Verschlüsselung - nein danke!

Trotz der bitteren Einsicht, dass die gesamte digitale Kommunikation überwacht und belauscht wird, weigert sich die übergroße Mehrheit der deutschen Journalisten, daraus irgendwelche persönliche Konsequenzen zu ziehen. Warum?

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Glenn Greenwald vom "Guardian" wird sicher nicht nur in die Journalistik- und Geschichtsbücher eingehen, weil er der erste Journalist war, an den sich der NSA-Whisteblower Edward Snowden wandte, sondern weil die Kommunikation beinahe daran gescheitert wäre, dass Greenwald nicht wusste, wie man die elektronische Post vor dem Belauschen schützt. Laut New York Times musste Greenwald kleinlaut zugeben, dass er weder die einschlägige Software installiert hatte noch wusste, was zu tun war.

Die Huffington Post berichtet, dass Snowden dem Journalisten Schritt für Schritt, auch mit Hilfe eines Youtube-Videos, beibringen musste, wie man E-Mails verschlüsselt.

Es verwundert schon sehr, wenn mehr als 23 Jahre, nachdem Phil Zimmermann das legendäre Programm "Pretty Good Privacy" geschrieben hat und damit zum ersten Mal sichere Kommunikation für alle im Internet ermöglichte, Journalisten sich immer noch darauf beschränken, nur elektronische Postkarten zu schreiben. Mit rationalen Argumenten ist das vermutlich nicht zu erklären.

Eine kurze Umfrage in deutschen Redaktionen, welche Konsequenzen man aus PRISM, Tempora und anderen Spähprogrammen zu ziehen gedenke und ob man jetzt auch verschlüsselte E-Mails schreiben könne, ergibt einen befremdlichen Befund: Die wenigen Antworten, die man überhaupt bekommt, strotzen vor Unkenntnis oder - gelinde gesagt - vor Ignoranz. Die Zahl deutscher Redaktionen, die etwas ändern wollen, kann man an einer Hand abzählen. Alle anderen machen so weiter wie bisher.

Das hätte nicht überraschen sollen, weil die allgegenwärtige Total-Überwachung auf das Wahlverhalten der Deutschen auch keinerlei Einfluss hat, wie aktuelle Umfragen belegen, und der Mehrheit der Deutschen das Thema herzlich egal ist. Warum sollten Journalisten also anders reagieren als ihr Publikum?

Der "Tagesspiegel" in Berlin, golem.de, die Wochenzeitung "Der Freitag", die Computerbild, Welt online - alle willkürlich ausgewählt - reagierten gar nicht auf eine Anfrage, ob man eine verschlüsselte E-Mail senden könne und wie viele Redakteurinnen oder Redakteure sich beim Thema auskennten. Bei Frontal21, einem TV-Magazin des ZDF ("kritisch, investigativ und unerschrocken") bekommt man eine standardisierte Antwort: "Ihre Mail wird an den zuständigen Fachautor bzw. den Moderator weitergeleitet und dort aufmerksam gelesen". Offenbar aber doch nicht zu sehr, denn geantwortet wurde nicht.

Matthias Daniel, Chefredakteur der DJV-Verbandszeitschrift "Journalist" schreibt, man denke über das Thema nach und stünde "mit unserem Online-Dienstleister in Kontakt", was auch immer das heißen mag. Auch die von "Spiegel online" gern mit Warnungen vor Gefahren im Internet zitierte "Sicherheitsfirma" MediaTest Digital ("Sicherheit schafft Vertrauen!), der man keine verschlüsselte E-Mail schreiben kann, reagiert überhaupt nicht. Bei Spiegel online geben einige wenige Journalisten zu, privat manche E-Mails zu verschlüsseln, man verweist sogar auf Keyserver, auf denen die "public keys" zu finden seien. Eine Kollegin des Netzwelt-Ressorts habe ihren Schlüssel "allerdings aus Sicherheitsgründen nicht unter der offiziellen Spiegel-Adresse" und ihrem richtigen Namen veröffentlicht. Um welche "Sicherheitsgründe" es sich handelt, war nicht zu erfahren.

Nur analoge Kommunikation kann halbwegs gesichert werden"

Die Zentrale von "Reporters sans frontières" in Paris, die in ihren Publikationen allen Journalisten E-Mail-Verschlüsselung dringend nahelegt, biete keinen öffentlichen Schlüssel auf ihrer Website an und antwortet auch nicht auf mehrsprachige Anfragen per E-Mail. Das erstaunt um so mehr: Wie soll sich ein Journalist, der in einen Land arbeitet, in dem sein Leben bedroht ist, an die Organisation wenden, die ihm beistehen soll - per Telefon oder gar Postkarte? Bei der deutschen Sektion ist man schon weiter: Dort gibt es jemanden, der ohne Probleme seine E-Mail verschlüsseln kann und auch bei Fragen, wie man sicher chatten könne, souverän reagiert. Wer derjenige ist, erfährt man jedoch erst nach hartnäckiger telefonischer Nachfrage, da E-Mails zunächst unbeantwortet bleiben.

Lars Ophüls vom Wall Street Journal Deutschland gibt zu: eine Kommunikation mit der Redaktion sei "nur unverschlüsselt möglich". Bei Zeit online gibt es mehrere Journalisten, die sich bei Sicherheitsthemen auskennen und selbst ihre Kommunikation verschlüsseln. Bei der "tageszeitung" ist es immerhin einer. Auf den jeweiligen "Kontakt"-Websites liest man jedoch nichts zum Thema, von öffentlichen Schlüsseln keine Spur.

Die erstaunlichste Antwort gibt jedoch Stefan Plöchinger, der Chefredakteur von Sueddeutsche.de: "Nachdem inzwischen alle Sicherungssysteme geknackt werden können, wie der einschlägigen Presse zu entnehmen ist, wollen wir unseren Nutzern nicht falsche Sicherheitsgefühle durch Kommunikation einer vermeintlich sicheren Methode geben. Deshalb auch haben wir keinen anonymen Briefkasten etc. Nur analoge Kommunikation kann halbwegs gesichert werden."

Das darf getrost bezweifelt werden, demonstriert aber die eher einfach gestrickte Gedankenwelt, in der sich viele "Entscheider" bei den deutschen Medien bewegen, wenn es um Sicherheit in der elektronischen Kommunikation und um Konsequenzen geht.

Leider kann man auch keine Fachleute befragen, warum kaum jemand sein Verhalten beim E-Mail-Schreiben ändert, da es offenbar keine Psychologen in Deutschland gibt, die wissen, worum es überhaupt geht. Das ergab eine telefonische Nachfrage bei mehreren namhaften Universitäten und Einrichtungen, die sich auf Verhaltenspsychologie spezialisiert haben.

Man muss daher befürchten, dass sogar eine totale Überwachung des gesamten Verhaltens durch Geheimdienste den Leidensdruck für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung nicht erhöht und auch nicht für die, die von Berufs wegen der Aufklärung verpflichtet wären. Verhalten änderte sich aber nur, wenn man sich davon einen ganz realen Vorteil verspricht, und weniger, um nur einen wenig konkreten und eher vagen Schaden abzuwenden. Viel eher bleibt offenbar nur ein diffuses Gefühl der Ohnmacht und der Angst zurück - auch bei Journalisten - nach dem Motto: "Die sind eh schon drin in meinem Computer."