9/11, die NATO und der Krieg

Eine hochrangig besetzte Konferenz in Bremen war ein neuer Versuch, über 9/11 auf akademischer Ebene zu diskutieren

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Eine kritische Diskussion zu den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem kurz danach erklärten NATO-Bündnisfall steht weiterhin aus. Nun hat erstmals eine hochrangig besetzte Juristen-Konferenz das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Auch im Lichte der NSA-Lauschangriffe, die offiziellen Angaben zufolge der Terrorabwehr dienen, gewinnt die Debatte an Brisanz.

Während sich die Kommentatoren noch uneinig sind, ob Whistleblower Edward Snowden nun als Verräter der USA oder doch als Held westlicher Bürgerrechte einzuordnen ist, scheint es zugleich einen breiten Konsens darüber zu geben, dass die geheimdienstliche Rundum-Überwachung zumindest vor drohenden Terroranschlägen schützt. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang die sogenannte "Sauerland-Zelle" erwähnt, deren Treiben 2007 erst durch den US-Geheimdienst aufgedeckt worden war - gerade noch rechtzeitig vor einem möglichen Anschlag.

Unerwähnt bleibt dabei freilich, dass der Lieferant jener Bombenzünder damals ein Geheimdienstspitzel mit CIA-Kontakten war, und dass der Vordenker der Zelle von deutschen Diensten zuvor als V-Mann geführt wurde (Ferngelenkte Terroristen?). Eine Konstellation, die der amerikanische Journalist Trevor Aaronson in seinem aktuellen Buch "The Terror Factory" nun als Muster entlarvt hat. Er fand heraus, dass fast die Hälfte aller Terror-Ermittlungsverfahren des FBI seit 9/11 auf der Vorarbeit von Spitzeln beruhten, von denen viele erst mit großen Geldbeträgen vom FBI zur Terrorplanung bewegt wurden.

Im Ergebnis dient jeder (verhinderte) Terroranschlag zugleich als Rechtfertigung für stetig wachsende Behördenapparate, für Überwachung, Kontrolle und nicht zuletzt militärische Interventionen im Ausland. Der Ruf nach Aufklärung ist in diesem Zusammenhang von deutscher Regierungsseite selten zu vernehmen. Einzig Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger lässt Sorge um das Wuchern und die Ambivalenz der vermeintlich schützenden Geheimdienste erkennen - und fordert die Einhaltung klarer rechtlicher Grenzen.

"Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" lautete in diesem Sinne auch der Titel einer Tagung, die in diesem Frühjahr an der Universität Bremen stattfand. Ausdrücklich hatten die Veranstalter der "International Association of Lawyers against Nuclear Arms" (IALANA) auch Fragen zu 9/11 mit ins Programm genommen hatte. Es ging unter anderem um die bislang fehlende öffentliche Aufarbeitung der juristischen Kontroversen rund um 9/11 und den NATO-Bündnisfall, also um die Kriegserklärung der NATO auf Basis eines ungeklärten Terroranschlags.

Das Spektrum der Vortragenden war breit und hochrangig. Zu den mehr als 50 Referenten gehörten unter anderem Dr. Hans-Christof Graf von Sponeck, ehemaliger Beigeordneter des UN-Generalsekretärs, Prof. Dr. Christopher Weeramantry, ehemaliger Vizepräsident des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, Dr. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Wolfgang Nescovic, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, sowie Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg.

Fragen zum Bündnisfall

Kaum weniger spannend war die Liste der Referenten, die eine Teilnahme abgesagt hatten. Zur Podiumsdiskussion "Der NATO-Bündnisfall - Rechtliche Nachfragen", die einen Schwerpunkt der Konferenz bildete, erschienen nach Angaben der Veranstalter nicht:

  • Frank-Walter Steinmeier, 1999-2005 Chef des Bundeskanzleramtes (Terminschwierigkeiten)
  • Ludger Volmer, 1998-2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt (nach eigener Auskunft fehlende Bereitschaft, sich für die Entscheidung der damaligen Bundesregierung Kritik anzuhören)
  • Kerstin Müller, 2002-2005 Staatsministerin im Auswärtigen Amt (Terminschwierigkeiten)
  • Rudolf Scharping, 1998-2002 Bundesverteidigungsminister (Nichtbeantwortung der Einladung)

Eine Debatte der Legitimität des NATO-Bündnisfalls ist den damals direkt Verantwortlichen erkennbar unangenehm. Führte diese Entscheidung doch auf direktem Wege die Bundeswehr nach Afghanistan. Begründet wurde der Bündnisfall damals damit, dass die Anschläge von 9/11 "von außerhalb der USA" gekommen seien - eine Erklärung, die bis heute in Zweifel steht. Denn die entführten Maschinen waren allesamt Inlandsflüge, die mutmaßlichen Attentäter hatten vorher lange Zeit in den USA gelebt, und eine Verantwortung des in Afghanistan residierenden Osama bin Laden wurde nie juristisch relevant nachgewiesen - worauf bereits in der Vergangenheit auch Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, öffentlich hingewiesen hat.

Die These der Terrorplanung in Afghanistan stützt sich bis heute im Wesentlichen auf die Aussagen in Geheimgefängnisse verschleppter und dort gefolterter Gefangener, wie Abu Subaida, Ramzi Binalshibh und Khalid Sheikh Mohammed.1 Deren Aussagen wurden nie von einem unabhängigen Gericht überprüft, nicht einmal die Ermittler der offiziellen 9/11 Commission hatten Zugang zu den vermeintlichen Kronzeugen, wie selbst der Abschlussbericht der Kommission einräumt.2

Zum Zeitpunkt der Erklärung des Bündnisfalls im Oktober 2001 hatte der damalige NATO-Generalsekretär George Robertson schlicht verlauten lassen, es sei nicht notwendig, dass die USA Beweise über die Hintermänner vorlegten. Es reiche aus, wenn die Regierung in Washington mitteile, dass die Anschläge im Ausland organisiert worden seien.