Original-Vinyl als Wertanlage?

Christoph Best über die politische Ökonomie der Schallplatte

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In der Wirtschafts- und Finanzkrise sind mittlerweile zahlreiche klassische Wertanlagen wie etwa Gold unsicher geworden. Sind hiefür Schallplatten ein geeignetes Objekt? Ein Interview mit Christoph Best, der seit mehr als 20 Jahren einen Second-Hand-Plattenladen in München betreibt.

Herr Best, in den Medien ist von einem Trend weg von digitalen Tonträgern hin zum Vinyl die Rede. In welchen Größenordnungen spielt sich diese Entwicklung ab?

Christoph Best: Für Neuwaren kann ich als Second-Hand-Händler Ihnen diese Frage nicht beantworten, habe aber von einer sensationellen Zunahme des Verkaufsvolumens von zwei Prozent gehört, was hieße, dass sich ein minimaler Anteil verdoppelt hätte. Bei Second-Hand-Platten ist meiner Meinung nach aber kein solcher Trend zu verzeichnen. Es geht kontinuierlich weiter. Es mag sich an den Koordinaten etwas ändern, aber das Ergebnis bleibt sich im Endeffekt gleich.

Ging es Ihrem Geschäft gleichmäßig gut oder mussten Sie in den letzten Jahren auch mal bangen?

Christoph Best: Ein wenig Zweifel ist latent im Hintergrund immer dabei. Angenommen es wird ein Medium gefunden, welches den Charme der Schallplatte mit der angeblichen Qualität des Digitalen verbinden würde, dann könnte es eng werden. Aber für meine Lebenszeit mache ich mir darum keine großen Sorgen. Im Gegenteil: Als in den 90er Jahren alle mit fliegenden Fahnen zur CD übergelaufen sind, war mein Handel eine kleine Goldgrube, weil sich die kleine Gemeinde der Spezialisten sich umso mehr um das Vinyl gerissen hat, während viele Plattensammler in Sachen Vinyl geradezu Panikverkäufe veranstalteten.

: In der Finanzkrise wird immer wieder über Original-Vinyl als Wertanlage spekuliert. Was denken Sie darüber?

Christoph Best: Ich halte das für ausgesprochen riskant. Erst einmal, weil musikalischer Geschmack trotz der angeblichen ewigen Werte über einen längeren Zeitraum nicht vorhersehbar ist: Dinge, die heute als wertvoll gelten, können in einigen Jahrzehnten gar nicht mehr gefragt sein. Der Wert einer Schallplatte ist über einen Zeitraum von zehn bis zwanzig Jahren schwierig zu prognostizieren. Ich würde davon abraten, damit seine Altervorsorge sichern zu wollen. Jedoch als kurzfristiges Spekulationsobjekt mag es mit entsprechendem Kenntnisstand funktionieren. Dass ich so etwas verachtungswert finde, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Es ist ja auch anzunehmen, dass die Leute die angefangen haben, in den 60er und Siebziger Jahren angefangen haben, sich riesige Plattensammlungen anzulegen, irgendwann einmal das Zeitliche segnen werden und es in bislang ganz exklusiven Genres durchaus passieren kann, dass plötzlich von einer Rarität in kurzen Abständen auf einmal mehrere Exemplare wieder auftauchen ...

Christoph Best: Man glaubt ja heutzutage, durch das Internet die Preise besser objektivieren zu können als früher, als jeder Plattenladen und jede Stadt ein Biotop für sich war und deswegen die Preise nach regionaler Beliebtheit und Verfügbarkeit einer Platte ausgerichtet wurden. Jetzt wird die weltweite Quantität klarer, aber wir wissen nicht, welche Größenordnungen einer Platte in irgendwelchen Sammlungen feststecken und freiwillig oder unfreiwillig eines Tages wieder frei werden. In zehn bis fünfzehn Jahren sind in der Tat viele gediegene Northern-Soul-Sammler in einem Alter, in dem sie vermutlich nicht mehr viele Singles hören werden und dementsprechend die Preise purzeln können. Wer weiß?

Passiert es Ihnen häufiger, dass Leute, die einfach Geld brauchen, ihre Plattensammlungen anbieten?

Christoph Best: Einer der Faktoren, warum die Leute einem ihre Plattensammlung verkaufen wollen, ist tatsächlich der, dass sie finanziell klamm, beziehungsweise darüber hinaus sind. Aber in meinem Laden sind diese Verzweiflungsverkäufe über die Jahre nicht häufiger geworden.

Welche Original-Platten erzielen denn die besten Preise?

Christoph Best: Obskure Rock-Klassiker, Psychedelic-Platten, die damals nur in kleiner Auflage herauskamen und heute anerkannte Grundsteine modernen Rock-Verständnisses sind.

Wie sieht es bei Krautrock-Platten aus?

Christoph Best: Krautrock wurde seinerzeit relativ missachtet. Ich kann mich erinnern, dass eine Zeitschrift wie Sounds diese Platten wie Sauerbier anpries. Heutzutage ist es ein stehender Begriff weltweit. Und da einige dieser Platten wirklich Klassiker geworden sind, schießen die Preise hier in die Höhe.

