Frankreich lässt unrentable spanische Hochgeschwindigkeitszüge hängen

Ausbauplan für die Hochgeschwindkeitsstrecken aus den Empfehlungen der Kommission Mobilité 21

Die geplanten Verbindungen beider Hochgeschwindigkeitsnetze am Atlantik und am Mittelmeer werden Sparplänen geopfert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Bewohner im baskischen Biriatu atmen auf. Durch das Dorf sollten in einigen Jahren Hochgeschwindigkeitszüge über die Grenze von Frankreich nach Spanien rasen. Sieben Häuser waren gefährdet, weil die neue Strecke nicht mehr direkt an der Küste über den Grenzbahnhof Hendaye nach Irun, sondern einige Kilometer im Landesinneren direkt nach Donostia-San Sebastián führen sollte. Dieses Projekt fiel nun aber Pariser Sparplänen zum Opfer. Das wird sehr teuer für Spanien, wo schon Milliarden mit Blick auf die Anbindung des zweitgrößten Hochgeschwindigkeitsnetzes weltweit an Frankreich verbaut wurden und werden.

Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Paris und Madrid wird es weder über die Atlantikküste noch über den längeren Weg am Mittelmeer vorbei geben. Frankreich folgt weitgehend den Empfehlungen der Kommission "Mobilité 21". Die Strecke zwischen dem südwestfranzösischen Bordeaux zur spanischen Grenze wurde vom französischen Premierminister Jean-Marc Ayrault im neuen Infrastrukturplan nun ebenso als zweitrangig eingestuft wie die Strecke Montpellier-Perpignan. Von einem Dutzend geplanter Neubaustrecken wird nur noch die Strecke von Bordeaux nach Toulouse als prioritär eingeschätzt und soll noch vor 2030 umgesetzt werden.

Strecken, die bereits im Bau sind, (Tours–Bordeaux, Metz–Straßburg, Le Mans–Rennes und Nîmes-Montpellier) werden fertiggestellt, erklärte Ayrault. Damit wird vor allem die weitere Anbindung an Deutschland nicht beeinträchtigt. "Prioritär" würden dann nach 2030 bis 2050 die Verbindungen mit Spanien realisiert, versprach er. Es mutet aber etwas absurd an, dass zwischenzeitlich schon die Strecke Bordeaux-Toulouse gebaut wird, deren Anbindungen an die Strecken in Richtung Lyon und Marseille aber weiterhin offen bleiben soll. Die TGV-Strecke von Nîmes nach Montpellier wird zwar in Richtung der spanischen Grenze weitergebaut, doch es bleibt das Teilstück über etwa 150 Kilometer bis Perpignan offen. 6,3 Milliarden Euro waren veranschlagt, um die Lücke zu schließen und endlich eine Verbindung zum spanischen Netz herzustellen. Das französische Perpignan ist nämlich schon mit dem spanischen Hochgeschwindigkeitsnetz (AVE) verbunden. Erste Züge sollten eigentlich schon seit April direkt über Figueres nach Barcelona rollen. Wegen fehlender Zulassung der jeweiligen Züge für das jeweilige Nachbarland soll sich das nun bis November verschieben.

Das Dorf Biriatu atmet angesichts der Pariser Entscheidung auf. Bild: R. Streck

Ist wegen dieser Ausgangslage und wegen den Touristenströmen ans spanische Mittelmeer sogar glaubhaft, dass Frankreich noch eine Verbindung beider Netze in Perpignan anstrebt, sieht das am Atlantik schon ganz anders aus. Die Strecke durch das französische Baskenland steht wegen hoher Kosten (angesetzte 6,7 Milliarden Euro für nur 67 Kilometer) und dem enormen Widerstand nun definitiv auf der Kippe. Mit Umweltschutzorganisationen stellen sich praktisch alle Bürgermeister im französischen Baskenland gegen das Projekt. Die Kleinstadt Urruña macht das auf ihrer Website auch sehr deutlich.

Die Basken treten für Verbesserungen auf bestehenden Strecken ein. Tatsächlich setzt Paris nun vor allem darauf, das bestehende TGV-Netz zu sichern. Verbesserungen soll es zudem im Regionalverkehr geben. Davon könnten auch die Basken profitieren. Zwar fahren offiziell die TGV-Züge schon heute über Bayonne und Biarritz nach Hendaye. Doch sie benötigen für die gut 200 Kilometer als komfortable und teure Bimmelbahn wie der Regionalzug TER etwa 2,5 Stunden.

