Fall Mollath: Bayreuther Klinik versucht Befreiungsschlag

Grünen-Politiker erhebt Vorwürfe gegen Aufsicht der Klinik - Presseanfrage an BKH seit vier Wochen unbeantwortet

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Die Forensische Psychiatrie in Bayreuth hat ein Problem: Seit vielen Monaten ist die Klinik und mit ihr das Bezirkskrankenhaus Bayreuth wegen des zwangspsychiatrisierten Gustl Mollath unter Druck. Insbesondere Dr. Klaus Leipziger, Chefarzt der Forensischen Psychiatrie in Bayreuth, steht wegen seiner umstrittenen Gutachten im Fall Mollath in der Kritik. Nun reagieren die Verantwortlichen der Klinik - unter Schützenhilfe eines Anwalts.

Unter der Überschrift "Stellungnahme des Kommunalunternehmens Kliniken und Heimen des Bezirks Oberfranken" hat die Klinik ein Schreiben des Rechtsanwalts Karsten Schieseck veröffentlicht, in dem die Klinik sich gegen die Angriffe zu wehren versucht.

Insgesamt vier "Thesen", die den Fall Mollath umgeben und die allesamt negativ für die Klinik sind, wollen die Verantwortlichen mit Hilfe des Anwalts widerlegen. Kurz gesagt will die Klinik festgestellt haben:

  • Gustl Mollath sitzt nicht alleine wegen seiner Schwarzgeldvorwürfe in der Psychiatrie ein
  • Bevor Leipziger ein Gutachten über Mollath erstellt habe, habe er immerhin mit dem Patienten gesprochen
  • Das Gutachten von Leipziger, wie es im Ausgangverfahren verwendet wurde, sei nicht das einzige Gutachten, das die Gerichte in dem Fall berücksichtigt haben
  • Mollath erfahre keine gesetzeswidrige und auch keine unangemessene Behandlung in der Klink. Aufsichtsführende Behörden hätten auch keine Verstöße festgestellt.

Erika Lorenz-Löblein, die Verteidigerin von Mollath, hat sich die Stellungnahme der Klinik angeschaut und stellt neben anderen Kritikpunkten gegenüber Telepolis fest, dass Leipziger als Gutachter komplette Akteneinsicht gehabt habe. "Bestandteil der Akten", so merkt Lorenz-Löblein an, "war die Verteidigungsschrift meines Mandanten, also die 106 Seiten, mit dem Briefverkehr der Bank - mit dem Hinweis auf Revision -, sowie Faxe über Anweisungen von Nummernkonten."

Ein Gutachten ist nach § 25 der ärztlichen Berufsordnung nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Herr Dr. Leipziger hätte also - vor einer Feststellung eines Wahnsymptoms - beim Gericht anfragen müssen, wie er damit umzugehen habe, dass einerseits ein Wahn bestehen soll, aber andererseits sich in den Akten Dokumente befinden, die Beweis bieten, dass die Aussagen des Herrn Mollath wahr zu sein scheinen. Diese unterlassene Nachfrage beim Gericht ist meines Erachtens eine Verletzung der ärztlichen Pflichten bei der Begutachtung von Herrn Mollath.

Erika Lorenz-Löblein

Lorenz-Löblein spricht auch an, dass möglicherweise eine weitere Pflichtverletzung Leipzigers im Raum stehe. Leipziger habe, so die Anwältin, ihren Mandanten - der immerhin als gefährlich und wahnkrank eingestuft wird - am 21. März 2005 zunächst in die Freiheit entlassen. Erst am 25. Juli sei das Gutachten von Leipziger an das Gericht gesendet worden: "Wie kann es Herr Dr. Leipziger mit seinen ärztlichen Pflichten vereinbaren, einen nach seiner Meinung gefährlichen Mann auf die Bevölkerung loszulassen?"

In der aktuellen Stellungnahme der Klinik wird auch von einer "ausufernden und teilweise völlig verzerrten oder gar falschen Berichterstattung in verschiedenen Funk- und Printmedien sowie insbesondere auch im Internet" gesprochen. Gleichzeitig verweist die Klinik auf ihre transparente Haltung in der Affäre Mollath und verspricht, interessierten Vertreter der Medien - nach vorheriger terminlicher Absprache - einen "Einblick in die Durchführung des Maßregelvollzugs zu gewähren."

