Italien erreicht Auslieferung wegen Verurteilung zum G8-Gipfel in Genua

Polizisten gehen für schwere Misshandlungen straffrei aus, Aktivisten müssen demgegenüber hohe Haftstrafen antreten. Ein deshalb Untergetauchter wurde nun in Barcelona aufgespürt

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Spanien hat den italienischen Staatsbürger Francesco Puglisi ausgeliefert. Der unter dem Spitznamen "Gimmy" bekannte Aktivist war von Italien mit einem Europäischen Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben worden. Seine Verhaftung erfolgte am 5. Juni in Barcelona kurz darauf wurde in das Gefängnis Soto del Real in Madrid verlegt. Die Auslieferung sollte innerhalb von 30 Tagen erfolgen. Jetzt wird Puglisi im Gefängnis Rebibbia in Rom festgehalten.

Puglisi gehört zu jenen Demonstranten, die wegen der Straßenkämpfe beim G8-Gipfel 2001 in Genua zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Im Juli letzten Jahres hatte das Kassationsgericht in Rom (die höchste Instanz des italienischen Gerichtswesens) die Richtersprüche gegen 25 Demonstranten überprüft. Grundlage der Verurteilung in erster und zweiter Instanz war ein Paragraf aus der Zeit des Faschismus. Dieser sogenannte "Codice Rocco" erlaubt die Verfolgung einer gemeinschaftlich begangenen "Plünderung und Verwüstung" ("Devastazione e Sacchegio") und wurde rund um den G8-Gipfel nach mehreren Jahrzehnten erstmals wieder angewandt.

Das Kassationsgericht ließ jedoch die Anklage gegen 15 Personen fallen, unter anderem weil ihnen Notwehr gegen einen unrechtmäßigen Polizeiangriff zuerkannt wurde. Recherchen von Medienaktivisten und Anwälten konnten belegen, dass eine Polizeieinheit entgegen anderslautender Anweisungen der Einsatzleitung die Spitze einer genehmigten Demonstration angriff. In den darauf folgenden Ausschreitungen wurde der damals 21-jährige Carlo Giuliani erschossen. Zehn der 25 Angeklagten wurden indes zu Haftstrafen zwischen acht und 15 Jahren verurteilt. Zwei von ihnen haben die Gefängnishaft bereits angetreten, eine andere verbringt ihre Strafe als Mutter eines Kleinkindes im Hausarrest. "Gimmy" und ein anderer Italiener entzogen sich den vorgesehenen 14 Jahren Gefängnis und tauchten unter. Die hohen Urteile hatten für internationale Aufmerksamkeit gesorgt, unter den prominenten Stellungnahmen findet sich auch die Grußadresse des bekannten Punk-Sängers Jello Biafra.

Aufgespürt durch Finanzermittlungen und Telekommunikationsüberwachung

Laut Berichten der Nachrichtenagentur ANSA erfolgte die Festnahme in Barcelona nach gemeinsamen Ermittlungen der italienischen, spanischen und französischen Polizei. Puglisi hat sich demnach eine Zeitlang in Paris aufgehalten.

Offensichtlich half die Überwachung von Freunden des Verurteilten, um ihm auf die Spur zu kommen: Laut ANSA bedienten sich die Polizisten aus Daten von Finanzermittlungen, womit vermutlich internationale Überweisungen gemeint sind. Derartige Maßnahmen sind mittlerweile nicht nur bei Vergehen wegen "Terrorismus" oder "organisierter Kriminalität" üblich. Ausgewertet wurden zudem Daten aus der Telekommunikationsüberwachung von Mobiltelefonen und des Internet.

Die Verhandlungen gegen die 25 Demonstranten gehören zu den drei großen Verfahrenskomplexen nach dem G8-Gipfel. Außer den linken Aktivsten wurden in zwei weiteren Urteilssprüchen des Kassationsgerichts mehrere Dutzend Polizisten verurteilt. Verhandelt wurde die brutale Razzia in einer Schule, die als Schlafstätte diente. In einem anderen Verfahren standen Angehörige der Polizei und Justiz sowie medizinisches Personal vor Gericht, weil sie Festgenommene in einer Polizeikaserne misshandelt hatten.

Zwar wurden auch hohe Urteile gegen die Polizisten, darunter zu Gefängnisstrafen, vor wenigen Wochen in letzter Instanz bestätigt. Jedoch müssen nur wenige von ihnen Konsequenzen fürchten, denn die meisten können – im Gegensatz zu den Demonstranten - von der Verjährungsfrist von 10 Jahren profitieren. Möglich wird dies dadurch, dass Italien zwar die Internationale Folterkonvention unterschrieben hat, diese aber nie in italienisches Recht überführte.

Das vorsätzliche, gemeinschaftliche Misshandeln durch Staatsbedienstete wird also nicht als Folter betrachtet. Verurteilungen erfolgten lediglich wegen Autoritätsmissbrauch, Nötigung und Misshandlung. Nur noch sieben Polizisten und Vollzugsbeamte wurden in dem letzten Verfahren verurteilt. Ein Polizeifunktionär erhielt mit drei Jahren und zwei Monaten Haft die höchste Strafe. Dass er diese Haft jemals antreten muss, wird aber bezweifelt. Viele der verurteilten Polizisten wurden befördert, der ebenfalls angeklagte ehemalige Polizeichef Gianno de Gennaro wechselte kürzlich als Vorstandsmitglied zu Italiens größtem Rüstungskonzern Finmecchanica.

Cesare Battisti soll aus Brasilien ausgeliefert werden

Womöglich droht bald eine weitere, spektakuläre Auslieferung nach Italien: Brasilien beabsichtigt laut mehreren Medienberichten, den bekannten Aktivisten und Schriftsteller Cesare Battisti auszuliefern. Der während der "bleiernen Jahre" in den 1970ern verhaftete und wegen Mordes verurteilte Battisti war zunächst nach Frankreich geflohen und reiste 2004 nach Brasilien weiter. Dort verbrachte er vier Jahre im Gefängnis, ein Gericht ordnete 2009 die Auslieferung nach Italien an .

Einen Tag vor Ende seiner Amtszeit wurde Battisti vom damaligen Präsidenten "Lula" da Silva jedoch als politischer Flüchtling anerkannt, was den ebenfalls nicht mehr amtierenden Premierminister Silvio Berlusconi schwer erzürnte. Italien kündigte an, die Angelegenheit dem Internationalen Gerichtshof vorzulegen.

Jetzt wird Battisti wohl die Einreise nach Brasilien mit gefälschten Papieren zum Verhängnis. Hierfür war der Schriftsteller bereits verurteilt worden, was nach brasilianischem Recht die Abschiebung vorsieht. Ein Bundesgericht hat seine Berufung gegen das Urteil jetzt abgewiesen.