TGV in Hendaye. Bild: R. Streck

Spanien hat 46 Milliarden Euro, vorwiegend EU-Gelder, in das Hochgeschwindigkeitsnetz investiert

Für Spanien und das "Trans-European Transport Networks" der EU sind die Pariser Pläne aber ein herber Rückschlag. Das zweitgrößte Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt hängt in Spanien nun weiter in der Luft. Mit Hochgeschwindigkeitszügen von Kiew in der Ukraine nach Lissabon in Portugal zu reisen, ist längst auf den St. Nimmerleinstag verschoben worden. Spanien hat sich aber das Luxusnetz bisher schon 46 Milliarden Euro kosten lassen, das auch aus Brüssel kräftig subventioniert wurde. Zwischen 2000 und 2012 flossen nach EU-Angaben 45,3 Milliarden Euro aus Brüssel nach Spanien, das meiste Geld floss in Infrastrukturprojekte wie Schnellzugtrassen, Flughäfen, Autobahnen … Spanien wollte nun von der Anbindung an das gut ausgelastete französische Netz profitieren, doch die wird es lange Jahre nicht geben. Frankreich tritt, auch aus Druck aus Brüssel, nun ebenfalls auf die Sparbremse. In Portugal fiel schon 2011 der Bau der Strecke Madrid-Lissabon Sparplänen zum Opfer.

Und damit wurde wiederum die Strecke in die Extremadura zum Scheitern verurteilt. Doch allen Zahlen zum Trotz steckt die konservative Regierung, mit EU-Geldern gefördert, etwa vier Milliarden Euro in eine Trasse, die nach Ansicht von Experten niemals rentabel sein wird. Dass daran festgehalten wird, hat vor allem politische Gründe, denn in der früheren Hochburg der Sozialisten herrscht seit 2011 wie in Spanien erstmals die rechtskonservative Volkspartei (PP). Die Strecke von Madrid in die Provinzhauptstadt Badajoz (etwa 150.000 Einwohner) an der portugiesischen Grenze blickt nun aber schon vor der Fertigstellung einer ähnlich traurigen Zukunft entgegen, wie die von Toledo über Cuenca nach Albacete. Die wurde 2011 schon nach nur sechs Monaten wieder eingestellt, weil täglich im Durchschnitt neun Fahrgäste die teuren Züge benutzten. (Aus für Hochgeschwindigkeitszüge) 3,5 Milliarden Euro kostete der Ausbau für die Hochgeschwindigkeitszüge (AVE).

Nur wenige AVE-Strecken weisen eine Auslastung von mehr als 60% aus, wie Madrid-Barcelona, Madrid-Malaga und Madrid-Sevilla, was für einen rentablen Betrieb ohnehin noch zu wenig ist. Sogar die 2010 eingeweihte Strecke von der Hauptstadt zum Mittelmeer nach Valencia bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, während wie üblich die Baukosten über den Prognosen lagen. War einst geplant, darauf jährlich 3,6 Millionen Passagiere zu befördern, wurden es 2011 tatsächlich nur etwa halb so viele, gab selbstkritisch auch die spanische Eisenbahnstiftung zu. Die erst kürzlich von Ministerpräsident Mariano Rajoy und Kronprinz Felipe eingeweihte Strecke von Madrid in die Mittelmeerstadt Alicante wird somit aller Voraussicht nach jeder Rentabilität weit hinterher rasen. Derzeit wird die Nachfrage von der Regierung mit Preisabschlägen von bis zu 70% befeuert, weil in der Krise zusätzlich viele Fahrgäste abhandenkamen.

Endstation Hendaye TGV fährt zwar bis an die Grenze heran, ist aber ab Bordeaux nur eine teure Bimmelbahn. Bild: R. Streck

Verschwendung und fatale Sparmaßnahmen zum Erhalt des unrentablen Hochgeschwindigkeitnetzes

Dass auch beim Bau der neuen Trasse wieder viel Geld verschleudert wurde, zeigt sich in der Kleinstadt Villena (35.000 Einwohner) deutlich. Nur 58 Kilometer vor Alicante wurde für insgesamt 11,5 Millionen Euro extra ein Bahnhof aus dem Boden gestampft. Der Glitzerbau war sogar 3,5 Millionen Euro teurer als der neue Bahnhof Alicantes. Viele Passagiere werden ihn sicher nicht nutzen. Dass nur ein Feldweg aus dem verschlafenen Ort zum außerhalb gelegenen AVE-Bahnhof führt, ist nicht gerade förderlich.