Die verkündete Transparenz der Klinik scheint jedoch nicht auf Presseanfragen zuzutreffen. Seit nun mehr vier Wochen wartet Telepolis auf die Beantwortung verschiedener Fragen, die an den Vorstand der Klinik und an Klaus Leipziger gestellt wurden. Die Klinik weigerte sich gar bei telefonischen Anfragen den Namen eines konkreten Ansprechpartners aus dem Vorstand zu nennen. Für ein kommunales Unternehmen ein beschämendes Verhalten. Die gestellten Fragen sollen daher hier veröffentlicht werden:

Fragen an den Vorstand

  • Der Chefarzt der forensischen Psychiatrie hat Gutachten über Herrn Mollath erstellt. An wen erfolgte die Vergütung für die Gutachten?
  • In der Pressemitteilung ihres Hauses heißt es: "Über Herrn Mollath wird behauptet, dass seine Telefonate abgehört wurden. Jede Station verfügt über ein Patiententelefon mit einer sog. Sprechhaube, von dem aus jeder Patient vertraulich, das heißt ohne dass mitgehört werden kann, telefonieren kann. Die Telefonanlage des Bezirkskrankenhauses verfügt über keine technischen Vorkehrungen, dass abgehört werden könnte. Zudem besteht für Patienten die Möglichkeit, während des Ausganges in das Gelände dort ungestört zu telefonieren. Wenn Herr Mollath lautstark, ohne Nutzung der Sprechhaube, im Angesicht von Mitarbeitern telefoniert, scheint er auf die mögliche Vertraulichkeit des Gespräches keinen Wert zu legen." Uns geht es in dieser Frage um folgende Aussage: "Wenn Herr Mollath lautstark, ohne Nutzung der Sprechhaube, im Angesicht von Mitarbeitern telefoniert, scheint er auf die mögliche Vertraulichkeit des Gespräches keinen Wert zu legen." Die Anwältin von Herrn Mollath, Erika Lorenz-Löblein, hat festgestellt, dass Telefonate zumindest zum Teil schriftlich protokolliert wurden. Warum? Selbst wenn Herr Mollath, wie in der Pressemitteilung behauptet, "lautstark" am Telefon spricht, so dass Mitarbeiter Gespräche mitbekommen sollten, wieso werden Inhalte dann protokolliert? Wie kommt es, dass ein Mitarbeiter Inhalte eines Telefonats mit der Verteidigung in der Krankenakte dokumentiert? Wie ist die Position des Vorstands zum Thema "Protokolle von Telefonaten"?
  • In der Pressemitteilung Ihres Hauses heißt es weiter: "Nicht Aufgabe eines forensisch tätigen Gutachters ist es, Sachverhalte festzustellen und diese rechtlich zu würdigen. Diese Aufgabe kommt in unserem Rechtsstaat einzig den Gerichten zu." Ihr Chefarzt Dr. Leipziger hat erst kürzlich gesagt, dass, wenn die Gerichte zu einer anderen Entscheidung kommen sollten, awas die angeblich festgestellten kriminellen Sachverhalte angeht, die Herr Mollath vorgeworfen werden, dann würde er, also Dr. Leipziger, möglicherweise auch sein Gutachten ändern. Diese Position wirft Fragen auf: Heißt das, die von ihrem Arzt erstellten psychiatrischen Gutachten sind abhängig von den "Feststellungen" der Gerichte? Mit anderen Worten: Sind die psychiatrischen Gutachten, die von ihren Ärzten erstellt werden, immer im Einklang mit dem von den Gerichten gelieferten juristischen "Kenntnisstand"? Wenn dem so wäre, hieße das ja, dass ihre Psychiater bei einem evtl. Fehlurteil (welches durchaus mitunter vorliegen kann, da Gerichte natürlich auch fehlbar sind) einem Patienten eine entsprechende psychische Störung attestieren würden, ohne dass diese zwingend vorliegen müsste. Ist das richtig?
  • Ferner: Wie bewerten Sie als verantwortlicher Vorstand die Aussagen und die Haltung ihres Chefarztes Dr. Leipziger im Zusammenhang mit dem Fall Gustl Mollath?
  • Stehen Sie als verantwortlicher Vorstand hinter den Entscheidungen ihres Chefarztes Dr. Leipziger?

