipp, den man Arbeiterkindern in Sachen Stipendienbewerbung geben könnte, es trotz ihrer anscheinend unweigerlich mäßig brillanten Noten doch einmal zu versuchen.

Die Büchse der Pandora

Immerhin will Frau Urbatsch laut Stern-Artikel nicht, dass Dozenten erheben, welche ihrer Studierenden aus nicht-akademischen Familien stammen. Aber die Pandora-Büche ist bereits geöffnet: Der mit weitem Abstand verstörendste Beitrag in der gesamten Debatte stammt von einem Dozenten der Universität Groningen, immerhin im Assistant-Professor-Rang, der auf die Frage, wie man erkennen soll, ob der Student einen bildungsfernen Hintergrund hat, antwortet, man könne "in Bewerbungsunterlagen für Studien- oder Stipendienplätze danach fragen". Wo soll das enden? Soll man auch noch die Religion und sexuelle Identität der Studierenden abfragen, um ihnen einen wirklich maßgeschneiderten Unterricht zu gewährleisten?

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