Richtig fatal wirkt sich die Entscheidung in Paris aber im spanischen Baskenland aus. In dessen Bergen werden seit Jahren Milliarden in das sogenannte baskische Y verbaut. Darüber sollten neben San Sebastian auch Bilbao und Vitoria-Gasteiz mit Madrid und Paris verbunden werden. Doch es wird eine Y-Insel, denn auch eine Anbindung ans spanische AVE-Netz wird es mittelfristig nicht geben. Infrastrukturministerin Ana Pastor, die auf einem Schuldenberg von 40 Milliarden Euro sitzt, hat kein Geld für eine Verbindung mit Burgos. Ob die Strecke zwischen Valladolid und Burgos 2015 fertig wird, steht in den Sternen. In Burgos fürchtete man schon vor der Pariser Entscheidung, Opfer einer "Neuplanung" zu werden. Gerade wurde ein angefangener AVE-Tunnel im Rahmen einer solchen Maßnahme in Galicien wieder zugemauert.

Aus Geldmangel wurden bisher schon viele Infrastrukturprojekte auf Eis gelegt. Und da die baldige Anbindung über das Baskenland an Frankreich nun ausfällt, wird auch geplante Strecke nach Burgos noch unrentabler. Dafür steigen mit jedem Ausbaukilometer nicht nur die Investitionskosten, sondern auch die Kosten für die Instandhaltung in einem Land, dessen Defizit und Verschuldung steigt und 2012 den Rekordwert von 10,6% erreichte. Um sich diese teuren Züge leisten zu können, müssen immer neue Einschnitte auch am Bildung- und dem Gesundheitswesen vorgenommen werden.

Geschätzt wird, dass sich die Kosten zur Unterhaltung der Strecken auf 100.000 bis 200.000 Euro pro Kilometer im Jahr belaufen. Bei knapp 3000 Kilometern kommt die stattliche Summe von 300-600 Millionen Euro zusammen. Kürzlich wies auch die EU-Kommission Madrid auf Widersprüche im vorgelegten Reformpaket hin. Gefordert wurde aus Brüssel, auf die Kosten-Nutzen-Relation bei den Schnellzügen zu achten. Auch die Kommission fragt, wie Spanien Betriebskosten senken will, wenn "gleichzeitig neue Hochgeschwindigkeitsstrecken gebaut werden".

Die Lösung wollen die spanischen Konservativen darin gefunden haben, dass einfach das übrige Schienennetz eingedampft wird. Während Frankreich den Nahverkehr und mittlere Strecken stärken will, wird in Spanien daran auch die große Axt angesetzt. Angeblich unrentable Strecken im Nah- und Regionalverkehr sollen stillgelegt und die Frequenzen auf bestimmten Strecken verringert werden. Damit wurde im Juni schon begonnen. 5,7% aller Züge mit mittleren Entfernungen seien betroffen, bezifferte die staatliche Eisenbahngesellschaft Renfe, dass für viele kleinere Städte wichtige Strecken verwaisen. Etwa 1,6 Millionen Bahnreisende sind betroffen, wird mit Blick auf ein Gutachten des Transportministeriums geschätzt. Zudem sollen in einem Land, in dem schon mehr als sechs Millionen Menschen arbeitslos sind, erneut 4% der Stellen bei Renfe gestrichen. In den letzten Jahren wurde die Belegschaft schon deutlich reduziert, ohne damit in die Gewinnzone zu kommen.

Würde man aber Forderungen nach Rentabilität auf die Hochgeschwindigkeitszüge anwenden, müsste praktisch das gesamte AVE-Netz abgeschaltet werden. In einer Studie wurde berechnet, dass die teuren Strecken (etwa 11 Millionen Euro pro Kilometer) auf einer Strecke von 500 Kilometern gut acht Millionen Fahrgäste im Jahr benötigen, um rentabel zu sein. Doch auch die relativ gut ausgelastete Strecke zwischen Madrid und der katalanischen Metropole Barcelona kommt nicht einmal in die Nähe dieser Rentabilitätsmarke, das gilt auch für die am stärksten genutzten Strecke Madrid-Sevilla.

Kommt die meistbefahrenste französische Strecke zwischen Paris und Lyon auf 59.000 Passagiere pro Jahr und Kilometer, sind es auf der meistbefahrenen spanischen Strecke nicht einmal 14.000. Damit sind auch sie nicht rentabel. Insgesamt wurden 2012 nur gut 22 Millionen Passagiere auf allen spanischen AVE-Strecken transportiert Diese Zahl an Reisenden müsste allein auf den Strecken von Madrid nach Barcelona, Málaga und Sevilla transportiert werden, um rentabel sein zu können. Doch das wachsende Netz ist viel größer und wird vor allem auf Kosten der Steuerzahler finanziert.