Fragen an Herrn Dr. Leipziger

  • Herr Mollath hat gesagt, dass er während seines Aufenthalts im BKH Bayreuth im Jahr 2006 beim Hofgang an Händen und Füßen gefesselt war? Wenn ja, aus welchem Grund?
  • Die Stellungnahmen des BKH gegenüber dem Gericht in den letzten Jahren sprachen sich gegen eine Freilassung Mollaths aus, weil er es ablehnte, sich behandeln zu lassen und deshalb eine "Deliktbearbeitung" nicht möglich sei (siehe hier, Seite 13). Daher die Frage: Wie sieht in Ihrer Klinik die Therapie aus, die, wenn Mollath zu ihr bereit gewesen wäre, zu einem "Behandlungserfolg" und zu positiven Prognose hätte führen können? Oder anders ausgedrückt: Welches war und ist der konkrete Behandlungsplan für Mollath, dessen erfolgreiche Durchführung an seiner mangelnden Kooperation scheiterte? Sollten sie diese Fragen aus datenschutzrechtlichen Gründen oder aus Gründen des Persönlichkeitsrechts ihres Patienten nicht beantworten können, bitte ich Sie die Fragen allgemein zu beantworten. Kommt es im BKH Bayreuth vor, dass Patienten beim Hofgang an Händen und Füßen gefesselt werden? Wenn ja, aus welchem Gründen? Wie geht das BKH Bayreuth mit einem Untergebrachten therapeutisch um, der die Tat leugnet und behauptet, es liege ein Fehlurteil vor? Im Zusammenhang mit den Persönlichkeitsrechten bzw. den datenschutzrechtlichen Aspekten möchte ich auf ihre Pressemitteilung verweisen. Sie schreiben: "Es wird ausschließlich zu Punkten Stellung genommen, die durch Unterstützer/Anwälte des Herrn Mollath bereits öffentlich gemacht und aus hiesiger Sicht einer Klarstellung bedürfen, den allgemeinen Ablauf in der Klinik für Forensische Psychiatrie beim Bezirkskrankenhaus Bayreuth betreffen." Die in den Punkten 1 und 2 angesprochenen Sachverhalte sind bereits öffentlich bekannt. Weitere Frage:
  • In der Pressemitteilung heißt es weiter: Über Herrn Mollath wird behauptet, dass er nachts alle zwei Stunden aufgeweckt wird, um ihn um seinen Schlaf zu bringen. Kein Patient der Klinik wird, wie öffentlich dargestellt, nachts zweistündig geweckt. Richtig ist vielmehr, dass, wie in Krankenhäusern üblich, in der Zeit der Nachtruhe zwischen 23:00 Uhr und 05:00 Uhr Mitarbeiter des Pflegedienstes Kontrollgänge auch mit einer Nachschau in den einzelnen Patientenzimmern durchführen, ohne dabei jedoch Patienten zu wecken." Was heißt: "Nachtschau"? Wie sieht diese "Nachtschau" bei ihnen in der Klinik aus? Ist es richtig, dass in die Zimmer geleuchtet wird? Ist es richtig, dass direkt auf die Patienten geleuchtet wird? Herr Dr. Leipziger, Sie werden in zahlreichen Medienberichten scharf angegriffen und für Ihr Verhalten kritisiert. Möchten Sie ihren Kritikern etwas sagen?

