Agressive Atheisten und solche, die kirchlich heiraten

Eine US-Studie unternimmt die Typologie einer verkannten Geisteshaltung

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Atheisten unterscheiden sich voneinander - was wie eine Selbstverständlichkeit erscheint, steht in einem anderen Licht, wenn Vorurteile und amtliche Kategorisierungen das Maß liefern. Stereotypisch bilden Atheisten in ihrer Dogmatik und Agressivität, die ihnen pauschal unterstellt wird, eine homogene Einheit, wenn nicht gar eine eigene und einheitliche Kirche, die mit den konfessionellen ein großes Thema teilt, Gott. Und in Pass- und anderen amtlichen Dokumenten werden Atheisten allesamt, ohne weitere Unterscheidung, unter "konfessionslos" in eine Kategorie geworfen. Eine wissenschaftliche Arbeit aus der psychologischen Fakultät der University of Tennessee at Chattanooga (UTC) suchte nach Differenzierungen.

In der mit selbstironischen Untertönen gewürzten Darstellung der Studie stellen die Autoren sechs Kategorien auf, die in der Summe auf ein starkes, absolutes "Nein" gegenüber den Vorurteilen, alle Atheisten seien streitlustig, aggressiv und dogmatisch, hinauslaufen, im Einzelnen sich aber nicht als ewige Wahrheiten verstehen. Grundlage der Studie waren qualitative Interviews mit 59 Personen und daran angeschlossen eine quantitative Erhebung von 1.000 Nichtgläubigen aus allen Teilen der USA, die sich zu einem Internetinterview mit 300 Fragen bereit erklärten.

Anti-Theisten

Dem Vorurteil "aggressiv und dogmatisch" am nächsten kommt laut der Arbeit von Christopher F. Silver und seinen Kollegen der Nichtgläubige des Typs "Anti-Theist", der unter die vierte Kategorie subsumiert wird und mit 14,8 Prozent die drittstärkste Gruppe bildet. Als Kennzeichen wird genannt, dass der Anti-Theist sich diametral der religiösen Ideologie entgegensetzt und seine Ansichten "proaktiv und aggressiv" anderen gegenüber äußert, sobald er das für angemessen hält, aus pädagogischen Gründen. Religion ist in den Augen der Anti-Theisten Zeichen für Ignoranz, jeder, der damit in irgendeiner Weise verbunden ist, gilt ihnen als rückständig und sozial schädlich:

Die Anti-Theisten haben ein klares - und in ihren Augen überlegenes - Verständnis der Begrenzungen und Gefahren der Religion.

Manche unter ihnen fühlen sich wegen der logischen Lücken der Religion und deren antimodernen Weltanschauungen dazu verpflichtet, die Anhänger der Religion eines Besseren zu belehren und in Feldern, die sich dafür anbieten, gegen die Religion in ihren unterschiedlichen Erscheinungen und Institutionen anzukämpfen, während andere sich auf mit einer individuellen Auseinandersetzung, etwa im Vier-Augen- oder Tischgespräch begnügen. Trotz aller Agressivität, die dabei zum Zug kommen kann, sei die Reaktion der Antitheisten auf Religionsanhänger oft von sozialer und psychologischer Reife getragen.

Der am meisten verbreiteten Form (37 Prozent) des Atheismus, die auch als erste Kategorie genannt wird, haben die US-Forscher das Label "Intellectual Atheist/Agnostic (IAA)" gegeben. Sie würden sich durch das Streben nach intellektueller Bildung, die Suche nach Wissen, auszeichnen. Diese Atheisten seien üblicherweise sehr belesen und gut unterrichtet über Schriften zu Glauben und Unglauben, die sie dann in Diskussionen und Debatten, beides sehr von ihnen geschätzt, stolz zitieren würden.

Die intellektuellen Atheisten/Agnostiker, Aktivisten und suchende Agnostiker

Besonders Diskussionen, bei denen erkenntnistheoretische Positionen in der Frage über die Existenz Gottes zu Tragen kommen würden von diesem Typus geschätzt, der außer intellektuelle Bücher auch viel im Internet lese und sich aus "Blogs, Youtube, Podcasts etc." weiträumig Informationen und Kenntnisse sammelt, die er auch gerne online diskutiert und dabei lernt.

The modus operandi for the Intellectual Atheist/Agnostic is the externalization of epistemologically oriented social stimulation.