Profitieren die kleinen Plattengeschäfte von den Einbußen im CD-Verkauf der Plattenindustrie und ist diese Entwicklung eventuell der Nagel auf dem Sarg der Mega-Stores?

Christoph Best: Wenn man sich die Plattenabteilungen in den großen Ketten ansieht, ist Vinyl schon wieder recht gut vorhanden. Es gibt ein paar eher sentimentale Bewegungen, die den kleinen Plattenhandel stützen wollen, wie etwa der Recordstore-Day, aber das ist meiner Meinung nach eher ein Beweis dafür, dass es bergab geht. Das ist aber jetzt keine absolut zu verallgemeinernde Einschätzung, denn es kommt immer darauf an, was der kleine jeweils Laden macht. Die aktuelle Tendenz, Vinyl marketingmäßig zu einem exklusiven Gegenstand zu erheben, die Schallplatte also zu einem Upmarket-Produkt zu machen, könnte kleinen Läden sogar eher nützen, weil diese eher als "Saturn" oder "Müller-Markt" das Ambiente dafür schaffen können.

Können Sie mir erklären, warum die Aura des Kunstwerks beim Vinyl erhalten geblieben ist, während die CD nach wie vor als reiner Gebrauchsgegenstand gesehen wird?

Christoph Best: Die Replizierbarkeit spielt nach meiner Meinung gegenüber der Attraktivität von Altem eine große Rolle. Aber für mich besitzen die wahnsinnig aufwändigen neuen De-Luxe-Replikate mit Klappcover plus Download-Code etceterera auch nicht den Charme, den eine alte Platte entfalten kann. Diese haben für mich den Charme eines gut nachgebauten Oldtimers. Ich kann mir gut vorstellen, dass die mangelnde Möglichkeit, eine Platte nicht selber vervielfältigen zu können, auf Dauer der entscheidende Punkt ist. Was die CD immer unattraktiver gemacht hat, war die Vervielfältigbarkeit und die lange Zeit übliche Jewel-Case-Optik, also diese Plastikkästchen, die auswechselbar sind. Wenn man das wegnimmt, bleibt von einer CD im Kern nicht mehr viel übrig.

Oft wird gegen die CD angeführt, dass die Tonqualität auf Vinyl einfach besser sei. Ist da was dran?

Christoph Best: Ehrlichgestanden nehme ich an, dass wir, wen man eine gleichwertige Hardware zu Grunde nimmt, alle im Blindtest versagen würden. Die grundlegenden Qualitätsunterschiede gibt es eher in der Art der Herstellung. Ich bilde mir ja auch ein, dass Vinyl besser klingt, aber ich denke, hier spielt das Drumherum, was man mit in das Hörerlebnis einfließen lässt, eine wichtige Rolle.

Wie hat sich die Käuferschaft verändert? Gibt es hier die Tendenz Musik als Mittel zum Distinktionsgewinn zu verwenden, wo es dem Konsumenten relativ egal ist, um welche Musik genau es sich dabei handelt?

Christoph Best: Es ist schon möglich, dass sich viele Leute nicht erstrangig für die Musik auf der Platte interessieren, sondern diese so sammeln wie ein Kunstwerk, das man vielleicht nicht versteht, aber von dem man von außen abgesichert weiß, dass es gut ist und einem Reputation verschafft. Es gibt Sammler, die die verschweißte Platte nicht einmal aufgemacht haben, sondern weiter ihre CD hören, was ich schon einigermaßen befremdlich finde.

Haben sich die Hörgewohnheiten der jungen Leute dahingehend entwickelt, dass sie gar keine Songs mehr hören, sondern tatsächlich nur noch herumswitchen?

Christoph Best: Klar hört die Generation, die mit iTunes, Spotify und iPod aufgewachsen ist, schon anders. Wenn diese aber einmal die Schallplatte entdecken, dann deshalb, weil sie von dieser Art Hören die Nase voll haben. Das sehe ich an meinem fünfzehnjährigen Sohn: Dem bereitet mittlerweile Musikhören auf die Art und Weise, dass Songs ihn innerhalb der ersten drei Takte überzeugen müssen, weil sie hinterher keine Chance mehr bekommen, immer weniger Vergnügen. Wenn diese Leute bei mir im Plattenladen auftauchen, sind sie bereits willens, sich zu entschleunigen. Es gibt unter den jungen Leuten noch einmal ein Segment, die nur Samples suchen, aber das ist wieder eine andere Baustelle.

Wie ist Ihre Meinung zu YouTube?

Christoph Best: Ich finde, es bringt der Musik etwas. Erst einmal sind all die Filmchen dort interessant zu sehen. Zweitens ist es zwar möglich, dass es als Download-Plattform genutzt wird, aber es wird nach meiner Einschätzung mindestens soviel aufgefangen, weil es die Leute animiert. Die Informiertheit steigt dadurch.

Und was halten Sie von dem Disput zwischen der GEMA und YouTube?

Christoph Best: Es ist erstens eine Heuchelei. Zweitens greift es nicht. Drittens nutzt YouTube wahrscheinlich mehr, als es schadet. Aus diesen Gründen halte ich die Sperrung von Videos, weil man sich die Pfründe nicht beschädigen lassen möchte, für unangemessen.

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