Offensichtlich finden auch die zuständigen Aufsichtsbehörden das Verhalten der Klinik nicht kritikwürdig. Der lokale Grünen-Politiker Andreas Lösche prangert auf seiner Homepage an, wie der Bamberger Landrat und Bezirkstagspräsident Dr. Günther Denzler (CSU) mit den Vorwürfen gegen die Klinik, die im Raum stehen, umgeht. Lösche verweist darauf, dass die Bezirksrätin Ulricke Heucken schon früh versucht habe, bei den Verantwortlichen auf lokaler Ebene das Agieren des BKH Bayreuth im Fall Mollath genauer zu untersuchen:

Im Gegenteil, der Bezirkstag unter seiner Leitung lehnt seither sämtliche Anträge Heuckens zum Fall ab. So einen ersten Antrag zu einem Ortstermin in der Forensik der Klinik. "Arztgeheimnis" heißt es da, Tischvorlagen Fehlanzeige, Antrag abgelehnt, "das geht uns nichts an!" Informationen, Dokumente und Berichte Heuckens an die Bezirkstagskollegen stoßen auf größtmögliche Ignoranz, zu diesem Zeitpunkt übrigens auch noch im Landtag. Selbst die Grüne Fraktion zeigt im Frühjahr 2012 noch kein Interesse am Fall Mollath, obwohl sich die Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Unterbringung mehrten. Heute hat die grüne Landtagsfraktion einen Untersuchungsausschuß eingerichtet. Und das ist richtig und wichtig so. Die grüne Bezirksrätin Ulrike Heucken bleibt hartnäckig, beantragt eine "Sondersitzung Mollath / Kulac" (zwischenzeitlich wurde im Falle Ulvi Kulac ebenfalls Wiederaufnahme beantragt), versorgt die 16 Kollegen im Bezirkstag mit umfassenden Materialien zu den Fällen und stößt doch wieder auf eine Mauer des Schweigens: "Das geht uns nichts an!

Der Grünen-Politiker kommt zu dem Schluss, dass die angesprochene Mauer des Schweigens noch immer steht. "Warum wird den Stellungnahmen eines Herrn Leipzigers und der ehemaligen Frau Mollaths noch immer uneingeschränkt und vollkommen kritiklos geglaubt? Und woran liegt es, dass sich kein einziger weiterer Bezirksrat in der Pflicht fühlt, hier für Aufklärung zu sorgen?", fragt Lösche.

Gegenüber Telepolis berichtet Heucken geradezu von einer bizarren Äußerung des Bezirkstagspräsidenten auf Anträge von ihr, die sie im Fall Mollath im Bezirkstag gestellt hat.

Demnach hat Denzler die Bezirksrätin schriftlich und mündlich auf den Paragraphen 120 StGB (Gefangenenbefreiung) hingewiesen. Heucken hatte lediglich in einem Antrag gebeten, die Freilassung von Mollath zu prüfen und hierfür entsprechende Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Der Hinweis von Denzler könnte man als eine Art Drohung verstehen.

Denzler war auf eine Anfrage von Telepolis nicht zu erreichen, doch Werner Roder, Geschäftsleiter des Bezirks Oberfranken, nahm zu den Vorwürfen Stellung. Er sagte, die Bemerkung von Denzler sei nur ironisch gemeint gewesen. Außerdem wies er die Kritik von Lösche entschieden zurück. Er sagte, der Verwaltungsrat habe sich intensiv mit der Kritik an der Klinik befasst, außerdem stehe man in enger Kommunikation mit Leipziger. Immerhin habe es auch eine Überprüfung durch das Sozialministerium gegeben und nichts sei beanstandet worden. Herr Lösche vermenge Justiz, Gerichtsentscheidungen und die Unterbringung von Mollath.

Zu der Nichtbeantwortung der Telepolis-Anfrage sagte Roder, er könne sich nicht vorstellen, dass die Klinik nicht bereit gewesen wäre, den Namen eines Ansprechpartners mitzuteilen und die Anfrage nicht zu beantworten. Wenn dem aber so sei, dann "ist das nicht in Ordnung", sagte Roder.

Auch die ehemalige Staatsanwältin Gabriele Wolff, die auf ihrem Blog den Fall Mollath immer wieder kommentiert, beobachtet das Verhalten der Aufsicht führenden Stellen. Sie fragt:

Mich würde einmal interessieren, wie ein Konflikt zwischen Fachaufsicht (Sozialministerium) und Dienstaufsicht (Bezirksverwaltung) gelöst wird: wer setzt sich letztendlich durch? Die Frage einer Suspendierung könnte inhaltlich doch nur durch die Fachaufsicht entschieden werden, aussprechen müßte sie aber die Dienstaufsicht. Und wenn die sich weigert?