Der Typus, der die soziale Einmischung akzentuiert, wird unter die dritte Kategorie als "atheistischer/agnostischer Aktivist" eingeordnet. Mit 23 Prozent ist dies zweitgrößte Gruppe der Atheisten. Ihnen geht es mehr als den anderen darum, nicht nur eine Position der Art "Ich bin gläubig" oder "Ich bin nicht gläubig" zu halten, sondern sich bei bestimmten politischen Themen - wie etwa die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren, Laizismus, Tierrechte - gegen kirchliche oder religiöse Positionen zu engagieren. Der Aktivist ist, wie die Bezeichnung verrät, nicht untätig, er setzt seine Überzeugungen und Interessen um, so die Definition der Wissenschaftler.

Dem folgt dann ein Typus, den die Unsicherheit, vielleicht gar das Absurde im Sinne Camus, fasziniert: der suchende Agnostiker ("Seeker-Agnostic"). 7,6 Prozent der Gesamtbefragten wurden derart kategorisiert. Für sie ist die Existenz Gottes oder Gottähnlichem unsicher, aber in der Komplexität der Fragestellungen, die damit verbunden sind, faszinierend und das menschliche Erkenntnisvermögen beschränkt. Zwar sind sie von Wissenschaft und Bildung angetan, der Zweifel, mit dem sie Behauptungen der Existenz Gottes gegenüberstehen, erstreckt sich auch auf wissenschaftliche Wahrheitsbehauptungen. Sie können zeitweise gar die Fronten wechseln, heißt es.

Seeker-Agnostics should in no way be considered "confused." For the Seeker-Agnostic, uncertainty is embraced.

Nicht-Theisten

Als fünfte Gruppe firmieren die "Nicht-Theisten". Das Kennzeichen dieser Kategorie beschreiben die Forscher über einen Umweg. Denn nur die wenigsten würden sich selbst so bezeichnen, sondern es seien in den meisten Fällen andere, die aufgrund ihrer Erfahrungen manche Atheisten derart typologisieren. So stellen die Nicht-Theisten auch mit 4 Prozent den kleinsten Anteil.

Charakterisiert werden sie durch Gleichgültigkeit gegenüber allem Religiösen. Religion spielt weder in ihrem Bewusstsein, noch in ihrer Weltsicht eine Rolle; sie seien auch politisch nicht an der Stärkung einer "säkularen Agenda" interessiert. Religion ist ihnen völlig egal. Sei glauben einfach nicht daran.

Their absence of faith means the absence of anything religion in any form from their mental space.

Die letzte Kategorie ist die eigentliche Überraschung der Studie und ein schönes Exempel dafür, dass Typologien tatsächlich doch auch einmal etwas aufdecken.

Atheisten auf Ritualbesuch

Es geht bei der sechsten Kategorie eigentlich um versteckte Atheisten, an die man normalerweise nicht denkt, wenn der Begriff "Atheist" fällt. Es dürfte viele von ihnen geben: Man sieht sie auf Taufen, in Kirchen, beim Meditieren, bei Konfirmationen, als Ehepaar bei der kirchlichen Hochzeit, auf jüdischen Festen und sehr wahrscheinlich auch auf muslimischen Festen, wie überhaupt oft auf Zeremonien, die durchaus als religiös zu bezeichnen sind - die Atheisten/Agnostiker, die solche Rituale mögen, denen aber der Glaube an Gott völlig fehlt. "Ritual Atheist/Agnostic (RAA)" wird diese Kategorie von den Wissenschaftlern genannt. Ihr Anteil an der Gesamtmenge beträgt 12,5 Prozent.

Die Teilnahme an den religiösen Ritualen mag ethnisch begründet sein, mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, über Traditionen, Gepflogenheiten, aber durchaus mit einer eigenen Lust daran, oder weil man es nützlich findet und möglicherweise denkt, dass solche Rituale, wie etwa Joga, irgendetwas verbessern, was, so die Studienautoren zum Fehlschluss führen könnte, dass die RAAs spirituelle Personen sein könnten. Sind sie aber nicht: Darauf angesprochen würde dieser Typus ohne Umschweife betonen, dass man entweder Atheist oder Agnostiker sei - "Mit Respekt für Symbolisches in religiösen Ritualen, Glaubensansichten und Zeremonien."